„Alterseinsamkeit ist ein wirklich großes Problem in unserer Gesellschaft, nicht nur in Corona-Zeiten“, erklärt Pensionistenverbands-Präsident [PVÖ] Dr. Peter Kostelka nach einem Treffen mit der Bundesregierung zu diesem Thema. „Dabei geht es nicht nur um Hochbetagte und nicht nur um Seniorenheime – diese sind nur die Spitze des Eisberges. Einsam fühlen sich sehr viele ältere Menschen! Und die Erfahrung aus unserer mehr als 70 Jahre andauernden Tätigkeit im Pensionistenverband zeigt, dass das Problem zunimmt. Weiter verschärft hat diese Situation die in Seniorenheimen angeordnete Isolation aufgrund der Corona-Pandemie im Frühjahr dieses Jahres. Als unmittelbare Folge war deutlich zu sehen: Das Isolieren älterer Menschen hat enorme negative psychische Folgen.“
Vorbeugen – schon in jüngeren Jahren
Um der Einsamkeit im Alter entgegenzuwirken wirbt der Pensionistenverbands-Präsident einerseits um eine „Vorbeugung„, indem man bereits in jüngeren Jahren soziale Kontakte und Aktivitäten hochhält, um im Alter nicht allein und einsam zu sein. Er nennt seine Organisation – den Pensionistenverband – ein niederschwelliges Angebot, um die Alterseinsamkeit zu verringern. Kostelka: „Seit der Gründung vor mehr als 70 Jahren lautet das ewig gültige Motto des Pensionistenverbandes ‚Gemeinsam, nicht einsam!‘“
Andererseits weist Kostelka darauf hin, dass Menschen, die nicht mehr Wohnung oder Haus verlassen können, im wahrsten Sinn des Wortes Ansprechpersonen brauchen. „Auch wenn die Digitalisierung in Zukunft eine Option sein könnte, weil virtuelle Kontakte besser sind als keine, ist und bleibt der persönliche Kontakt die wirksamste Maßnahme gegen Alterseinsamkeit. Auch sind derzeit vor allem Hochbetagte kaum online.“ Für Kostelka sind Besuchs- und Begleitdienste eine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen. Dabei kann es nicht nur ums Zuhören und Reden gehen, sondern es sollte die gemeinsam verbrachte Zeit durchaus auch aktivierend gestaltet werden, zum Beispiel mit kurzen Mobilisierungsübungen oder einem Gedächtnistraining.
Wichtige Lernerfahrung aus der Corona-Krise
„Dass das Thema [Alters-]Einsamkeit ganzheitlich und breit in den Blick genommen werde muss, ist eine wichtige Lernerfahrung aus der Corona-Krise„, sagt auch Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser.
„In der ersten Phase der Corona-Krise lag der Fokus auf virologischen und infektiologischen Betrachtungsweisen. Aber Gesundheit hat auch eine psychische, soziale und letztlich auch spirituelle Dimension. Und Einsamkeit wirkt sich unmittelbar auf die Gesundheit aus: Sie schwächt das Immunsystem, fördert Depressionen, Schlaflosigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, beschleunigt das Fortschreiten von Demenz„, so Moser.
Community Nurses wichtiges Konzept im Kampf gegen Alterseinsamkeit
Vom Pakt gegen die Alterseinsamkeit erhofft sich Moser wesentliche Impulse auch für die anstehende Pflegereform: „Pflegeangebote müssen sich an Teilhabe und an einem ’normalen‘ Alltag aus Sicht der Pflegebedürftigen orientieren.“ Besondere Bedeutung komme dabei den im Regierungsprogramm verankerten Community Nurses zu. Hier fordert die Diakonie nicht nur ein medizinisches Konzept in der Umsetzung, sondern einen Fokus auf die Potenziale der Community Arbeit.
Um Einsamkeit zu bekämpfen, sollen nach Vorstellung der Diakonie Grätzelinitiativen, sozialraumorientierte Projekte, Nachbarschaftshilfe und Community-Arbeit gezielt gefördert und finanziert sowie in der sozialen, räumlichen und pflegerischen Infrastruktur integriert werden – auch nach der Pandemie.
Armut und Arbeitslosigkeit verschärfen Einsamkeit
So wichtig die Integration eines Paktes gegen die Einsamkeit in die Pflegereform sei, so wichtig sei es auch, den Pakt gegen die Einsamkeit breiter zu denken. In Österreich haben sich, wie das Austrian Corona Panel zeigt, gerade die Jungen, SchülerInnen und Studierende, sowie Arbeitslose in der Corona-Krise am häufigsten einsam gefühlt. Einsamkeit verschärft sich durch geringes Einkommen, gesellschaftliche Krisenzeiten und mangelhafte soziale Infrastruktur.
„Ein Pakt gegen die Einsamkeit darf daher Maßnahmen der Existenzsicherung, Bekämpfung der Kinderarmut, faire Bildungschancen, soziale Teilhabe und ihre Voraussetzungen wie zum Beispiel assistierenden Technologien zur Kommunikation von Menschen mit Behinderung nicht außer Acht lassen„, betont die Diakonie-Direktorin.
