Lorenz Wagner zieht mit seiner Frau und seiner Tochter in ein ganz besonderes Haus: vier Generationen – vom Enkel bis zu den Urgroßeltern – unter einem Dach. Was früher quasi »völlig normal« gewesen ist, nämlich das Zusammenleben in und mit der Großfamilie, ist mittlerweile so ziemlich »aus der Mode« gekommen. Man könnte sogar sagen »außergewöhnlich« oder »schräg«. Aber der gebürtige Saarländer Journalist und Autor Wagner zieht es trotzdem durch und lebt seit geraumer Zeit in [s]einem kleinen hundertjährigen „Mehrgenerationen-Haus“ mit großem Garten in der Nähe von München.
Und er hat darüber das Buch „Zusammen ist man weniger alt“ [Goldmann-Verlag] geschrieben, in dem er [auch] so Fragen nachgeht wie: „Wie können wir gesund und glücklich alt werden?“ Oder etwas genereller: „Wie alt wollen wir werden?“ – sozusagen ein Erfahrungsbericht bzw. seine persönliche Familiengeschichte gespickt mit zahlreichen fundierten Erkenntnissen aus Medizin, Genetik und Altenforschung und tiefgreifenden Recherchen zum Thema Altern sowie Gesprächen mit Wissenschaftler•innen.
Das Altern ist ständiger Mitbewohner im Mehrgenerationen-Haus
Seit nunmehr knapp vier Jahren lebt Lorenz Wagner mit Tochter Sophia und Frau Franziska gemeinsam bei deren Mutter Susanna und den Großeltern Helga und Willi. Die sechs Menschen aus vier Generationen geben sich in dem kleinen Haus bei München viel Halt. Jeden Tag entstehen hier neue Geschichten, von denen Wagner die eine und andere in seinem Buch niedergeschrieben hat.
So ist es wenig verwunderlich, dass es zwischen Jung und Alt – die Jüngste ist vier, der Älteste 95 – zu Beginn gehörig knirscht. Aber nach und nach entfaltet das Zusammenleben der Generationen seinen Zauber. In dem Haus, in der sich die Jüngste auf das Leben und der Älteste auf den Tod vorbereitet, ist das Altern ständiger Mitbewohner – mal lächelnd, mal bedrückend, aber letztlich immer gegenwärtig.
Und so wächst im Laufe der Zeit in Wagner eine Sehnsucht: genau so wie die Urgroßeltern noch viele Jahre mit seinen Lieben zu teilen, aber ohne die Leiden, die das Alter mit sich bringt. Eines Tages lernt er den Harvard-Professor David Sinclair kennen, der Atemberaubendes berichtet: Erstmals seien wir in der Lage, das Altern zu bremsen, sogar umzukehren. Erleben wir in diesem Sinn gar eine medizinische Revolution?
»Unbemerkt hatte ich das Paket in den ersten Stock getragen, ins Damenzimmer. Wie ich dieses Wort mag! Her mit der Schere, das Paket aufgeschnitten: fünf kleine Dosen, ich schraube sie auf: ein Pulver. Ich feuchte meinen Finger an, tauche ihn ein. Schmeckt sauer-bitter, mein Mund zieht sich zusammen, ich muss niesen: Professor Sinclairs Wundermolekül. Soll ich es nehmen?«
Sinclair schickte Wagner „geheimnisvolle Moleküle“ aus der Harvard-Forschung, die ihm dabei helfen sollten, „Altersleiden zu mildern, dem Altern entgegenzuwirken und daraus Medikamente zu entwickeln“, so Wagner. „Ich wollte natürlich wissen, was das ist und auch selbst mal ausprobieren.“ Auch wenn er einen positiven Effekt bei sich gespürt habe, müsse man „diesen Nahrungsergänzungsmitteln und anderen Jung-Bleib-Versprechen sehr vorsichtig entgegentreten. Ich würde das niemals raten, man muss auch mit Ärzt•innen drüber reden, aber grundsätzlich ist diese Forschung hochinteressant und die ersten Studienergebnisse mit diesen Mitteln sind durchaus auch sehr vielversprechend.“
Wer braucht eine Verjüngungskur, wenn man kleine Kinder hat?
Einer der vielen Vorteile, das so ein Zusammenleben in einem Mehrgenerationen-Haus mit sich bringt, ist die Tatsache, dass man die eine und andere Alten-Studie sozusagen „am eigenen Leib“ überprüfen kann. Zum Beispiel eine Studie, bei der man Kinder aus dem Kindergarten in ein Altersheim geschickt hatte. Es gab dann dort gemeinsames Spielen, Singen und andere schöne Dinge mit den Kleinen mit dem Ergebnis: „Bei den älteren Menschen haben sich die Depressionswerte halbiert, eine alte Frau konnte beispielsweise 15 Kilogramm mehr heben – und das nach nur sieben Wochen“, sagt Wagner.
