Mittlerweile ist jeder und jedem von uns SarS-CoV-2 ein Begriff, bestimmt doch diese Variante des Corona-Virus seit bald einem Jahr unseren Alltag. Doch mittlerweile mehren sich die Warnungen von ExpertInnen vor einer Mutation des Corona-Virus: B.1.1.7 bzw. VUI-202012/ 01.
Die guten Nachrichten dabei: die neue Variante scheint nicht gesundheitsgefährdender zu sein – sprich es sorgt nicht für schwerere Verläufe einer Infektion. Und auch die Impfstoffe scheinen gegen B.1.1.7 gut zu wirken. Die schlechte Nachricht: es scheint sich um einiges schneller zu verbreiten, ist um ein vielfaches infektiöser.
Wir haben uns einmal umgehört und recherchiert, was bisher über die neue Corona-Virus Mutation B.1.1.7 bekannt ist, und was wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wissen:
Zum ersten Mal in Großbritannien nachgewiesen
Zum ersten Mal nachgewiesen wurde die neue Corona-Virus Variante bereits um den 20. September 2020 in Proben aus Südengland und London. Wissenschaftliche Daten legen nahe, dass diese neue britische Sars-CoV-2-Variante deutlich ansteckender ist als das ursprüngliche Corona-Virus. Kurz vor Weihnachten veröffentlichten die britische Gesundheitsbehörde Public Health England [PHE] sowie die Expertengruppe der britischen Regierung eine Art Steckbrief der Mutation, die mit rund 20 Veränderungen in der RNA besonders viele Mutationen aufweist.
Die neuen Daten aus den Untersuchungen des Erbguts und diversen Modellrechnungen verheißen nichts Gutes: Vor allem zwei der insgesamt 17 Mutationen dürften nämlich dazu beitragen, dass B.1.1.7 leichter und somit schneller übertragen wird. Mit anderen Worten: die Ansteckungsgefahr mit der neuen Variante ist um bis zu 70 Prozent höher als bei Covid-19. Das würde die Reproduktionszahl, sprich den R-Wert, um 0,4 bis 0,9 erhöhen. Auf Österreich umgelegt würde das – bei einem Wert von plus 0,4 – statt beispielsweise 2.000 Neuansteckungen täglich 2.800 Neuansteckungen bedeuten.
Das Problem, das sich daraus [mit dem höheren Infektionsrisiko, Anm.] ergibt: der R-Wert kann dadurch natürlich schwerer unter der „magischen 1“ gehalten werden. Denn nur bei einer Reproduktionsrate unter 1 wird die Ausbreitung des Virus gebremst, da in diesem Fall infizierte Personen weniger als 1 Person anstecken.
Fazit daher: Wir haben ein großes Problem, das nicht[!] unterschätzt werden darf. Die Maßnahmen zur Kontrolle der Virusausbreitung müssen in diesem Sinn weiter verstärkt werden.
B.1.1.7 ist [noch] nicht bei uns, oder doch?
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass nicht nur das Corona-Virus mutiert, sondern Viren im Allgemeinen – und das ständig. Im Grunde ist eine Virenmutation also nichts Außergewöhnliches. Auch das bisherige Corona-Virus ist schon öfter mutiert. Nur eben ohne Folgen.
Zur Zeit ist die Mutante B.1.1.7 des Corona-Virus in Österreich noch nicht nachgewiesen worden [Stand 04.01.2021, 10h]. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass Länder wie Großbritannien und Dänemark verhältnismäßig viele Virusproben sequenzieren, sprich ganz genau unter die Lupe nehmen. Österreich liege bei der Anzahl der Virussequenzierungen „nur“ im guten Mittelfeld. Oder anders gesagt: die Wahrscheinlichkeit, dass B.1.1.7 bereits unbemerkt auch schon in Österreich ist, ist relativ hoch.
VirologInnen gehen davon aus, dass sich der mutierte Stamm unter besonderen Umständen entwickelt haben muss. Ursprung könnte eine immungeschwächte Person gewesen sein, die zusätzlich eine chronische Infektion hatte. Bei dieser Person könnte sich eine Infektion mit dem Corona-Virus über Monate hinweg ziehen. Wurde diese Person dann mit speziellen Medikamenten behandelt, könnte dies dafür gesorgt haben, dass besonders „starke“ Corona-Viren sich trotzdem gehalten haben – und schließlich mutiert sind.
„Wir haben ein großes Problem“
Der Mediziner und Gesundheitsökonom am Institut für höhere Studien [IHS], Thomas Czypionka, fasst die neuesten Studienergebnisse auf Twitter kurz zusammen:
- Die neue Variante B.1.1.7 bindet besser an ACE2, ein Enzym an der Oberfläche von Zellen. Dieses Enzym ist die Eintrittspforte des Virus in die menschlichen Zellen.