Nicht auf die vergessen, die zu Hause gepflegt werden
„Wenn wir über Einsamkeit in der Corona-Krise sprechen, denken viele an pflegedürftige und ältere Menschen in stationären Einrichtungen. Nicht vergessen dürfen wir aber die anderen 80 Prozent der Pflegedürftigen, die zu Hause gepflegt und betreut werden. Für sie entfielen Therapie- und Trainingsangebote oder die Besuche in Tageszentren, die für die sozialen Kontakte von älteren Menschen eine besondere Bedeutung haben.“ Der Direktor der Volkshilfe Österreich, Erich Fenninger, betont auch, die Isolation und Belastung pflegender Angehöriger in diesem Zusammenhang nicht zu vergessen.
Die Volkshilfe befragte im Sommer 100 pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz. Besonders eklatant dabei ist, dass 44 Prozent der Befragten angeben, die Unterstützung durch andere Familienmitglieder sei ausgeblieben und 20 Prozent hätten keine Unterstützung aus dem sozialen Umfeld mehr erhalten – zumeist aufgrund der Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19. Professionelle mobile Pflegedienste haben 16 Prozent nicht mehr in Anspruch genommen, rund jedeR fünfte hat auf die Unterstützung durch eine Heimhilfe/ Pflegeassistenz verzichtet. „Der Rückgang von Unterstützung durch professionelle mobile Dienste, aber auch durch das soziale Umfeld belastet pflegende Angehörige. 41 Prozent fühlten sich in der Corona-Krise isoliert, 59 Prozent gaben an, sich allein gelassen gefühlt zu haben“, erzählt Fenninger von einer im August präsentierten Umfrage.
Maßnahmen gegen Kollaps der Angehörigenpflege
„Wenn wir wollen, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht vereinsamen und gleichzeitig den Kollaps der Angehörigenpflege durch die Belastungen der Corona-Krise verhindern wollen, dann braucht es rasch Maßnahmen„, so Fenninger weiter. Die Volkshilfe Österreich fordert daher eine österreichweite, einheitliche Erhöhung der verrechenbaren Stunden für die mobile Pflege und Betreuung sowie ein kostenloses Coaching für pflegende Angehörige. „In solchen regelmäßigen Coachings, die in der sozialen Arbeit vielfach erprobt sind, und die die Träger der mobilen Dienste bisher nur mit hohem Kostenaufwand anbieten können, stärken wir die Ressourcen und das Netzwerk der Familien und können Belastungen pflegender Angehöriger abfangen„, berichtet Fenninger aus der Arbeit der mobilen Dienste.
In die gleiche Kerbe schlägt auch Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreichs: „Wer ältere Menschen vor Vereinsamung schützen will, der muss ihr persönliches Umfeld stärken. Je größer die Unterstützung für pflegende Angehörige, desto kraftvoller und zuversichtlicher können sie sich ihren Liebsten zuwenden“ .
Unterstützung und Entlastung erfahren Pflegebedürftige und pflegende Angehörige vor allem durch die Fachkräfte der mobilen Pflegedienste. Es sei deshalb unerlässlich, nicht nur den Kostenrahmen für deren Leistungen zu verbessern, sondern spezifische Angebote der mobilen Dienste gezielt zu fördern und auszubauen. „Das betrifft vor allem auch psychosoziale Hilfestellungen für pflegende Angehörige. Fachkräfte der Pflegeträger sind imstande, deren Sorgen, deren physische und seelische Beanspruchung zu lindern. Dafür braucht es vernünftige Rahmenbedingungen, damit die Fachkräfte schnell und in ausreichendem Ausmaß helfen können“, fordert Karas.
„Der Corona-Lockdown hat außerdem gezeigt, dass Pflegebedürftige und Angehörige zu Risikogruppen von Epi- und Pandemien zählen. Eine Lehre aus dieser Zeit muss sein: Diese Menschen brauchen eine funktionierende, kostenlose, dezentrale und rasch verfügbare Testinfrastruktur. Die diplomierten Pflegekräfte kennen die familiären Situationen genau, können kraft ihrer Ausbildung Testabstriche nehmen und so zur schnellen Gewissheit hinsichtlich Ansteckung beitragen“, bricht Karas eine Lanze für die volkswirtschaftlich sinnvolle Nutzung vorhandener Kompetenzen der mobilen Dienste.
Schutz und Information
Fenninger verweist auch darauf, dass es die Preisentwicklung für Schutzkleidung [Masken, Handschuhe etc.] und Hygienemittel [Desinfektion] in den vergangenen Monaten starken Schwankungen unterworfen waren. Auch fehlten spezifische Informationen für Angehörige pflegebedürftiger Menschen zum Umgang mit Hygienemaßnahmen. „Wenn wir wollen, dass die sozialen Netzwerke älterer Menschen durch Corona nicht zerbrechen, dann müssen wir Schutzbekleidung, Desinfektionsmittel und Informationen zu Schutzmaßnahmen für alle zur Verfügung stellen„. Schließlich fordert Fenninger ein Ende der Mangelwirtschaft bei semistationären und stationären Einrichtungen, die es flächendeckend und leistbar in ganz Österreich brauche.
