Bei der Pflege von Angehörigen oder nahestehenden Personen ist es wichtig, auch auf sich selbst zu achten und auch immer wieder Tätigkeiten durchzuführen, die Kraft und Wohlbefinden bringen und einem selbst gut tun. Oder anders gesagt: die Betätigungsbalance muss passen. Pflegende Angehörige, die mit ihren Tätigkeiten zufrieden sind, zeigen weniger Anzeichen einer Depression, sind weniger ängstlich und gestresst. Das zeigt eine neue Studie der FH Krems.
Pflegende Angehörige – eine Säule der heimischen Gesundheitsversorgung
In Österreich pflegt etwa jeder vierte Haushalt Familienangehörige, Freunde oder Bekannte, darunter etwa Kinder mit Entwicklungsstörungen, Demenz-Betroffene oder Personen mit einer neurologischen Erkrankung. „Pflegende Angehörige sind ein essenzieller Bestandteil der Gesundheitsversorgung in unserem Land. Ihre Gesundheit zu fördern und zu erhalten ist besonders wichtig, damit sie in der Lage sind, die Pflege und Betreuung ihrer Lieben aufrecht zu erhalten,“ so NÖGUS-Vorsitzender Landesrat Martin Eichtinger.
Die Pflege von Angehörigen kann physisch und psychisch belasten und Einschränkungen bei den eigenen Tätigkeiten mit sich bringen. „Aufgrund der Corona Pandemie erleben Menschen weltweit, wie es ist, geliebte oder besonders wichtige Tätigkeiten nicht wie gewohnt ausführen zu können,“ erläutert Mona Dür, Projektleiterin dieser Studie und Studiengangsleiterin für Angewandte Gesundheitswissenschaften an der IMC FH Krems. Sie hat mit ihrem Team untersucht, wie es pflegenden Angehörigen in Österreich geht. Eine wesentliche Rolle dabei spielt die Betätigungsbalance.
Es kommt auf die Betätigungsbalance an
Betätigungen bzw. Tätigkeiten haben Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden. Die Betätigungsbalance beschreibt, wie zufrieden ein Mensch mit der Mischung aller seiner täglichen Aktivitäten ist. Dazu zählen die Tätigkeiten im Beruf [zum Beispiel im Büro] genauso wie die in der Familie [zum Beispiel Pflege von Angehörigen], im Haushalt [zum Beispiel Wäsche waschen] und natürlich auch jene zur Erholung [zum Beispiel Musik hören oder Schlafen]. Menschen mit guter Betätigungsbalance sind zufriedener. Menschen mit niedriger Betätigungsbalance sind unzufriedener. Die Betätigungsbalance ist übrigens ein Konzept aus der Ergotherapie.
Bisher gab es kein verlässliches und sicheres Messinstrument, das diese Betätigungsbalance bei pflegenden Angehörigen erheben konnte. Mona Dür von der IMC FH Krems hat im Rahmen eines Forschungsprojekts der Medizinischen Universität Wien gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen dazu den OBI-Care-Fragebogen [OBI-Care steht für Occupational Balance in Informal Caregivers] entwickelt. Der Fragebogen wurde im Rahmen eines Projekts zur Betätigungsbalance von Eltern von Frühgeborenen an der Medizinischen Universität Wien entwickelt, das vom Rahmen-Pharma Vertrag, Ergotherapie Austria und dem Verein „Unser Kind“ teilfinanziert wurde. Bei der Validierung des Fragebogens gab es eine Kooperation mit der IMC FH Krems.
Mehr Zeit für Tätigkeiten, die man fürs Wohlbefinden braucht
Dür empfiehlt, dass Angehörige der Gesundheitsberufe in Zukunft noch mehr auf die Betätigungsbalance von pflegenden Angehörigen achten sollen. „Der OBI-Care ist in wenigen Minuten ausgefüllt und ausgewertet, ist einfach in der Handhabung und Interpretation und unterstützt daher die regelmäßige Anwendung im Alltag von pflegenden Angehörigen.“ Mithilfe des neuen Fragebogens können so rasch Abweichungen in der Betätigungsbalance entdeckt und die pflegenden Angehörigen besser unterstützt werden. Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten beispielsweise können dabei helfen, verschiedene Tätigkeiten so zu adaptieren, dass mehr Zeit für die bedeutenden Tätigkeiten bleibt, die man fürs Wohlbefinden braucht.
Derzeit wird der OBI-Care Fragebogen in einer internationalen Studie zur Untersuchung der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Eltern von frühgeborenen Kindern angewandt. Außerdem wird derzeit untersucht, wie sich die Betätigungsbalance durch die Corona-Pandemie in Österreich verändert. Ausgehend vom OBI-Care-Fragebogen wurden im Rahmen des vom NÖGUS finanzierten Projektes TOPIC [The Occupational Balance Project of Informal Caregivers] die Zusammenhänge zwischen Betätigungsbalance und subjektiver Gesundheit, Angst, Depression und Stress bei pflegenden Angehörigen untersucht.
Die Ergebnisse in aller Kürze
„Die Gesundheit und die Betätigungsbalance von pflegenden Angehörigen hängen zusammen,“ so Dür. Pflegende Angehörige, die mit ihren Tätigkeiten zufrieden sind, fühlen sich gesünder. Sie zeigen weniger Anzeichen einer Depression, sind weniger ängstlich und gestresst. Männliche pflegende Angehörige sind zufriedener mit all ihren Tätigkeiten und fühlen sich gesünder als weibliche. Ausschlaggebend ist auch, wie alt die pflegenden Angehörigen sind und ob die Pflegebedürftigen unter mehreren Krankheiten leiden.
Aber sehen sie selbst, was Mona Dür im Science Coffee Talk über ihre Arbeit und über ihren Schwerpunkt „Betätigungsbalance“ sagt:
Hintergrund
An der Studie beteiligt waren auch Studierende des Bachelorstudiengangs Ergotherapie und des Masterstudiengangs Angewandte Gesundheitswissenschaften an der IMC Fachhochschule Krems, die durch ihre Mitarbeit Forschungserfahrungen sammeln konnten. Kooperationspartner waren Kliniken der NÖ Landesgesundheitsagentur, NÖ Hilfswerk, die Neurorehabilitation Kids Chance Radkersburg und der Dachverband NÖ Selbsthilfe. Ausgewertet wurden die Antworten von 196 pflegenden Angehörigen.
(Bilder: Pixabay.com, Video: Youtube.com)