Wie heißt es so schön: Man ist so alt wie man sich fühlt. Oder 60 ist das neue 50. Oder Alt werden kann ich immer noch – all diesen „Sprüchen“ wohnt eines inne, nämlich eine positive Einstellung gegenüber dem Alter und dem Altern. Dem gegenüber steht der Arbeitsmarkt. Denn hier beginnt man schon Mitte 40 zu den „alten Eisen“ zu gehören, Stichwort Altersdiskriminierung.
Eine aktuelle Studie der internationalen gemeinnützigen Organisation zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt Generation unter dem Titel Meeting The World’s Midcareer Challenge [„Die weltweite Midcareer-Problematik“], die auf einer Umfrage unter 3.800 Beschäftigten und Arbeitslosen sowie 1.404 Personalverantwortlichen basiert, untersucht genau diese Thematik. Die Studie beleuchtet konkret den Arbeitsmarkt für Menschen zwischen 45 bis 60 Jahren in sieben Ländern – Brasilien, Indien, Italien, Singapur, Spanien, Großbritannien und den USA – mit besonderem Augenmerk auf diejenigen, die eine Stelle im unteren oder mittleren Segment der Karriereleiter suchen oder innehaben, keine formale postsekundäre Bildung abgeschlossen haben und Niedrigverdiener•innen sind. Die Ergebnisse verdeutlichen die großen Risiken von Arbeitslosigkeit für Arbeitnehmer•innen in der Mitte ihrer Laufbahn und bieten Einblicke in die Gründe für ihre Schwierigkeiten.
„Brennglas“ Corona-Krise
Diese Trends bestanden grundsätzlich auch vor schon der Corona-Pandemie. Aber die Studienergebnisse zeigen ganz deutlich, dass die Corona-Krise negative Konsequenzen auf die Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer•innen dieser Altersgruppe hatte und sich ihre Arbeitsbedingungen verschlechtert haben. 37 Prozent der Arbeitnehmer•innen, die in ihrer Lebensmitte die Stelle gewechselt haben, und 50 Prozent der Arbeitssuchenden geben an, dass die Corona-Krise großen Einfluss auf ihren Beschäftigungsstatus hatte.
Arbeitgeber•innen sehen Kandidaten•innen über 45 Jahre im Vergleich zu jüngeren Bewerbern als schwächer qualifiziert an. Und das, obwohl über 45-jährige Mitarbeiter•innen im selben Unternehmen die gleiche oder eine bessere Leistung am Arbeitsplatz erbringen als ihre jüngeren Arbeitskolleg•innen.
Altersdiskriminierung eines der größten Hindernisse bei der Stellensuche
Die Studie zeigt, dass Menschen im Alter von über 45 Jahren auf dem Arbeitsmarkt steigendem Druck ausgesetzt sind, und dass ihr Alter eines der größten Hindernisse bei der Stellensuche ist. 71 Prozent der aktuellen Arbeitssuchenden sehen ihr Alter als ein großes Hindernis an. Arbeitnehmer•innen aus unterrepräsentierten Gemeinschaften stehen sogar noch größeren Hürden gegenüber: Sie müssen 53 Prozent mehr Vorstellungsgespräche als ihre Altersgenoss•innen führen, um [endlich] ein Stellenangebot zu erhalten.
Die Studie findet auch klare Beweise dafür, dass die Wahrnehmung von Altersdiskriminierung begründet ist. Personalmanager•innen haben eine negative Meinung über Kandidat•innen über 45: Sie geben an, dass nur 17 Prozent bereit für eine Stelle seien, 18 Prozent über relevante Fähigkeiten oder Erfahrungen verfügen und 15 Prozent in die Unternehmenskultur passen.
Dieselben Personalverantwortlichen, die sich negativ über Kandidat•innen im mittleren Lebensalter geäußert haben, räumen ein, dass 87 Prozent der über 45-Jährigen ihre Stellung genauso gut oder besser ausführen als jüngere Mitarbeiter•innen. In der Studie gaben Personalverantwortliche auch an, dass 90 Prozent ihrer über 45-jährigen Mitarbeiter•innen potentiell genauso lange oder länger bei einem Unternehmen bleiben wie jüngere.
Weiterbildung wirkt
Sowohl Arbeitgeber•innen als auch Arbeitnehmer•innen schätzen hochwertige Weiterbildungsmaßnahmen. Aber die Arbeitssuchenden über 45, die sie am meisten benötigen würden, nehmen am wenigsten daran teil.
Die Umfrage belegt, dass Weiterbildung grundsätzlich funktioniert: In allen sieben Ländern sehen 74 Prozent der Arbeitnehmer•innen, die in ihrer Lebensmitte erfolgreich eine neue Laufbahn eingeschlagen haben, die in der Weiterbildung erlernten Fähigkeiten als entscheidend für die Sicherung der neuen Stelle an. Und drei von vier Arbeitgeber•innen geben an, dass Schulungen und Zertifizierungen bei der Einstellung mit einschlägiger Erfahrung gleichzusetzen sind.
