Einkaufen, kochen, bügeln, Wäsche waschen, Enkel-/ Kinder von der Schule abholen und zur Musik- oder Sportstunde bringen, danach wieder abholen, zwischendurch mit dem Hund raus oder die Katze(n) füttern, Frühjahrsputz, Geburtstagsfeiern, Termine, etc. – der „ganz normale Alltagswahnsinn“ kann schon ziemlich viel Stress verursachen. Grund genug für Forscher der MedUni Wien, sich dem Thema Stressbewältigung näher zu widmen.
Anspruchsvolle Aufgaben unter Zeitdruck
Werden Menschen im Vorfeld einer akuten Stresssituation virtuell durch einen „menschlichen“ Avatar, hinter dem eine echte Person steckt (oder zumindest glaubhaft für die ProbandInnen steckt), sozial unterstützt, dann wirkt das genauso gut wie der Support durch eine echte Person. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie unter der Leitung von Anna Felnhofer und Oswald Kothgassner von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde und der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien.
In einem standardisierten Experiment wurde die Auswirkung von sozialer Unterstützung auf eine darauf folgende akute Stressbelastung untersucht. Dabei erhielten 56 StudienteilnehmerInnen, bevor diese eine Reihe anspruchsvoller Aufgaben unter Zeitdruck vor einer mehrköpfigen Jury lösen mussten, Zuspruch – entweder von einer echten Person oder, vermittelt über eine Virtual-Reality-Brille, von einem virtuellen Charakter.
Weniger Stress bei „persönlicher“ Betreuung
Einer Gruppe von StudienteilnehmerInnen wurde dabei suggeriert, dass dieser Avatar von einer echten Person gesteuert wird. Die andere Gruppe glaubte, dass er von einem Computer automatisch gelenkt wird. Eine weitere Kontrollgruppe erhielt keine Unterstützung vor dem Stresstest. Nach dem Stresstest wurden zudem in einem sozialen Verhaltensexperiment mögliche Veränderungen im prosozialen Verhalten untersucht – etwa durch systematische Beobachtung von Hilfsbereitschaft und sozialer Annäherung.
Die psychische Belastung während des Stresstests bestimmten die ForscherInnen über den Anstieg der Herzrate. Das zentrale Ergebnis: Der Anstieg der Herzrate fiel bei vorhergehender Unterstützung durch eine echte Person oder eine virtuelle Person, von der die Probanden annahmen, dass diese von einer echten Person gesteuert wurde (sogenannte Avatare) jedoch signifikant weniger stark aus, als bei jenen Gruppen, die entweder durch einen Computer-Charakter oder gar nicht unterstützt wurden.
Darüber hinaus konnten die WissenschafterInnen sehen, dass bei jenen Versuchsgruppen, bei welchen Menschen direkt oder digital vermittelt Unterstützung gaben, die Bewertung durch die Jury im Stresstest weitaus weniger Scham und Grübeln auslöste. Ebenso konnte gezeigt werden, dass diese Personen auch weitaus rascher zu Hilfestellung bereit waren und eine erhöhte soziale Annäherung zeigten.
Plädoyer fürs Menschliche im digitalen Zeitalter
„In unserer Studie waren die Auswirkungen von sozialer Unterstützung, welche persönlich oder über einen Avatar gegeben wurden, im Effekt vergleichbar. Die betroffene Person muss nur glauben, dass dahinter ein Mensch steckt. Das eröffnet auch neue Sichtweisen und Möglichkeiten, besonders hinsichtlich digitaler sozialer Netzwerke oder Online-Games, welche sehr viele soziale Ressourcen bergen, die auch präventiv wirken können. Insofern sollten digitale Interaktionen mehr Beachtung als Schutzfaktoren bekommen und nicht lediglich als Risiko gesehen werden.“
„Unsere Ergebnisse haben weitreichende Implikationen für den Einsatz von Virtuellen Realitäten in der medizinischen Forschung sowie auch im Kontext von therapeutischen Applikationen„, ergänzt Felnhofer. Die Erkenntnisse könnten schon in der Prävention von psychischen Erkrankungen wie etwa Depression eingesetzt werden. Aber auch in der Behandlung derartiger Störungen mittels Telemedizin oder anderen virtuellen Therapieprogrammen.
Service: Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry
Informationen über die Studie:
„Virtual social support buffers stress response: An experimental comparison of real-life and virtual support prior to a social stressor.“
Oswald D. Kothgassner, Andreas Goreis, Johanna X. Kafka, Marlene Kaufmann, Katharina Atteneder, Leon Beutl, Kristina Hennig-Fast, Helmut Hlavacs, Anna Felnhofer.
https://doi.org/10.1016/j.jbtep.2018.11.003
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