Als „positives Zeichen, dass die Pflege auf der politischen Tagesordnung steht“ sieht die Direktorin der Diakonie, Maria Katharina Moser, in einer ersten Reaktion die von Sozialminister Rauch angekündigten Pflege-Reformmaßnahmen, die beschlossen werden sollen. Von einem »Teil II« der Pflegereform könne man allerdings nicht sprechen, die Diakonie bewertet die Maßnahmen „lediglich als Ergänzungen zum Reformpaket 2022„. Moser: „Was fehlt, ist der Blick aufs Ganze, ein Herumdoktern an Einzelmaßnahmen ist zu wenig. Blick aufs Ganze heißt: grundlegenden Pflegereform und Ausbau von bedarfsgerechten Pflegeangeboten.“
Pflege-daheim-Bonus birgt auch Gefahren
Positiv wertet die Diakonie Verbesserungen bei der so genannten Nostrifizierung, der Anerkennung von im Ausland absolvierten Ausbildungen, und bei der Kompetenzerweiterung für diplomierte Pflegekräfte etwa bei der Pflegegeldeinstufung. „Die angekündigten Maßnahmen sind sehr detailliert, aber jedenfalls sinnvoll, denn in diesen Bereichen steckt der Teufel im Detail“, so die Diakonie-Direktorin.
Zur Erhöhung der finanziellen Förderung für die 24-Stunden-Betreuung um weitere 160 Euro auf 800 Euro pro Monat sowie zur Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten für den Pflege-daheim-Bonus meint Moser: „Die Betroffenen werden sich freuen. Mehr finanzielle Unterstützung ist im Einzelfall immer hilfreich. Was man aber sehen muss: Die 24-Stunden-Betreuung ist ein Nischenthema. Nur fünf Prozent der knapp 500.000 Pflegegeld-Bezieher•innen nehmen sie in Anspruch. Den Pflege-daheim-Bonus hat die Diakonie immer kritisch gesehen. Er birgt die Gefahr der Familiarisierung von Pflege.
Entscheidend ist, ob es Unterstützungsangebote gibt, die pflegende Angehörigen mit dem Geld kaufen können. Und der Ausbau von Unterstützungsangeboten, die pflegende Angehörige entlasten würden, steht eben nicht auf der Reformagenda. Auch die Volksanwaltschaft hat jüngst in einem Bericht das Fehlen flächendeckender wohnortnaher Pflegedienstleistungen kritisiert.“
Reformbedarf: Menschen im Alter und ihre Bedürfnisse müssen das Angebot bestimmen, nicht das System
Was aus Sicht der Diakonie Not tut: Das Pflegesystem in Österreich muss grundlegend neu gedacht und reformiert werden.
Moser: „In unserem Pflegesystem wird Geld nicht effizient eingesetzt, und es geht an den Bedürfnissen der Menschen mit Pflegebedarf vorbei. Unser System kennt im wesentlichen zwei Säulen: Pflegeheim oder mobile Pflege. Andere Angebote, um weiter zu Hause leben zu können, fehlen weitgehend. Es ist ein Entweder-Oder, das dazu führt, dass Menschen oft viel zu früh ins Heim müssen. Diese Lösung ist volkswirtschaftlich teuer und nicht das, was die Betroffenen wollen. Im Hintergrund haben wir eine Zersplitterung der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die alle die Langzeitpflege steuern. Dabei orientiert man sich an Kostenschlüsseln und verschiedenen Budgettöpfen. Derzeit bestimmt also das System das Angebot. Wir brauchen eine Pflegelandschaft, in der Menschen mit Pflegebedarf das Angebot bestimmen.“
Dieses System führe auch dazu, dass die Pflegekräfte unzufrieden sind, ist Moser überzeugt: „Sie sehen, dass sie Menschen nicht so pflegen und betreuen können, wie es sich die Klient•innen wünschen. Und sie sind gezwungen, hinter ihren eigenen Ansprüchen an gute Pflege zurück zu bleiben. Das frustriert. Das ist der tiefere Grund, warum Pflegekräfte die Langzeitpflege verlassen. Der Kampf gegen den so genannten Fachkräftemangel muss bei dem ansetzen, was Pflege zu einem erfüllenden Beruf macht: auf die Bedürfnisse von Menschen eingehen zu können und Zeit für sie zu haben. Was gut ist für die Menschen, die Pflege brauchen, ist auch gut für die Pflegekräfte und ihre Motivation, im Beruf zu bleiben.“
Caritas zu Pflege-Paket: „Sinnvolle Maßnahmen, aber keine Pflegereform Teil II“
Es ist sehr erfreulich, dass die Bundesregierung mit hohem Tempo an der Pflegereform weitergearbeitet hat und nun weitere wichtige 18 Maßnahmen vorliegen. „Ein erster Blick auf das Paket zeigt viele sinnvolle und begrüßenswerte Maßnahmen. Unser zentrales Ziel muss es sein, möglichst viele Menschen für Pflege und Betreuung zu gewinnen, langfristig zu halten und die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Denn die Mitarbeiter•innen in der Pflege und Betreuung sind der Schlüssel, um die Pflegekrise nachhaltig zu lösen. Nur mit ihnen können wir die Pflegekrise hinter uns lassen, den Angehörigen Sicherheit geben und ein möglichst selbstbestimmtes Leben für jene ermöglichen, die Pflege und Betreuung brauchen,“ so Michael Landau, Präsident der Caritas Österreich.
