Fast zwei Millionen Menschen in Österreich leiden unter chronischen Schmerzen[1]. Zum Auftakt der 21. Schmerzwochen präsentiert die Österreichische Schmerzgesellschaft [ÖSG] ihre kommunikativen Schwerpunkte für das Jahr 2022. Um Schmerzmedizin erlebbar zu machen, werden in den kommenden Wochen verstärkt die Verbesserung und Optimierung der schmerzmedizinischen Versorgung, die schmerzmedizinische Ausbildung und die Förderung der Schmerzforschung zum Thema gemacht. „Für uns Schmerzmediziner•innen ist dabei ‚Bewegung für alle‘ ein wesentlicher Schlüssel. Wer sich viel bewegt, kann Schmerzen gut vorbeugen. Wer aber schon an Schmerzen leidet, kann diese mit Bewegung lindern.
Bewegung ist eine therapeutische Maßnahme„, so die Expert•innen der Österreichischen Schmerzgesellschaft – ÖSG-Präsidentin Dr.in Waltraud Stromer [Landesklinikum Horn], ÖSG-Vizepräsident Ao.Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner [Medizinische Universität Innsbruck], ÖSG-Generalsekretär Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc, vom Klinikum Klagenfurt am Wörthersee sowie ÖSG-Sekretär Prim. Mag. Dr. Gregor Kienbacher, MSc, vom Theresienhof – Klinikum für Orthopädie und orthopädische Rehabilitation – unisono.
Weil sich aber laut Gesundheitsministerium mehr als die Hälfte der österreichischen Erwachsenen und etwa zwei Drittel der Menschen unter 18 Jahren nicht ausreichend bewegen[2], startet die ÖSG gemeinsam mit der Merkur Versicherung die Kampagne „Beweg Dich©/ Move4you©“, in deren Rahmen mit Plakaten und Foldern in Schmerzambulanzen, Schmerzzentren und Ordinationen über die schmerzreduzierende Wirkung regelmäßiger Bewegung wissenschaftlich fundiert aufgeklärt wird. „Wir wollen auch angesichts der momentanen Omikron-Welle zeigen, wie sich trotz Home-Office und Distance Learning mehr körperliche Aktivität ohne großen Aufwand in den Alltag integrieren lässt.„
„ÖSG findet Gehör bei den politischen Verantwortlichen“
ÖSG-Präsidentin Stromer zeigt sich erfreut, dass seitens der politisch Verantwortlichen das Thema Schmerz in Österreich durchaus wahrgenommen werde. „Wir werden gehört„, konstatiert Stromer. Es sei ein wesentlicher Erfolg und Ergebnis der Beharrlichkeit der Österreichischen Schmerzgesellschaft, dass in Österreich mit dem „Qualitätsstandard Unspezifischer Rückenschmerz„[3] und der „Leitlinie Kreuzschmerz“[4] in den vergangenen Jahren Meilensteine in der Standardisierung gesetzt wurden. „Wir werden uns aber weiter dafür einsetzen, dass diese hohen Qualitätsstandards auch tatsächlich bei den Patient•innen ankommen können und auf allen Ebenen der Strukturplanung berücksichtigt werden“, so Stromer.
Schmerztherapie unter Covid-Bedingungen
Auch die aktuelle Omikron-Welle sei ein wesentlicher Beweggrund für die Schmerzgesellschaft, auf den Versorgungsbedarf chronischer Schmerzpatient•innen hinzuweisen. „Klar ist: Für eine interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie unter Covid-Bedingungen braucht es Ideenreichtum und Flexibilität„, stellt Stromer klar. Auch hier sei Bewegung zentral. Yoga oder Tai-Chi lassen sich zu Hause realisieren, ebenso Meditation oder Entspannungstechniken. „Viele Patient•innen haben nach Covid Beschwerden auch Schmerzen in den Gelenken, in Muskeln, Kopf- oder Nervenschmerzen. Aber nicht alle Beschwerden nach Covid sind auch Teil eines Post-Covid-Syndroms. Wir Schmerzmediziner•innen können dabei helfen, Beschwerden eines Post-Covid-Syndroms von anderen Beschwerden zu unterscheiden.“
„Vor operativen Schmerzmethoden sollte eine Zweitmeinung eingeholt werden“
„Die International Association for the Study of Pain IASP widmet das heurige Jahr dem Thema ‚Translating Pain Research to Practice‚. Auch als Österreichische Schmerzgesellschaft arbeiten wir heuer zu diesem Thema“, so ÖSG-Vizepräsident Eisner. Beispielhaft nennt er, dass man in Österreich auf Basis von Grundlagenforschung in der Bildgebung statt einer Elektrode, wie oft im Ausland, zwei bis zu 1,3 Millimeter dünne Elektroden verwende, die punktgenau in das Gehirn eingebracht würden. Diese chirurgische Methode gegen unerträgliche, medikamentös nicht ausreichend behandelbare Schmerzen könne unheilbar schmerzleidenden Menschen nachhaltig helfen. „Durch diese Eingriffe, die den Endpunkt invasiver Schmerztherapien darstellen, können wir die Lebensqualität unserer leidenden Mitmenschen deutlich verbessern.“
Als weitere invasive Methoden nennt Eisner auf der Ebene der Wirbelsäule die Verödung schmerzleitender Nerven mittels Kälte oder Hitze. Als ÖSG vertrete man die Meinung, dass vor einem solchen operativen Eingriff eine Zweitmeinung bei Spezialist•innen aus dem Fachgebiet oder einem benachbarten Fachgebiet eingeholt werden sollte, um konservative und operative Behandlungsmöglichkeiten im Sinne des Patient•innenwohls abzuwägen. Dabei sei etwa zu klären: „Sind die konservativen Behandlungsmöglichkeiten wirklich ausgeschöpft? Wurde auf Einflussmöglichkeiten auf das Krankheitsgeschehen, beispielsweise durch Adipositas oder Rauchen beim chronischen Rückenschmerz, ausreichend hingewiesen?“
Eisner weist auf die Bedeutung medizinischer Leitlinien „als Behandlungskorridor“ für die alltägliche Praxis hin: „Leitlinien können uns Ärzt•innen auf den aktuellen Forschungsstand bringen. Sehr wichtig ist, unnötige, sinnlose oder gar schädliche Maßnahmen zu vermeiden.“ Es sollte Augenmerk darauf verwendet werden, wer die Leitlinie verfasst habe und ob sie im AWMF, dem offiziellen Netzwerk der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, angemeldet worden seien.
