Was macht eigentlich unsere Sicht vom Alter und vom Altern aus? Welche Alternsbilder gibt es, wie entstehen sie und wie werden sie transportiert? Welche Wirkung, welche Macht haben sie? Was „machen“ sie mit uns, mit unserer Gesellschaft? In einem Hintergrundgespräch gingen Expertinnen und Experten diesen Fragen nach, beleuchteten diesen Themenkomplex von verschiedenen Seiten, zeigten auf, wie wesentlich die Rolle der Medien bei der Etablierung von Alter[n]sbildern ist und wie negative Alter[n]sbilder vermieden werden können.
Was sind „Altersbilder“?
„Altersbilder“ sind die Vorstellungen und Erwartungen, die wir als Gesellschaft mit dem Thema „Alter[n]“ verbinden. Sie haben einen wesentlichen Einfluss darauf, was junge Menschen für ihr eigenes Alter erwarten und wie ältere Menschen gesehen werden und sich selbst sehen. „Eine positive Sicht auf ein langes Leben, Anerkennung und Wertschätzung für den Erfahrungsschatz und die Potenziale älterer Menschen sind gut für deren Gesundheit. Negative, pessimistische Bilder verschlechtern die Teilhabemöglichkeiten von älteren Menschen, stören den Dialog zwischen den Generationen und führen zu Altersdiskriminierung“, so Dr. Klaus Ropin, Leiter des Fonds gesundes Österreich [FGÖ].
Ein positives Bild vom Älterwerden zu haben, heißt der Vielfalt und Vielschichtigkeit dieses Prozesses mit einer Vielfalt der Bilder gerecht zu werden. Es gehe nicht darum, mögliche Risiken des Älterwerdens zu verleugnen. Es gehe vielmehr darum, durch positive Kommunikation ein neues Bild des Alter[n]s zu vermitteln, so Ropi weiter. Und dabei spielen die Medien eine wichtige Rolle.
Alte Stücke, neue Bilder: King Lear und das Alter[n]sbild im Wandel der Zeit
Anhand der Wandlung des Bildes von King Lear in Theater und Film – von Shakespeares altem, weisen Mann zum Diktator mit Demenz in aktuellen Interpretationen – zeigt Assoz. Prof.in Dr.in Ulla Kriebernegg, Leiterin des Zentrums für interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung der Universität Graz, den Wandel des Altersbildes in der Gesellschaft auf.
Lear wird in Theaterproduktionen zunehmend als ‚seniler Grantscherm‘, der arrogant, herrschsüchtig und launenhaft ist, dargestellt. Der „senile Alte“ wird in neuen Inszenierungen zur Last, und das Publikum zeigt eher Empathie mit den Töchtern, die den alten, anstrengenden Vater versorgen müssen, als mit dem alten Mann selbst.
Kriebernegg: „Interessanterweise finden sich zunehmend Interpretationen, die Lears ‚Wahnsinn‘ nicht mehr als Ausdruck von Verzweiflung im Kontext der verstörenden Selbsterkenntnis, sondern als Demenz diagnostizieren. Natürlich kannte Shakespeare die Diagnose ‚Demenz‘ noch nicht, und Lear wird ja bekanntermaßen verrückt, weil er von seinen Töchtern so enttäuscht wird, dass ihm das Herz bricht. In vielen modernen Interpretationen liegt es aber nicht mehr an den Umständen, dass Lear ist, wer er ist, sondern an ‚seiner Krankheit‘.“ Die Diagnose ‚Demenz‘ verändere die Botschaft des Stückes – und unsere Vorstellungen vom Alter[n].
