„Es ist definitiv das falsche Jahr für große Feiern. 100 Jahre Caritas hin oder her,“ betont Caritas Präsident Michael Landau. „Wir stehen heute vor einer der größten sozialen Herausforderungen seit Gründung der Caritas vor 100 Jahren. Die Corona-Krise ist längst auch zu einer sozialen Krise geworden. Wir sehen die Not als Hilfsorganisation jeden Tag.“
Im Krisenjahr 2020 ist die Zahl der Menschen, die sich erstmals an die Caritas gewandt haben, in manchen Teilen des Landes um bis zu 70 Prozent gestiegen. Gemeinsam mit Anna Parr, der Generalsekretärin der Caritas Österreich, und Klaus Schwertner, dem Geschäftsführenden Caritasdirektor der Erzdiözese Wien, nimmt Landau das 100-Jahres-Jubiläum der Caritas zum Anlass, um einen sozialen Wiederaufbau des Landes nach der Krise zu fordern: „Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie vor wenigen Tagen einen wirtschaftlichen Comeback-Plan für Österreich ins Leben gerufen hat. Zu unserem 100. Geburtstag wünschen wir uns aber nichts weniger als ein soziales Comeback – einen Plan für den sozialen Wiederaufbau. Mehr noch: Wir fordern eine Garantieerklärung der Bundesregierung, dass die Sanierung dieser Krise nicht auf dem Rücken der Schwächsten passieren darf.“
Generalsekretärin Parr benennt vor allem drei Bereiche, in welchen die Politik nun gefordert ist: „Das Jahr 2021 muss ein Jahr der Wende sein – indem Bund und Länder nun rigorose und sehr konkrete Schritte gegen wachsende Armut setzen. Es muss jenes Jahr sein, in dem der systemrelevante Bereich der Pflege endlich gestärkt wird. Und 2021 sollte jenes Jahr werden, in dem Österreich auch ein Comeback feiert, wenn es um die Solidarität über unsere Landesgrenzen hinaus geht.“
Kampf gegen Armut an 1. Stelle: Sozialhilfe Neu + Arbeitslosengeld + Härtefallfonds
Schwertner pocht vor allem auf die Überarbeitung der Sozialhilfe Neu und eine Wiedereinführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung: „Die Abschaffung der Mindestsicherung erweist sich in der Krise als schwerer Fehler. In unseren Einrichtungen sehen wir: So wie die Sozialhilfe Neu zurzeit gestaltet ist, löst sie keine Probleme für Menschen in Not, sondern sie verstärkt sie.“
Es brauche eine Überprüfung aller Versicherungs- und Sozialleistungen auf ihre Armutsfestigkeit hin, die Ausweitung des Familienbonus für einkommensschwache Haushalte und eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. „Dass Einmalzahlungen notwendig waren, ist der Beweis dafür, dass das Arbeitslosengeld für viele nicht armutsfest ist. Wir müssen sicherstellen, dass Menschen trotz Jobverlust ausreichend Geld zum Leben haben.“
Dringend notwendig wäre jetzt außerdem ein bundesweiter Härtefallfonds, mit dem Miet-Rückstände beglichen werden können: „Rückstände bei Mieten konnten nur bis Ende März gestundet werden. Doch die finanzielle Situation hat sich für die Betroffenen nicht entschärft, im Gegenteil. Wir brauchen jetzt einen bundesweiten Härtefallfonds, mit dem Mietrückstände beglichen werden. Die Alternative ist mehr Obdachlosigkeit.„
Pakt gegen Kinderarmut
Anna Parr appelliert darüber hinaus für einen Pakt gegen Kinderarmut: „Wir wollen keinen Tag länger hinnehmen, dass Armut in Österreich immer noch stark vererbt wird. Zwei Drittel der Klientinnen und Klienten in unseren Sozialberatungsstellen sind Eltern oder Elternteile von Kindern oder Kinder selbst. Jeder Euro, der jetzt in Kinder investiert wird, verhindert Armut in der Zukunft! Es braucht ein umfassendes Paket an Maßnahmen in der Bildung, damit diese Kinder der Armutsspirale entkommen können. Und auch von Armut betroffene Frauen, allen voran Alleinerzieherinnen, brauchen unsere volle Aufmerksamkeit.“ Außerdem sollten wir jetzt über Formen der Kindergrundsicherung nachdenken, die für jedes Kind ein Leben ohne Armut sicherstellen.