Dennoch zögern die Arbeitslosen über 45, deren Aussichten sich am meisten durch eine Weiterbildung verbessern würden, am meisten: 57 Prozent geben an, dass sie zögern, und nur ein Prozent meint, dass eine Weiterbildung ihr Selbstvertrauen bei der Jobsuche erhöhen könne. Diese Gruppe der über 45-jährigen Arbeitssuchenden würde am meisten von einer Weiterbildung profitieren – 70 Prozent von ihnen haben Schwierigkeiten, den täglichen Bedarf zu decken und 63 Prozent haben einen Sekundarschulabschluss oder weniger. Mögliche Gründe für diese Ansicht könnte die Wahrnehmung sein, dass Weiterbildung ein Luxus ist, den sie sich nicht leisten können, oder aber negative Erfahrungen mit formaler Bildung in der Vergangenheit.
Die wichtigsten Empfehlungen
Um die Herausforderungen zu lösen, mit denen Arbeitssuchende und Arbeitnehmer•innen in der mittleren Lebensphase konfrontiert sind, bedarf es einer Reihe von Initiativen. Der Bericht bietet vier konkrete Ansatzpunkte:
- Verbesserung der nationalen und globalen Beschäftigungsstatistiken und der Berichterstattung, so dass darin engere Altersgruppen berücksichtigt werden. Damit würde die besondere Problematik der Bevölkerung über 45 besser beleuchtet.
- Die direkte Verknüpfung von Ausbildungsprogrammen mit Arbeitsmöglichkeiten und die Bereitstellung von Stipendien zur Unterstützung von Menschen über 45, die vor einer Weiterbildung zurückschrecken.
- Änderung der Einstellungspraktiken, um potenzielle altersbedingte Vorurteile zu überwinden und das Potenzial von Bewerbern über 45 besser einschätzen zu können, indem man ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Fähigkeiten konkret in praxisnahen Beispielen zu demonstrieren.
- Ein Überdenken der derzeitigen Weiterbildungsansätze von Arbeitgeber•innen, um es einfacher zu machen, neue Positionen mit bestehenden Mitarbeitern über 45 zu besetzen, anstatt ausschließlich auf Neueinstellungen zurückzugreifen.
Mona Mourshed, die Global CEO von Generation, dazu: „Die Aussage von Arbeitgeber•innen, die Arbeitssuchende im Alter von 45 Jahren und älter eingestellt haben, dass diese Arbeitnehmer•innen tendenziell besser abschneiden als ihre jüngeren Kolleg•innen, ist erfreulich, unterstreicht aber auch die Tragik der heutigen Beschäftigungslandschaft. Wir haben die Meinung von Arbeitssuchenden und Arbeitnehmer•innen in der Mitte ihres Berufslebens in sieben Ländern, in denen Generation-Programme laufen, eingeholt, um diese aussagekräftige Studie zu erstellen. Wir hoffen, dass diese neue Studie sowohl Regierungen als auch Arbeitgeber•innen veranlassen wird, Maßnahmen gegen die grassierende Altersarmut zu ergreifen und diese vergessene Altersgruppe in ihre Konjunkturmaßnahmen einzubeziehen.“
Weltweit bisher wenig Aufmerksamkeit
Das spezifische Problem der Arbeitslosigkeit in der Mitte des Berufslebens hat bisher weltweit wenig Aufmerksamkeit erhalten. Dieses Studienergebnis markiert einen entscheidenden Punkt für Generation, der internationalen gemeinnützigen Organisation, die in den letzten 6,5 Jahren über 43.000 Menschen erfüllende Karrieren vermittelt hat. Generation weitete im Jahr 2018 seine Programme von einer jungen Klientel auf Menschen mittleren Alters aus und es hat bisher etwa 900 Menschen dieser Altersgruppe geholfen. Generation ist in 14 Ländern und 30 Berufen aktiv und vermittelt innerhalb von drei Monaten nach Abschluss seines Programms 83 Prozent der Absolvent•innen eine Stelle und unterstützt Arbeitgeber•innen bei der Einstellung von Kandidat•innen in der Lebensmitte.
Die von Generation in Auftrag gegebene Studie fand zwischen März und Mai 2021 statt. Die 3.800 Befragten umfassten sowohl Beschäftigte als auch Arbeitslose im Alter von 18 bis 60 Jahren. In der Umfrage wurden die Befragten entweder als Suchende oder als Quereinsteiger•innen eingestuft. Unter die Suchenden eingestuft wurden Menschen, die sich um ihre Angehörigen gekümmert haben, arbeitslos oder teilzeitbeschäftigt waren und die Vollzeitpositionen am unteren oder mittleren Ende der Karriereleiter suchten. Als Quereinsteiger•innen wurden Menschen eingestuft, die in der Mitte ihres Berufslebens standen, derzeit Vollzeit beschäftigt sind und innerhalb der letzten drei Jahre in einer Position am unteren oder mittleren Ende der Karriereleiter in einem neuen Sektor tätig waren.
Für die Einschätzung der Personalverantwortlichen wurden 1.404 Personen befragt. Alle Personalverantwortlichen waren für die Einstellung von Bewerbern am unteren oder mittleren Ende der Karriereleiter verantwortlich, haben dies mindestens dreimal im vergangenen Jahr getan und haben in den letzten drei Jahren mindestens eine/ n Quereinsteiger•in eingestellt.
Informationen zu Generation
Generation ist eine gemeinnützige Organisation, die die Bildungs- und Beschäftigungslandschaft transformiert, indem sie Menschen die Möglichkeit zur Ausbildung, Vermittlung und Unterstützung verschafft, durch die sie in Berufen arbeiten können, die sonst für sie unerreichbar wären, und so ihr Leben verändert.
Weitere Informationen finden sie unter www.generation.org.
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