Was sagen uns die heutigen, modernen Interpretationen von Lear über gesellschaftliche Altersbilder? Kriebernegg: „Dass Lear nun Demenz diagnostiziert wird, ist nicht als moderne und medizinisch auf den neuesten Stand gebrachte Interpretation seines Wahnsinns zu sehen. Vielmehr ist die Diagnose Ausdruck unserer schlimmsten Befürchtungen in Zeiten des ‚Pflegenotstandes‘: Demenz gilt in den letzten Jahren als das am stärksten mit dem Altern in Verbindung gebrachte Schreckgespenst und symbolisiert auch den Schrecken des Kontrollverlusts, der oft fälschlicherweise als normaler Teil des Alterungsprozesses angenommen wird.
Die Darstellung der Würdelosigkeit und der Infantilisierung des Alterns, die in diversen Inszenierungen normalisiert wird, entfaltet eine starke Wirkung und trägt zu Ageism, also Altersdiskriminierung bei. Schlussendlich prägen Literatur und Film unsere Wahrnehmungen entscheidend mit.“
„No more wrinkly hands!“ Die Macht von Alternsbildern und wie sie sich verändern lassen“
„Unter Alter[n]sbildern lassen sich die individuellen und kollektiven Deutungsmuster verstehen, die dem Alter[n] seine gesellschaftliche Bedeutung verleihen. Wer alt ist, wer jung ist, wie wir als Gesellschaft und individuell das Älterwerden bewerten, ob wir damit Abbau und Krankheit oder das Entdecken von neuen Rollen und Zielen im Leben verbinden, ist nicht fixiert, sondern sowohl individuell als auch kollektiv wandel- und gestaltbar. Alter[n]sbilder wirken auf unsere Verhaltensweisen im Umgang mit älteren Menschen prägend.
Aber nicht nur das: Sie prägen auch die Selbstwahrnehmung der älteren Menschen. Und leider zeigt die wissenschaftliche Forschung eine gewisse Persistenz von negativen und defizitorientierten Alter[n]sbildern in unterschiedlichen Medien auf,“ erläutert Dr.in Vera Gallistl vom Kompetenzzentrum Gerontologie und Gesundheitsforschung der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems.
Ein Problem mit den Altersbildern ist die homogenisierende Darstellung des Alters [„Alle alten Menschen leben in Pflegeeinrichtungen“]. Daher auch so oft das Bild der alten, faltigen Hände, wenn „Alter“ in Medien illustriert werden soll. Wird aber die Heterogenität des Alters mitbedacht, kann dies gegen die Zeichnung eines defizitären Alter[n]sbildes helfen. Gallistl: „Man kann sich fragen: Bezieht sich mein Beitrag auf Personen kurz nach dem Erwerbsleben ohne gesundheitliche Einschränkungen? Geht es um hochaltrige Personen mit Pflegebedarf? Geht es um „junge Alte“, die ein neues Ehrenamt aufnehmen? Eine differenzierte Bild- und Textsprache hilft gegen homogenisierende Alter[n]sbilder.“
Neben der Darstellung von Heterogenität von unterschiedlichen Altersphasen geht es darum, zu sehen, dass das Älterwerden nicht nur mit Abbau und Einschränkungen einhergeht.
