Das Coronavirus stellt insbesondere für ältere Menschen eine große Herausforderung dar. Wir haben mit Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer, dem Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen [DZA] zum Thema „Ältere Menschen in der Corona-Pandemie“ gesprochen. Lesen sie hier, wie er die aktuelle Situation einschätzt, wie sich die Pandemie auf die Lebenssituation älterer Menschen auswirkt, was sie gegen Vereinsamung machen können, wie wir ältere Menschen unterstützen können, u.v.m.
Professor Tesch-Römer, Sie leiten das Deutsche Zentrum für Altersfragen und beschäftigen sich mit der Lebenssituation älterer Menschen. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Leben älterer Menschen?
Älteren Menschen wird es zunächst einmal so gehen wie allen Menschen, egal welchen Alters. Besorgt, verängstigt, gelähmt, niedergeschlagen – aber sie werden dann doch wieder mit Lebensmut und Hoffnung versuchen, mit der Situation umzugehen. Im Übrigen gibt es „die Alten“ gar nicht: Das Alter ist bunt, und wir müssen uns hüten, verallgemeinernd über ältere Menschen zu sprechen.
Schauen sie sich doch einmal die zweite Lebenshälfte an, die wir hier am Deutschen Zentrum für Altersfragen untersuchen. Die zweite Lebenshälfte, das ist die Lebensphase, in der Menschen realisieren, dass ihre Lebenszeit endlich ist und dass sie allmählich älter werden. Die 40-Jährigen sorgen sich um ihren Arbeitsplatz und müssen zugleich ihre Kinder beschulen. Die 60-Jährigen würden gerne ihre Enkel unterstützen und freiwillig aktiv sein, können das aber zurzeit nicht. Den 80-Jährigen wird täglich gesagt, dass sie zur absoluten Risikogruppe gehören. Möglicherweise gehen sie deswegen gar nicht mehr aus dem Haus.
Dazu kommen aber noch die großen Unterschiede in Einkommen und Vermögen: Wer Geld hat, lässt sich Dinge einfach über private Dienste liefern – auch Klopapier und auch wenn die allgemeinen Lieferdienste ausgebucht sind.
Was sagt denn Ihre Forschung zur aktuellen Lebenssituation älterer Menschen?
Aus dem Deutschen Alterssurvey, unserer Langzeitstudie zur zweiten Lebenshälfte, die es schon seit 1996 gibt, wissen wir, dass die Mehrzahl der älteren Menschen sozial gut eingebettet ist, dass der Kontakt zwischen den Generationen gut ist, und dass sich der Gesundheitszustand insbesondere der Menschen, die bereits in den Ruhestand gegangen sind, im Zeitvergleich
verbessert hat.
Und noch ein wichtiger Punkt: Ältere Menschen sind gar nicht so viel einsamer als jüngere. Wenn man sich anschaut, wie sich die Einsamkeit zwischen dem Alter 40 und 90 verändert, dann ist die Einsamkeitsquote recht stabil. Nur eine kleine Minderheit der Menschen in der zweiten Lebenshälfte – zwischen etwa 5 und 10 Prozent – fühlt sich sehr einsam. Aber das kann sich durch die Corona-Pandemie natürlich ändern. Darüber werden wir erst in Zukunft etwas Genaueres sagen können.
Was können wir tun, damit ältere Menschen, die jetzt keinen Besuch haben dürfen, nicht vereinsamen?
Jede Form der Kommunikation ist wichtig, um Einsamkeit zu vermeiden. Fast alle älteren Menschen haben ein Telefon. Deswegen: Nutzt das Telefon – Enkel, ruft Eure Großeltern an; Nachbarinnen und Nachbarn, ruft Euch gegenseitig an! Aber auch ganz altmodische Briefe und Postkarten bereiten Freude. Wenn man sich schon nicht regelmäßig treffen kann, dann sollte man doch voneinander hören oder lesen können.