Und solch positive Effekte konnte er auch in der eigenen Familie beobachten. Die kleine Sophia habe in diesem Sinn dafür gesorgt, dass die Urgroßeltern wieder deutlich aktiver seien: „Sie schmieren Sophia ein Honigbrot, gehen mit ihr aufs Trampolin, malen gemeinsam ein paar Bilder – und umgekehrt genießt auch Sophia die Zeit mit ihren Urgroßeltern. Also eine klassische Win-Win-Situation.“
Oder anders gesagt: ein voller Erfolg – auch wenn es natürlich so wie überall, wo Menschen zusammenleben, manchmal Streit gibt. Wagner’s großer Tipp in diesem Zusammenhang: „Neben ganz normalem darüber Reden braucht es auf jeden Fall neben Orten des Zusammenseins auch welche des Getrenntseins, wo jede und jeder für sich sein kann. Was auch in unserem Fall zum Frieden beiträgt: jede Partei im Haus hat ihre eigene Küche.“ Und in seiner Familie seien auch getrennte Waschmaschinen ein Muss, denn für Oma Helga sei es die Hölle, wenn sie zusehen müsse, wie er und seine Frau die Maschine wieder einmal zu voll beladen 🙂
Ein Wohn- und Lebensmodell der Zukunft
Alt und Jung ziehen zusammen – was auf der einen Seite ein „Experiment“ ist, dass vor allem Humor, Gelassenheit, Empathie und Zupacken können braucht, ist auf der anderen Seite laut Forschern durchaus ein Modell der Zukunft. Denn gerade dieses Zusammenleben von Jungen und Alten ist eine Lebensform, von der beide Seite gleichermaßen enorm profitieren. „Wenn du das Ganze ein bisschen vernünftig organisierst und du aufeinander Rücksicht nimmst, dann lebst du glücklicher, gesünder und hast viel zu lachen.“
„Die schönsten Momente sind letztlich die berühmten kleinen Momente“, erzählt der Familienvater. Und sie hätten viel mit Uropa Willi und seiner Urenkelin Sophia zu tun. Ein Beispiel: Als eines Tages eine uralte, aber leider kranke Fichte im Garten gefällt werden musste, habe Willi geweint und sei eine Woche im Bett liegen geblieben – bis ihn schließlich Sophia mit einem Kinderlied wieder zum Lachen gebracht habe.
Selbst die Pandemie brachte das Lebensmodell nicht zum Scheitern, da man sehr vorsichtig war und auf Hygiene und Abstand geachtet habe. „Die Alten bei uns im Haus waren nicht einsam und Sophia hatte viel Abwechslung. Wenn du dich an ein paar Regeln hältst und das vernünftig machst, dann ist es, finde ich, in der Pandemie ein Gewinn gewesen, zusammen zu sein. Umgekehrt finde ich ist es keine gute Idee, jung und alt zu trennen.“
Auch wenn es immer wieder mal kleinere Probleme gibt: Das Positive überwiegt. Mit seinem Buch „Gemeinsam ist man weniger alt“ will Lorenz Wagner deshalb auch zeigen, dass das Mehrgenerationenwohnen ein gutes Modell für die Zukunft ist. „Wir werden immer älter, wir müssen uns gegenseitig helfen. Generation Eins kümmert sich um Generation Vier und Generation Zwei um Generation Drei. Wenn jeder einzeln für sich wäre, wäre das Leben viel ärmer. Wir leben seither viel intensiver. Die geteilte Zeit verdoppelt sich nicht nur – die Erinnerungen bleiben. Das ist geschenkte Zeit.“
Sehen sie selbst
Nachdem [bewegte] Bilder mehr als 1.000 Worte sagen, sehen sie hier einen kurzen Beitrag über das Mehrgenerationen-Haus von Familie Wagner:
Zur Person
Lorenz Wagner, geboren 1970, war viele Jahre Chefreporter der Financial Times Deutschlands und ist heute Autor des Süddeutsche Zeitung Magazins. Er wurde vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem Deutschen Journalistenpreis und dem Medienpreis der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.
Neugierig geworden? Hier haben sie die Möglichkeit, das Buch zu kaufen 😉
(Bilder: Goldmann Verlag/ Lorenz Wagner; Audio: Saarländischer Rundfunk, Hessischen Rundfunk; Video: Facebook.com)