Gallistl betont: „Das Alter ist heute nicht mehr der ‚Abschluss‘ des Lebens, sondern eine eigenständige Lebensphase von etwa 10-20 Jahren nach dem Erwerbsleben, in der neue Rollen und Ziele entdeckt und umgesetzt werden können. Von den im Durchschnitt 79 bzw. 84 Jahren, die Männer bzw. Frauen in Österreich leben [Lebenserwartung im Jahr 2019], werden bei Frauen im Schnitt nur die letzten fünf Jahre, bei Männern die letzten vier Jahre bei schlechter Gesundheit verbracht. Davor ist die Lebensphase Alter eine Phase von ‚später Freiheit‘[1], in der neue Ziele und Rollen entdeckt werden können. Werden diese Freiheiten und Potentiale des Älterwerdens in der Berichterstattung sichtbar gemacht, kann gesellschaftlich ein positiveres Alter[n]sbild entstehen.“
„Neue Bilder des Alter[n]s – Impulse zum sensiblen Umgang mit Alter[n]sbildern in den Medien“
Anhand des im Auftrag des Dialog gesund & aktiv und altern verfassten Leitfadens „Neue Bilder des Alter[n]s“ bringt Kommunikationsexpertin Mag.a Yvonne Giedenbacher praxisbezogene Anregungen und Beispiele für eine wertschätzende Kommunikationsarbeit, die dazu beitragen kann, das Bild des Alter[n]s in den Medien und somit in unseren Köpfen in all seiner Vielfalt darzustellen. Giedenbacher: „Das Altern des Individuums wird gern mit Abbau und Verlust assoziiert. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene werden Systembelastungen – des Gesundheits- und Pflegesystems oder der Pensionsversicherung – betont. Viele Bilder und Texte folgen diesen beiden Mustern und verstärken sie. Die Personengruppe der alten Menschen ist aber eine enorm heterogene Gruppe, die ständig im Wandel ist.“
Was können wir tun, um negativen Alter[n]sbildern keinen Vorschub zu leisten? Den/ die Menschen nicht unsichtbar machen, Framing- und Othering-Effekte bedenken, Vereinnahmungen oder Verniedlichungen vermeiden, stereotype Darstellungen hinterfragen, Alternativen finden.
Lassen sie Menschen nicht verschwinden!
Giedenbacher appelliert, alte Menschen nicht hinter einzelnen Merkmalen [Bilder einer alten faltigen Hand, Zuschreibung „Pflegefall“ u. dgl.] „verschwinden“ zu lassen. „Beschreiben und zeigen Sie den Menschen mit seinen vielfältigen Eigenschaften, reduzieren Sie nicht auf Stereotype“.
Sagen sie die Apokalypse ab!
Gerade im Zusammenhang mit Themen wie Pensionen, Pflege oder Bevölkerungsentwicklung werden oft apokalyptische Szenarien gezeichnet. Da ist schnell von „Überalterung“ oder gar von „kippenden Alterspyramiden“ die Rede. Giedenbacher schlägt vor, stattdessen zum Beispiel die Begriffe „demografischer Wandel“ oder „neue Altersstruktur“ zu verwenden.
„Omis“, „Opis“ und „unsere lieben Alten“
Giedenbacher appelliert, keine Verniedlichungen und Vereinnahmungen zu formulieren, sondern immer respektvoll und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Statt „Blumengrüße zum Valentinstag für unsere Senioren im Pflegeheim“ könnte man doch auch ganz neutral „Blumengrüße für die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims“ schreiben.
Stur oder weise? Positive und negative Stereotypen vermeiden!
„Nicht alle älteren Menschen sind weise, warmherzig und großmütterlich bzw. großväterlich, aber ebenso wenig einsam, isoliert und krank. Um negative Alter[n]sbilder zu vermeiden, verzichten sie in ihren Darstellungen auf stereotype Zuspitzungen, Klischees und Vorurteile, die ältere Menschen kränken könnten. Es gilt, ein realistisches, vielfältiges Bild zu zeichnen.“
Service | Hintergrund | Quellen
Den Leitfaden „Neue Bilder des Alter(n)s“ können sie HIER als Pdf downloaden.
Die Veranstaltung wird aus den Mitteln der Initiative Agenda Gesundheitsförderung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz finanziert und durch den Fonds Gesundes Österreich, Kompetenzzentrum Zukunft Gesundheitsförderung, in Kooperation mit dem Dialog gesund & aktiv altern umgesetzt.
[1] Rosenmayr, L. (1983). Die späte Freiheit. Das Alter – ein Stück bewusst gelebten Lebens. Berlin: Severin und Siedler.
* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine durchgehende gendergerechte Schreibweise verzichtet. Sofern nicht anders vermerkt, gelten alle Bezeichnungen für alle Geschlechter.
(Bilder: AdobeStock, ettl_goeg, furgler, luiza_puiu, alex_berger)