Pakt gegen die Alterseinsamkeit
„Der Pakt gegen Alterseinsamkeit ist eine sinnvolle und notwendige Initiative der Bundesregierung. Angesichts der steigenden Corona-Zahlen ist rasches Handeln von Nöten. Der Samariterbund bringt gerne seine Expertise ein. Denn beim letzten Lockdown hat sich gezeigt, dass bei alleinstehenden, älteren Personen und bei BewohnerInnen von Pflegeeinrichtungen die Besuchsverbote zu massiven Problemen geführt haben„, erklärt Wolfgang Dihanits, Geschäftsführer des Samariterbundes. „Dass Alterseinsamkeit ein großes Thema in unserer Gesellschaft ist, wissen wir schon lange. Doch Corona zwingt uns nun zum raschen Handeln“. Laut einer US-Studie ist „Einsamkeit so schädlich wie 15 Zigaretten täglich.“
Mehrstufen-Plan notwendig
Der Samariterbund-Geschäftsführer spricht sich für ein Mehrstufen-Plan aus: „Langfristig müssen wir den Pflegeberuf attraktivieren und mehr Mut zu neuen Betreuungsmodellen haben. Mittelfristig kann durch die Aufwertung des Freiwilligen Sozialen Jahrs für junge Menschen das Berufsfeld interessanter werden. Den Ansatz ‚vermehrt die Gesundheitsförderung im schulischen Bereich zu verankern‘ begrüßt der Samariterbund und bringt gerne seine Kompetenzen ein. Nur wer in jungen Jahren lernt, auf ausgewogene Ernährung und gesunden Lebensstil zu achten, kann im Alter davon profitieren„, so Dihanits.
Projekt „Plaudertaste“ rasch realisierbar
„Jedoch brauchen wir [auch] kurzfristig Projekte, die das Leid der Betroffenen lindern. Denn Einsamkeit macht krank„. Der Samariterbund könnte ein Projekt gegen Einsamkeit rasch realisieren: Die „Plaudertaste“ biete KundInnen unkomplizierten Kontakt zu geschulten MitarbeiterInnen, die sich Zeit zum Reden nehmen. Dieses mögliche Projekt biete eine Win-win-Situation: Ältere Menschen könnten so einfach Anschluss zur Außenwelt haben, die geschulten GesprächspartnerInnen könnten sich ein Bild über den Gesundheitszustand und die Tagesverfassung der AnruferInnen machen.
Vergleichbare Projekte hat auch – zusätzlich zu bestehenden Besuchsdiensten und pfarrlichen Initiativen – die Caritas auf den Weg gebracht, wie beispielsweise Wärmestuben, Begegnungscafés, Buddy-Projekte oder Social-Media-Gruppen zum Austausch pflegender Angehöriger. Während des Lockdwons wurde zusätzlich das Projekt Plaudernetz – eine österreichweite Hotline gegen das Alleinsein – gestartet. Menschen, die niemanden zum Reden haben, telefonieren mit Freiwilligen, die gerne zuhören. Seit April sind bereits mehr als 6.000 Anrufe aus ganz Österreich eingegangen.
Dass der Bedarf groß ist, wurde auch bei einem zweiten Pilotprojekt deutlich: Die Caritas eröffnete im Sommer 16 Klimaoasen in Wien und Niederösterreich. Orte in Pfarren, wo Menschen ins Gespräch kommen können. Und auch hier: Viele kommen, weil sie Zuhause niemanden zum Reden haben. Allein im Juli und im August wurden 2.000 Besucher gezählt.
Digitalisierung gegen die Alterseinsamkeit
„Im Zusammenhang mit der Thematik Alterseinsamkeit ist mir wichtig zu betonen, wie bedeutend die Digitalisierung von SeniorInnen ist, um Einsamkeit im Alter hintanzuhalten. Digital kompetente SeniorInnen können bei Bedarf ihre Beziehungen online pflegen und ihr selbstbestimmtes Leben länger aufrechterhalten. Dies gilt auch für SeniorInnen in Alten- und Pflegheimen, wenn diese Einrichtungen mit dem entsprechenden Equipment ausgestattet sind und kompetentes Personal dabei unterstützt“, sagt Bedrana Ribo, Sprecherin für Pflege und SeniorInnen der Grünen. „Dafür braucht es allerdings einen breiten politischen Willen und vor allem Geld, um einerseits Altersarmut und andererseits Digitalisierung für SeniorInnen voranzutreiben.“
(Bilder (v.o.n.u.: Pixabay.com, Lukas Beck/ PVÖ, Pixabay.com, Volkshilfe/ Christopher Glanzl, Pixabay.com)