Als positiv und bereits überfällig ordnet die Caritas dahingehend ebenfalls die Erhöhung der Basisförderung in der 24-h-Betreuung auf 800 Euro ein. Landau: „Mit der Erhöhung der Basisförderung für die 24-h-Betreuung folgt die Bundesregierung einer jahrelangen Forderung der Caritas. Diese deutliche Erhöhung ist ein ganz wichtiger Schritt, um die Pflege zu Hause für viele Menschen trotz Teuerung leistbar zu halten. Gleichzeitig bedauern wir, dass weiterhin keine automatische jährliche Valorisierung geplant ist.“
Sehr positiv in dem Zusammenhang ist auch die Finanzierung von Qualitätsvisiten durch diplomiertes Pflegepersonal in der 24-h-Betreuung. Derzeit müssen betreute Menschen und ihre Familien dafür selber aufkommen, was die Inanspruchnahme erschwerte. Durch die öffentliche Unterstützung gelingt hier ein großer Fortschritt in Richtung Qualitätssicherung der 24-h-Betreuung.
Ebenso positiv sind die angekündigten Maßnahmen zur Beschleunigung der Nostrifikationsverfahren sowie der Kompetenzerweiterung der diplomierten Pflegekräfte, die nun auch eine Pflegegeldersteinstufung ermöglichen sollen. Die Einstufung des Pflegegeldes liegt seit jeher in pflegerischer Kernkompetenz, die Durchführung dieser Ersteinstufung hinsichtlich des Pflegebedarfes durch diplomiertes Pflegepersonal war somit schon lange überfällig. Dass Erst- und Weiterverordnung von gewissen Medizin- und Pflegeprodukten zukünftig durch diplomierte Pflegepersonen erfolgen kann, wird die Praxis deutlich vereinfachen.
Appell nach Pflegereform Teil II
Landau: „Wir sehen hier abermals, dass diese Bundesregierung die Dringlichkeit im Bereich Pflege und Sozialbetreuung erkannt hat und weiterarbeitet. Was es neben Einzelmaßnahmen und Nachbesserungen aber dringend braucht, ist eine strukturelle Pflegereform Teil II mit einer österreichweiten Harmonisierung und einer langfristigen Finanzierung der Pflege- und Betreuungslandschaft im Mittelpunkt. Hier setzen wir großes Vertrauen in Bund und Länder, dass diese im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen zusammenarbeiten und punkto einheitlicher Qualitäts-, Versorgungs- und Finanzierungsschlüsseln vom Bodensee bis zum Neusiedlersee weitere Fortschritte in der Pflegereform erzielen. Der aktuelle „Fleckerlteppich“ in der Pflege – sowohl was Angebot und Verfügbarkeit sowie Kosten, als auch Personalschlüssel und Arbeitsbedingungen betrifft – muss durch österreichweit einheitliche Standards und einen Ausbau von Dienstleistungen ersetzt werden.“
Weiterfinanzierung von Pflegereform Teil I bleibt offen
Weiter ausständig sind auch Zusagen über die längerfristige Finanzierung der bereits im Pflegereformpaket I gesetzten Maßnahmen, wie bspw. bei Pflegbonus, Entlastungswoche und Ausbildungsoffensive. Die Finanzierung einiger Maßnahmen läuft mit Ende 2023 aus. Hier braucht es eine schnelle Klärung, damit auch Trägerorganisationen und Mitarbeiter•innen im Pflegebereich Orientierung haben. Wichtig ist, dass alle diese Maßnahmen langfristig abgesichert werden und deren Finanzierung sichergestellt wird. „Der Pflegefonds könnte hier zu einem wichtigen Steuerungsinstrument werden, und da müssen Bund und Länder zusammenarbeiten“, so Landau abschließend.
(Bilder: AdobeStock, Diakonie/ Simon Rainsborough, Caritas/ Michael Appelt)