„Multimodale Schmerztherapie braucht die entsprechenden wohnortnahen und niederschwelligen Strukturen“
„Die Österreichische Schmerzgesellschaft arbeitet mit der ‚Schmerzakademie‚ seit Jahren daran, die Schmerzaus- und -fortbildung zu intensivieren und Schritt für Schritt zu erweitern. Mit unserer digitalen Fortbildungsreihe ‚Pain Updates‘ bleiben wir auch 2022 auf der Höhe der Zeit, um Schmerzinteressierte in ganz Österreich anzusprechen. Mit eineinhalb Stunden pro ‚Pain Update‘ ist auch das Zeitinvestment überschaubar“, unterstreicht ÖSG-Generalsekretär Likar.
Des Weiteren verweist Likar auf die Bedeutung der multimodalen Schmerztherapie im Sinne der Berufsgruppen übergreifenden Zusammenarbeit bei der Behandlung chronischer Schmerzen. „Die multimodale Schmerztherapie ist die modernste wissenschaftlich fundierte Therapieform zur Behandlung chronischer Schmerzzustände. Dazu braucht es niederschwellige und wohnortnahe Strukturen: Schulungsangebote für Patient•innen, medizinische Trainingsangebote, Physiotherapie, Psychologie, Diagnostik, Schmerzbewältigungstrainings und noch viel mehr. Der personelle und organisatorische Aufwand dafür ist hoch, der Therapieerfolg dadurch aber ebenso eindrucksvoll. Wenn mit bisherigen Therapien keine oder zu wenig Wirkung erreicht werden konnte, oder wenn Beschwerden auch durch einen operativen Eingriff nicht gelindert wurden, dann kann dieses Konzept helfen, die Lebensqualität Betroffener zu verbessern.“
Die „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“, kurz ICD, der Weltgesundheitsorganisation WHO gilt seit Anfang Januar in ihrer 11. Fassung. „Für uns Schmerzmediziner•innen ist es ein großer Erfolg, dass Schmerz darin nun als eigenständige Erkrankung definiert wird. Dies ist auch im Sinne der Patient•innen eine weitreichende Anerkennung ihres Syndroms“, so Likar.
„Bewegung ist ein wirksames ‚Medikament‘ gegen Schmerzen“
„Kaum ein anderes Gesundheitsproblem belastet die Betroffenen mehr als der Schmerz. 20 Prozent der Menschen in Europa leiden an chronischen Schmerzen. Mit einer höheren Lebenserwartung geht auch ein höheres Risiko einher, an schmerzhaften degenerativen Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates zu erkranken und dadurch mit körperlichen Einschränkungen, Arbeitsunfähigkeit und dem Verlust an Lebensqualität konfrontiert zu werden. Das gilt es, mit Prävention bestmöglich zu vermeiden, unter anderem mit Bewegung. Ist aber der Schmerz schon da, bleibt Bewegung als Therapie ebenso wichtig.
Die Kampagne ‚Beweg Dich©/Move4you©‘ soll hier einen Beitrag leisten. Es ist nie zu spät, mit einem Training zu beginnen, denn Schmerzverringerung kann in jedem Lebensalter erreicht werden. Bewegung ist ein wirksames ‚Medikament‘ gegen Schmerzen„, so Kienbacher.
Abschließend äußert sich der Primar zur Zersplitterung der Gesundheitsförderung in Österreich. „Die Zuständigkeiten liegen bei einer Vielzahl teils konkurrierender Akteur•innen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und verschiedenen Finanzierungs- und Entscheidungsstrukturen. Als Österreichische Schmerzgesellschaft fordern wir die Ausarbeitung eines geeigneten Präventionsgesetzes. Körperliche Aktivität und Bewegung müssen, wo immer möglich, gefördert werden, bewegungsfördernde Maßnahmen und Bewegungsprogramme sind flächendeckend einzusetzen“, erklärt Kienbacher abschließend.
#BewegungISTgesund
Quellen
[1] Statistik Austria, 21. Jänner 2022, https://www.ots.at/redirect/statistik42
[2] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 21. Jänner 2022: https://www.ots.at/redirect/sozialministerium33
[3] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 21. Jänner 2022:
https://www.ots.at/redirect/sozialministerium34
[4] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 21. Jänner 2022: https://www.ots.at/redirect/sozialministerium35
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