Mangelernährung im Alter ist ein hoch relevantes Problem mit erheblichen Auswirkungen. Sie führt zu Muskelabbau und erhöhter Sturzneigung, schwächt das Immunsystem, begünstigt Infektionen und beeinträchtigt die Kognition. Etliche Spitalseinweisungen und frühzeitige Pflegebedürftigkeit könnten vermieden werden, nähme Österreich sich ernsthaft des Problems an. Präventive Vermeidung von Mangelernährung wäre nicht nur volkswirtschaftlich sinnvoll, sondern würde beträchtliches menschliches Leid verhindern.
Mangelernährung hat verheerende Konsequenzen
Das Hilfswerk startet deshalb eine Initiative gegen Mangelernährung im Alter. „Es ist viel zu wenig bewusst, wie relevant das Problem unzureichender Ernährung bei älteren Menschen ist und welche verheerenden Konsequenzen damit einhergehen. Wir wollen mit unserer Initiative sensibilisieren und informieren, aber auch konkret handeln. Daher bieten wir nicht nur Beratung, Broschüren und ein Webportal zum Thema an, sondern bilden auch unsere Fachkräfte gezielt fort und setzen ein Screening-Instrument ein. Wichtig ist auch die multiprofessionelle Kooperation, insbesondere mit der Ärzteschaft und der Diätologie“, so Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich. Außerdem fordert das Hilfswerk die Umsetzung eines Masterplans gegen Mangelernährung im Alter.
Hilfswerk: Sieben-Punkte-Plan gegen Mangelernährung im Alter!
„Es kann nicht sein, dass unsere Wohlstandsgesellschaft ausgerechnet dort einen blinden Fleck hat, wo es um die Ernährung älterer und chronisch kranker Menschen geht“, meint Hilfswerk-Präsident Othmar Karas. „Angesichts der weitreichenden Auswirkungen muss unser Ziel sein, Mangelernährung im Alter zu stoppen. Lassen wir Betroffene und Angehörige nicht länger mit ihren Problemen alleine. Setzen wir auf Prävention sowie zeit- und sachgerechte Intervention.
Vermeiden wir unnötiges menschliches Leid und entlasten wir das Gesundheits- und Pflegesystem
“, appelliert Karas und stellt den Hilfswerk-Masterplan mit sieben Forderungen an die Gesundheitspolitik vor:
- Verbesserung der Datenlage und Evidenz
- Einbindung und Sensibilisierung der an den von Mangelernährung Betroffenen tätigen Berufsgruppen [Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Sozialberaterinnen und -berater u. a.]
- Ausbau niederschwelliger Angebote zur Beratung, Begleitung und Kompetenzstärkung bei Betroffenen und Angehörigen [„Diätologischer Werkzeugkoffer“]
- Implementierung und Finanzierung des integrierten Ernährungspfades
- Abbau der Bürokratie bei der Bewilligung von Therapien und Zusatznahrung
- Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten
- verstärkter präventiver Fokus [insbesondere bei Zusatznahrung]
Mangelernährung erzeugt Leid, Folgekosten und Belastungen im Versorgungssystem
„Bereits heute werden rund 50 Prozent aller Spitalstage in Europa von Menschen über 85 Jahren generiert“, erläutert Regina Roller-Wirnsberger, Professorin für Geriatrie sowie Leiterin der Forschungsabteilung Altersmedizin und lebenslange Gesundheit an der Medizinischen Universität Graz. „Wesentlicher Faktor dabei ist die Gebrechlichkeit älterer Menschen, die sehr oft in Zusammenhang mit einem mangelhaften Ernährungszustand der Betroffenen steht“, so Roller-Wirnsberger.
„Folgen des Alterns wie körperliche Veränderungen, beispielsweise Kau- oder Schluckprobleme, aber auch soziale und psychische Herausforderungen schlagen auf den Appetit, finanzielle und kognitive Probleme beeinträchtigen die Qualität und Regelmäßigkeit der Ernährung. Der Gesundheitszustand verschlechtert sich, was den Nährstoffbedarf zusätzlich steigert. Eine verhängnisvolle Abwärtsspirale, die individuell zu großem Leid und insgesamt zu einer Belastung des Gesundheits- und Pflegesystems führt, kommt in Gang“, so Roller-Wirnsberger.