Turbogang bei der Umsetzung der Pflegereform
Neben der akuten Armutsbekämpfung brauche es jetzt auch langfristige Weichenstellungen für Österreich – etwa im Pflegebereich oder wenn es um das Thema Einsamkeit geht. Parr: „Bei der Umsetzung der Pflegereform darf nicht länger auf der Bremse gestanden werden. Spätestens seit Beginn der Pandemie ist klar: Die Pflege selbst ist pflegebedürftig. Menschen, die in dem Bereich arbeiten und auch pflegende Angehörige stehen aktuell unter enormen Druck. Da braucht es mehr als Applaus. Und bis 2030 rechnet man mit einem steigenden Personalbedarf von rund 75.000 Menschen. Die geplante Pflegereform muss schnell umgesetzt werden, und zwar jetzt.“
Parr hebt drei Prio-1-Themen hervor: „Um einen zukünftigen Pflegenotstand zu verhindern, braucht es dringend eine Personaloffensive – etwa durch ausreichend kostenlose Ausbildungsangebote sowie finanzielle Unterstützung bei der Ausbildung. Zweitens braucht es jetzt einen Ausbau von mobilen und zeitlich flexiblen Angeboten zur Entlastung von pflegenden Angehörigen. Und drittens braucht es eine Reform des Pflegegeldes – weg von einer defizitorientierten, hin zu einer individuellen, multiprofessionellen Bedarfseinschätzung.“
Mut zur Solidarität über Landesgrenzen hinaus
Abschließend appelliert Landau, der seit 2020 auch Präsident der Caritas Europa ist, an die Bundesregierung, auch europa- und weltweit noch stärker Verantwortung zu übernehmen: „Nach einer Phase wirtschaftlicher Globalisierung brauchen wir jetzt auch eine Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins. Nicht nur bei der Überwindung der Pandemie, sondern auch wenn es um die Klimakrise, den Kampf gegen Hunger und den Umgang mit Menschen auf der Flucht geht.“
Landau appelliert für eine schrittweise Erhöhung der Entwicklungsgelder – gerade in der Krise – und eine schon lange angedachte Ausweitung der finanziellen Mittel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit Fokus auf bilaterale Mittel. „Dass Österreich sich in der Hilfe bei der Impfstoffbeschaffung in der Balkanregion engagiert, ist höchst erfreulich“ lobt Landau die Aktivitäten der EU und des Österreichischen Außenministeriums. Neben finanzieller Solidarität gehe es aber auch um humanitäre Hilfe. Schwertner: „Österreich sollte – so wie 13 andere europäische Staaten auch – im Rahmen einer geordneten Rettungsaktion zumindest 100 anerkannte Familien mit Kindern aus den Elendslagern auf den griechischen Inseln aufnehmen.“
100 Jahre Caritas: Dank an Engagierte & Unterstützerinnen und Unterstützer
Aus Sicht Parrs ist klar: „Die Caritas ist nur so stark, wie die Menschen und Partner, die unsere Arbeit mittragen. Die Caritas hat vor allem in den vergangenen Monaten eine enorme Welle der Solidarität erlebt. Tausende haben bedingungslos geholfen, waren füreinander da. Das gibt uns Hoffnung. Und dafür wollen wir anlässlich unseres 100-jährigen Bestehens auch Danke sagen. Danke an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sozialbereich, an alle, die sich freiwillig engagieren und spenden.“
Abschließend danken Anna Parr und Michael Landau der Erste Bank und Sparkasse sowie dem Wiener Städtische Versicherungsverein für die Unterstützung der Jubiläumskampagne der Caritas.
Bitte helfen auch sie!
Viele Menschen wenden sich infolge der Pandemie erstmals an die Caritas, weil sie dringend Hilfe brauchen. Mit der steigenden Nachfrage an Hilfe, steigt auch der Spendenbedarf. Jede Spende hilft. Sie wärmt, sie macht satt, sie schenkt ein Dach über dem Kopf.
Wenn auch sie einen Beitrag leisten möchten, können sie jetzt spenden unter www.caritas.at/corona-nothilfe.
(Bilder: Marcus Deák, Video: Youtube.com)