Außerdem müssen ältere Menschen Zugang zu digitalen Kommunikationsformen haben: Es ist doch toll, in einer Videokonferenz mit Freundinnen und Familie nicht nur zu sprechen, sondern sie auch zu sehen. Aber nicht alle haben die notwendigen Geräte, nicht alle können ein solches Gerät bedienen, wenn es im Haushalt vorhanden ist. Da ist es dann die Aufgabe der Nachbarschaft, sich um alte und sehr alte Menschen zu kümmern und Kontakt zu halten.
Was kann man denn darüber hinaus tun, um ältere Menschen jetzt zu unterstützen?
Es gibt ja unglaublich viele kreative und tolle Ideen. Letztens habe ich ein Foto von einem Straßenbild gesehen: Da haben Kinder vor dem Haus ihrer Großmutter einen Blumenstrauß auf den Gehweg gemalt und darunter geschrieben: Oma, wir haben Dich lieb. Ich fand das sehr rührend – und ich bin fest davon überzeugt, dass auch die Großmutter die Zuneigung ihrer Enkel gespürt hat.
Aber natürlich ist auch handfeste Hilfe wichtig. Bei uns im Haus haben junge Leute einen Zettel an die Haustür gehängt und angeboten, für die Älteren im Haus einkaufen zu gehen. Da sehe ich übrigens eine große Chance für gegenseitige Solidarität. Die Jüngeren können einkaufen, die Älteren können etwas beitragen, was man auch zu Hause machen kann: Wer eine Nähmaschine hat, näht Masken für die Hausbewohner.
Alte Menschen sind keine Opfer, sondern ein wichtiger und aktiver Teil unserer Gesellschaft. Da fällt zurzeit viel weg.
Könnten Sie Beispiele für das gesellschaftliche Engagement älterer Menschen nennen?
Der ebenfalls von uns durchgeführte Freiwilligensurvey zeigt, dass das freiwillige Engagement in hohem Maße auch durch Ältere getragen wird. Viele Menschen im Rentenalter sind freiwillig engagiert, in ganz unterschiedlichen Organisationen. Von den „Tafeln“, die arme Menschen mit Essen versorgen, bis zu den „Omas gegen rechts“ – aber viele dieser Initiativen mussten auf Grund der Corona-Pandemie ihre Arbeit einstellen.
Ganz wichtig ist auch das familiäre Engagement: Großeltern betreuen häufig ihre Enkelkinder und unterstützen damit junge Familien. Aber dieses familiäre Engagement ist zur Zeit ja ebenfalls nicht möglich. Wenn dieses Engagement wegfällt, müssen wir es durch staatliche oder kommunale Angebote ausgleichen.
Aber sind die sehr alten Menschen, die über-80-Jährigen, nicht eigentlich doch vor allem eins: die Hauptrisikogruppe für Covid-19?
Mir ist es ganz wichtig, dass wir nicht pauschalisierend über ältere Menschen sprechen. Nicht das Lebensalter allein ist das Risiko für Covid-19, sondern der Gesundheitszustand und Vorerkrankungen, die mit steigendem Lebensalter natürlich zunehmen.
Es gibt gesunde ältere Menschen, und es gibt auch jüngere Menschen mit Vorerkrankungen. Klare Risiko-Kommunikation ist in diesen Zeiten wichtig, und da muss auf das insgesamt erhöhte Covid-19-Risiko bei älteren und sehr alten Menschen hingewiesen werden.
Dennoch ist auch hier ein differenziertes Altersbild wichtig. In der aktuellen Situation kursieren häufig pauschalisierenden Aussagen über „die Alten“. Die damit transportierten negativen Altersstereotype können zu einer Zunahme von Altersdiskriminierung führen. In der jetzigen Situation kann eine solche Altersdiskriminierung von erheblicher Bedeutung sein: Wenn bei Entscheidungen über knappe Ressourcen nicht das Individuum und seine ganz eigene Lebenssituationen betrachtet wird, sondern nur das Alter zählt, dann wäre dies ein Beispiel für eine erhebliche Altersdiskriminierung.