- Die Virusmenge [„viral load“] in Nase und Rachen ist bei Infizierten mit der neuen Variante größer. Je höher die Viruslast, umso mehr Viren werden aber beim Atmen, Sprechen, Husten oder Niesen ausgestoßen.
- Auch die sogenannte „Sekundärinfektionsrate“ [„secondary attack rate] ist höher. Diese definiert die Wahrscheinlichkeit, dass eine weitere Infektion bei empfänglichen Personen innerhalb spezifischer Personengruppen [im Haushalt oder bei nahem Kontakt] auftritt.
- Es gibt keine schwereren Verläufe der Erkrankungen.
Sein Fazit derzeit: Wir haben ein großes Problem! Denn würde sich, wie weiter oben bereits geschrieben, der R-Wert um 0,4 oder noch mehr erhöhen, würden die bisherigen Lockdown-Maßnahmen nicht ausreichen, um das Virus einzudämmen.
Auch der deutsche Virologe Christian Drosten betrachtet die Lage um die Mutation kritisch. Ebenfalls auf Twitter schreibt er „Das sieht nicht gut aus“. Entgegen der Angst anderer Virologen, dass die Lockdown-Maßnahmen möglicherweise nicht gegen die Mutation helfen könnten, äußerte Drosten allerdings: „Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante“.
Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos
Viele Länder haben es geschafft, die Infektionszahlen auf ein niedriges Niveau zu senken, durch die Hygienemaßnahmen [Abstand halten, Mund-Nasen-Schutzmasken], Homeoffice, Testen, Kontaktnachverfolgung, keine großen Versammlungen, Lockdowns etc. Dadurch wurden und werden die Infektionsketten ausgebremst, was uns wiederum einen gewissen Spielraum verschafft, um zum Beispiel Schulen offen zu halten.
Aber gerade dieser Spielraum wird durch die neue Virusvariante erheblich kleiner. Denn wenn die bisherigen Erkenntnisse und Schätzungen bzgl. rascherer Ausbreitung grob stimmen, ist es wahrscheinlich nicht möglich, beispielsweise die Schulen nach dem Lockdown [wieder] offen zu halten.
Man kann durchaus sagen, dass wir eine neue Phase dieser Pandemie erreicht haben. Einerseits beginnen die Impfungen, andererseits breitet sich diese neue Variante schneller aus und kann so in kurzer Zeit viel mehr Krankheit und Tod verursachen. Und: Mehr Menschen müssen geimpft werden, um Herdenimmunität zu erreichen.
Die kommenden Monate könnten die härtesten dieser Pandemie sein: Wenn wir, um es bildlich zu beschreiben, Impfstoffe als das Licht am Ende des Tunnels sehen, dann ist dieses Licht zwar weiter da. Allerdings ist der Tunnel ein bisschen dunkler und länger geworden.
Was ist „anders“ bei B.1.1.7 bzw. wirken die Impfstoffe auch dagegen?
Die neue Corona-Virus Variante weist Mutationen im sogenannten Spike-Protein – das ist das Stacheleiweiß auf der Oberfläche des Virus, mit dem es an die menschlichen Zellen andockt – auf, gegen das die drei führenden Impfstoffe gerichtet sind. Allerdings produzieren Impfstoffe Antikörper gegen viele Regionen im Spike-Protein, weshalb es unwahrscheinlich ist, dass eine einzelne Veränderung den Impfstoff weniger wirksam macht.
Derartige Mutationen sind nichts Außergewöhnliches. Dies geschieht beispielsweise auch bei der saisonalen Grippe, die jedes Jahr mutiert. Entsprechend wird auch der Influenza-Impfstoff immer wieder angepasst. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die zugelassenen Impfungen gegen SarS-CoV-2 weiterhin wirken. Jene mRNA-Impfstoffe, die sich bisher in Studien als wirksam erwiesen haben, können außerdem bei Bedarf leicht angepasst werden. Denn diese enthalten keine vollständigen Viren, sondern „nur“ eine Art „Bauplan“, der sich schnell umbauen ließe.
Allerdings gibt es dafür [noch] keine absolute Gewissheit. Es ist lediglich wissenschaftlich sehr wahrscheinlich, dass die Immunreaktion durch diese Impfstoffe auch mit dem neuen Virus umgehen kann.
Kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen
Trotz allem ist jetzt aber nicht der Zeitpunkt, um die sprichwörtliche Flinte ins Korn zu werfen und aufzugeben. Ganz im Gegenteil. Denn am Ende des Tages wissen wir, was zu tun ist, um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Auch wenn es alles andere als leicht ist: Wir müssen jetzt alle Kraft sammeln, die wir [noch] haben und unsere Anstrengungen weiter intensivieren bzw. hoch halten. Aber vor allem dürfen wir die Gefahr durch die neue Virus Variante nicht[!] auf die leichte Schulter nehmen!
Das sieht auch die Virologin Isabella Eckerle von den Universitätskliniken in Genf so:
(Bilder: Pixabay.com)