Rund 22 Prozent der über 65-jährigen in Österreich brauchen Pflege. Zum Vergleich: Dänemark, das eine qualitativ vergleichbare Gesundheitsversorgung hat und pro Kopf auch ungefähr gleich viel in die Gesundheit der Bevölkerung investiert, hat nur rund 8 Prozent pflegebedürftige Menschen in dieser Altersgruppe, Stichwort besser vorsorgen.
Wie und mit welchen Maßnahmen die Pflegebedürftigkeit reduzieren werden kann, erklärten Dr. Barbara Fisa, Geschäftsführerin „The Healthy Choice“, und Dr. Alexander Biach, Direktor-Stellvertreter der Wirtschaftskammer Wien, in ihren Initial-Keynotes zu den beiden PRAEVENIRE Talks „Best Agers Bonus Pass“ und „Prävention, Programme, Primärversorgung“ zu Beginn der PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche Alpbach 2022. Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse daraus für sie zusammengefasst.
Besser vorsorgen mit dem »Best Agers Bonus Pass«
Die Gesundheit einer Person wird im Wesentlichen durch fünf Faktoren determiniert, erklärte Fisa. Dabei haben die Umwelt 5 Prozent, medizinische Versorgung 10 Prozent, soziale Faktoren 15 Prozent, Gene 30 Prozent und der Lebensstil einen Anteil von 40 Prozent. Die relevanten Lebensstilfaktoren seine im Wesentlichen Bewegung, Ernährung und psychische Achtsamkeit. Hierbei komme der Bewegung ein großes Gewicht zu, da sie wesentlich zur Verbesserung bzw. Verhinderung der häufigsten chronischen Erkrankungen im Alter beitragen kann.
Analog zum Mutter-Kind-Pass für die ältere Generation
Aufbauend auf dem im Vorjahr erschienenen Buch „Raus aus der Pflegefalle“, bei dem Fisa eine der Autorinnen war, wurde die Idee des „Best Agers Bonus Pass“ entwickelt. Ähnlich wie für den Beginn des Lebens mit dem Mutter-Kind-Pass ein Gesundheitspaket geschnürt wurde, soll mit dem Best Agers Bonus Pass ein Angebot für einen gesunden Lebensstil für Menschen ab 50 geschaffen werden. Beginnend mit einem Assessment, bei dem der medizinische und nicht medizinische Status Quo des jeweiligen Teilnehmenden erhoben wird, werden individuelle Zielvereinbarungen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation getroffen. Die Ziele werden kontrolliert bzw. digital erfasst. Wird das gesetzte Ziel erreicht, gibt es Bonuspunkte, die individuell wieder in nützliche Vergünstigungen umgewandelt werden können.
„Durch den Einsatz des Best Agers Bonuspasses entsteht sowohl ein volkswirtschaftlicher Nutzen durch eine Verschiebung bzw. Senkung der ambulanten und stationären Krankheits- und Pflegekosten als auch ein individueller, durch Erhaltung der Selbstständigkeit und der sozialen Teilhabe an der Gesellschaft“, schildert Fisa. Derzeit wird gemeinsam mit der Vinzenzgruppe an einem Pilotprojekt für Wien, Linz und Ried im Innkreis gearbeitet, das auch wissenschaftlich begleitet werden soll.
Gerade in Österreich sei der spielerische Zugang über das Sammeln von Bonuspunkten durchaus motivierend, wie nicht zuletzt auch Beispiele aus dem Sozialversicherungsbereich gezeigt haben. Ein generelles Problem der Prävention in Österreich sei, dass es dafür keine finanzielle Zuständigkeit gäbe, so die Meinung der Expertinnen und Experten.
PPP – die 3 Trends in der Gesundheitsversorgung
„Wir lieben es zu altern – egal wie. Wir lieben Krankenhäuser. Wir lieben Reparaturmedizin“, postulierte Alexander Biach zu Beginn seiner Keynote. Dies führe zu hohen Kosten im Gesundheitssystem aber auch zu deutlich weniger gesunder Lebensjahre. So sind die drei, auch von Fisa angesprochenen Lebensstilfaktoren Ernährung, psychische Gesundheit und Bewegung laut Biach für ein Drittel aller Pflegefälle verantwortlich. Mittlerweile rund 60 Prozent der Weltbevölkerung gelingt es nicht, der WHO-Empfehlung von 30 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Tag nachzukommen. Daher brauche es ein gesamtgesellschaftliches Umdenken, aber auch mutige Ansätze im Gesundheitsbereich.
„Wir müssen Prävention lieben lernen„, erklärte Biach. Dazu bedarf es einer Motivation und Erinnerungshilfen. Ein gutes Beispiel wie das funktionieren könne, sei der Best Agers Bonus Pass. Wobei Prävention – das erste „P“ – schon im Kindesalter ansetzen und sich, beispielsweise mit einer Erweiterung des Mutter-Kind-Passes, nahtlos durchs gesamte Leben ziehen müsse – ganz nach dem Motto „Gesundheit erhalten und verbessern„.
Ein wesentlicher Baustein in einer modernen Gesundheitsversorgung bilden digitale Gesundheitsanwendungen – Programme, das zweite „P“. Auch bei der Verwendung smarter Gesundheitsgeräte hat Österreich noch „Luft nach oben“. Gerade einmal 8 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner benutzen diese laut einer Erhebung 2020. Damit liege man zwar über dem EU-Schnitt von 5 Prozent, aber doch deutlich unter der Europaspitze wie Island [20 Prozent] oder Dänemark [12 Prozent].
Einen vorbildlichen Weg, um die Verbreitung digitaler Gesundheitsanwendungen [DiGA] zu beschleunigen, gehe Deutschland. Dazu gibt es einen relativ unbürokratischen klar definierten Weg, auf dem Anbieter, sofern sie gewisse Voraussetzungen erfüllen, ihre Anwendungen auf den Markt bringen können. Nach einer Erprobungs- und Überprüfungsphase bekommen sie rasch Bescheid, ob die Anwendung erstattet wird oder nicht. Um technisch hier nicht ins Hintertreffen zu gelangen, solle Österreich, so Biach, seine Kompetenz und Initiativen in Österreich nutzen, rasch transparente Prozesse und eine gesetzliche Grundlage für App-Entwickler schaffen. Schlussendlich ließe sich durch DiGAs auch der Bereich der Prävention verbessern.
Primärversorgungseinheiten als Schlüsselelement der Gesundheitsversorgung
Ein zentrales Schlüsselelement der Gesundheitsversorgung, bei dem auch die zwei zuvor genannten „P“ zusammenlaufen, sind die Primärversorgungseinheiten. Österreich hat sich hierbei das Ziel gesetzt, bis 2023 75 Primärversorgungseinheiten zu eröffnen – derzeit halte man bei 36. Durch diese multiprofessionellen Zentren können Patientinnen und Patienten umfassend, wohnortnah und niederschwellig versorgt werden. Diese seien, so Biach, die Zukunft in der Versorgung.
(Bilder: AdobeStock (2x), Gattinger)