Es handelt sich bei Corona inzwischen um eine Pandemie, also die ganze Welt ist davon betroffen. Gibt es hinsichtlich des Umgangs mit Älteren Unterschiede zwischen Deutschland und anderen Ländern?
Wie wir alle wissen, gibt es große regionale Unterschiede in der Zahl der an Covid-19 erkrankten Menschen. Wir wissen allerdings bislang noch nicht, ob und welche Unterschiede es mit Blick auf die Lebenssituationen älterer Menschen gibt. In Teilen Italiens oder Spaniens war aber die Zahl der erkrankten und gestorbenen Menschen erschreckend hoch.
Ein Problem ist in diesen Ländern aber ganz deutlich geworden: Wie wird entschieden, wenn es weniger Ressourcen gibt als notwendig sind, zu wenig Krankenhausbetten, zu wenig Möglichkeiten der Beatmung auf Intensivstationen? Was wir unbedingt verhindern müssen, sind Situationen, in denen Entscheidungen allein aufgrund des Alters einer Person und nicht aufgrund detaillierter Informationen zu ihrem Gesundheitszustand gefällt werden.
Und noch ein persönliche Anmerkung: Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es notwendig, dass Europa solidarisch sein muss. Endlich gibt es ja Bewegung in der Frage um finanzielle Hilfen für besonders betroffene Länder.
Was denken Sie, werden die langfristigen Folgen der Corona-Krise für ältere Menschen sein?
Das kann wohl noch niemand absehen. Aber es wird wohl weitreichende Folgen für uns alle, Ältere wie Jüngere, geben. Zwei Dinge liegen sehr nahe: Erstens werden wir in Zukunft alle noch stärker als vorher die Möglichkeiten des Internets nutzen – zur Kommunikation, um uns zu informieren, um Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass auch wirklich alle Menschen, unabhängig von Alter, Einkommen und Bildung Zugang zum Internet haben und die entsprechenden Geräte und Programme bedienen können.
Und zweitens: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es zu einer Rezession kommen. Wer wird am meisten darunter leiden? Die Arbeitslosigkeit wird steigen und viele Selbständige werden unter der Rezession leiden. Davon werden Menschen im Erwerbsalter, aber auch Kinder und Jugendliche betroffen. Wahrscheinlich wird es auch für jene alte Menschen schwer, die nur kleine Renten erhalten.
Aber wie gesagt: Vieles wird noch passieren, an das wir zur Zeit gar nicht denken.
Abschließend ein Tipp: Was können ältere Menschen tun, um sich in Corona-Zeiten fit zu halten?
Bewegung ist wichtig für Gesundheit im Alter. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Bewegung, Bewegung, Bewegung. Nach draußen und Spazierengehen! Natürlich nur allein oder zu zweit – oder in großem Abstand, wenn man mit anderen einen Weg machen will.
Und dann kann man auch Gymnastik zu Hause machen. Schwierig, dafür die notwendige Disziplin aufzubringen. Aber wenn wir ehrlich sind: Das ist doch immer so.
Vielen Dank für das Interview!
Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrum für Altersfragen.
Information
Das Deutsche Zentrum für Altersfragen [DZA] ist ein Forschungsinstitut, dessen Ziel es ist, die Lebenslagen, Lebenssituationen und Lebensstile älter werdender Menschen im gesellschafts- und sozialpolitischen Kontext zu untersuchen. Zweck des Instituts ist es, Erkenntnisse über die Lebenslage alternder und alter Menschen zu erweitern, zu sammeln, auszuwerten, aufzubereiten und zu verbreiten, damit dieses Wissen mit Blick auf die mit dem Altern der Bevölkerung einhergehenden gesellschaftlichen und sozialpolitischen Herausforderungen im Sinne einer wissenschaftlich unabhängigen Politikberatung nutzbar gemacht werden kann.
(Bilder: Deutsches Zentrum für Altersfragen)