„Um die Gebrechlichkeit und Pflegeabhängigkeit älterer Menschen zu reduzieren sowie ihre Lebensqualität und Selbstversorgungsfähigkeit zu erhalten, bedarf es präventiver, interdisziplinär begleiteter Interventionen. Beugen wir der Mangelernährung flächendeckend vor, könnten wir die Mortalität im Spital oder die Anzahl von stationären Wiederaufnahmen deutlich reduzieren“, meint Roller-Wirnsberger. Leider sei es um die Versorgungslandschaft für Prävention schlecht bestellt. Roller-Wirnsberger verweist beispielsweise auf die Hindernisse bei der Verschreibung wirksamer, Muskelmasse und Muskelkraft erhaltender Eiweiß-Zusatznahrung. Die Gesundheitskasse sieht dafür Chefarztpflicht sowie fachärztliche Befunde vor, die Verschreibung erfolgt zumeist in einem späten Stadium des Nahrungsmangels.
Fachbefunde sind im niedergelassenen Bereich nur schwer zu erbringen, Überweisungen an Diätologinnen und Diätologen finden wegen fehlender Kassenverträge kaum statt. Auch eine systematische Erhebung von Daten zur Ernährungslage älterer Menschen gibt es hierzulande nicht. Rechnet man Zahlen aus Deutschland auf Österreich um, fallen im stationären und ambulanten sowie im Pflegebereich Kosten von etwa 1,1 Mrd. Euro aufgrund von Mangelernährung im Alter an.
Warnhinweise und Maßnahmen gegen Mangelernährung im Alltag und in der Pflege
Um Mangelernährung und Muskelschwund vorzubeugen, legt die Diätologin Johanna Fattinger-Picker Bewegung und gezieltes Krafttraining nahe sowie ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eine abwechslungs- und vor allem eiweißreiche Nahrung. Je früher man Ernährungsmangel erkenne, umso besser seien die Eingriffsmöglichkeiten. Älteren Menschen und ihren Angehörigen rät Fattinger-Picker: „Erste Anzeichen insuffizienter Ernährung können geringere Leistungsfähigkeit, allgemeine Schwäche, Abgeschlagenheit oder Appetitlosigkeit sein. Ein deutlicher Warnhinweis ist Gewichtsverlust. Ich empfehle deshalb eine regelmäßige Gewichtskontrolle: Geht das Gewicht um 1 bis 2 Prozent pro Woche oder 5 Prozent in einem Monat zurück, sollte hausärztliche und diätologische Hilfe in Anspruch genommen werden“, empfiehlt Fattinger-Picker.
Schulungsschwerpunkt zum Thema Ernährung im Alter
„Rund 500 Fachkräfte des Hilfswerks erweitern derzeit ihre Kompetenzen zum Thema Ernährung im Alter in unterschiedlichen Schulungsmaßnahmen. Sie lernen, wissenschaftlich anerkannte Screening-Methoden im Pflegealltag anzuwenden, sie beraten Betroffene und Angehörige und kümmern sich um die Vernetzung zwischen Pflege, Medizin und Diätologie“, berichtet Sabine Maunz, fachliche Leiterin Pflege und Betreuung im Hilfswerk Österreich. Zudem setzt das Hilfswerk auf möglichst frühe und praxisnahe Aufklärungsarbeit. Die neu erschienene und kostenlos erhältliche Broschüre „Gesund genießen, aktiv bleiben“ bietet praxisnahe Tipps zum Erkennen und im Umgang mit Mangelernährung sowie Basiswissen rund um bewusste Ernährung im Alter, mit zahlreichen Tipps und Rezeptideen.
Service
Die Inhalte der Broschüre sind auch online unter www.hilfswerk.at abrufbar, Info-Häppchen gibt es zudem via Facebook und Instagram. Das Angebot runden Beratungsangebote in den Hilfswerk-Einrichtungen sowie die kostenlose Service-Hotline 0800 800 820 ab.
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