Die Corona-Pandemie offenbart die Problemstellen in den regionalen Gesundheitssystemen Österreichs – das zeigt neben neuen Erkenntnissen rund um das Gesundheitswesen Österreichs sowie der Lage des ambulanten Sektors eine aktuelle Studie von Philips Austria Studie. Die Politik sollte das System stärken, um die Gesundheitsversorgung effektiver zu gestalten und auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein, denn: Österreichs Rang bei der Vorbereitung auf Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit ist im internationalen Vergleich schwach.
Das Corona-Virus hat das Gesundheitssystem in Österreich auf eine noch nie dagewesene Belastungsprobe gestellt. In der Studie „Leistungskraft regionaler Gesundheitssysteme und Covid-19“ hat die Autorin und Geschäftsführerin von Health Systems Intelligence, MMag. Maria Hofmarcher-Holzhacker, daher neben der Untersuchung der regionalen Gesundheitssysteme einen besonderen Fokus auf die Auswirkungen durch die Corona-Krise und den ambulanten Sektor gelegt. „Österreich hat in Summe sehr gut auf die Corona-Krise reagiert und die Infektionszahlen gut im Griff, weil auch das Gesundheitssystem dementsprechend gut ausgestattet war und ist. Aber die Pandemie hat auch gezeigt, wo es im System hakt„, fasst die Studienautorin zusammen.
„Die letzten Monate haben verdeutlicht, dass Gesundheit eines der wichtigsten Güter ist. Die Studie zeigt, in welche Richtung sich das System entwickeln sollte und welche politischen Handlungen es braucht, um es nachhaltig zu stärken. Kürzungen im Gesundheitswesen schaden nicht nur der Versorgung Österreichs in einer besonders vulnerablen Zeit, sondern besonders auch der Wirtschaft„, so Michaela Latzelsberger, CEO Philips Austria GmbH.
Österreich hat Corona-Virus im Vergleich gut bewältigt
Österreich hat ein gut ausgestattetes Gesundheitssystem: Mit 29 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner ist Österreich vergleichsweise gut auf die Behandlung schwer Kranker vorbereitet. Auch die Infektionsbekämpfungsstrategie der österreichischen Regierung war im OECD-Vergleich gut, wie auch die Studie zeigt. Die nahezu vollständige Sperrpolitik in Österreich hat die Ausbreitung der Epidemie wirksam eingedämmt.
Gleichzeitig ist Österreichs Rang bei der Vorbereitung auf Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit im internationalen Vergleich schwach. Dies zeigt sich insbesondere in fehlender Regulierung zur Koordination zwischen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheitsbehörden, aber auch in Bezug auf die Notfallkommunikation mit Mitarbeitern des Gesundheitswesens.
Covid-19-Risiko steigt mit Arbeitslosigkeit
Für die Studie haben Hofmarcher-Holzhacker und ihr Team auch untersucht, ob sich sozioökonomische Faktoren auf die Ausbreitung und den Verlauf von Corona-Erkrankungen auswirken – zumal andere Studien darauf hinweisen. Für Österreich konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Lebenssituation der Menschen und dem Infektionsrisiko [Zahl der Fälle pro 100.000 Einwohner] oder der Sterblichkeit [Zahl der Todesfälle pro 100.000 Einwohner] auf Bezirksebene festgestellt werden.
Allerdings hängt das Infektionsrisiko der Bevölkerung eines Bezirkes signifikant mit der dortigen Arbeitslosenquote zusammen – wobei die Analysen in Österreich auf vergleichsweise niedrigen Fallzahlen basieren.
Frauen-Arbeitslosigkeit besonders hoch, Gesundheitssektor als Wirtschafts-Impulsgeber
Frauen sind stärker von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen und bei den Krisenbewältigungsprogrammen benachteiligt. Da der Frauenanteil in den besonders betroffenen Sektoren Gesundheit, Bildung, Gastronomie und Kultur höher ist, sind nun besonders viele Frauen von Arbeitslosigkeit betroffen. Analysen für Österreich schätzen, dass den Frauen nur 40 Prozent des österreichischen Konjunkturpaketes zugutekommen werden.
Um die Wirtschaft anzukurbeln, braucht es laut Studienautoren öffentliche Gelder als Impulse – besonders für das Gesundheitswesen, denn es schafft wesentliche Chancen für mehr Beschäftigung, Forschung und technischen Fortschritt. „Studien zeigen, dass öffentliche Investitionen in Gesundheit und Pflege von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu einer Steigerung der Gesamtbeschäftigungsquote von mindestens zwei Prozentpunkten in der ganzen EU-28 führen würden. Damit würde ein größerer Beschäftigungsanreiz erzielt werden, als es beispielsweise in der Baubranche der Fall ist, und Frauenbeschäftigung verstärkt gefördert. Wir haben daher einen Corona-Fonds namens ‚AT4Health‘ definiert, mit dem Kapazitäten, Beschaffung und Personal besser dotiert, Ressourcen und Testaktivitäten koordiniert und in effektivere Leistungen investiert werden kann. Grob geschätzt wird das Gesundheitswesen in etwa 4,2 Mrd. Euro benötigen, wenn man die geschätzten Einnahmeausfälle für 2020 hinzuzählt“, so Hofmarcher-Holzhacker.
Ambulanter Sektor im Umbruch, Zweiklassen-System verschärft sich
Der ambulante Sektor hat im Vergleich zur Eurozone 2018 leicht aufgeholt. Innerhalb des ambulanten Sektors kam es in den letzten Jahren jedoch zu deutlichen Veränderungen hin zu weniger kassenärztlicher Versorgung bei gleichzeitig steigendem Angebot von Wahlärzten und wachsender Aktivität in Spitalsambulanzen. Der Transformationsprozess des Gesundheitssektors von mehr ambulanter und weniger stationärer Versorgung steht erst am Anfang. Zudem gibt es weiterhin wesentliche Informations- und Datenlücken, wie das Studienteam auch schon in den letzten Jahren erhoben hat.
Starker Mangel an Pflegefachkräften
Während ausgabenseitig Ungleichgewichte im Gesundheitssystem etwas gemildert sind, sind sie bezogen auf den Personaleinsatz stark ausgeprägt. Bei sehr hoher Dichte von Ärzten war mit 713 Pflegepersonen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2018 deutlich weniger Personal verfügbar als in vergleichbaren europäischen Ländern, wie Deutschland [1.351 Personen] oder Dänemark [1.046 Personen]. Zudem ist die Personaldichte seit 2008 kaum gestiegen und das gesamte nicht-medizinische Gesundheitspersonal nicht adäquat eingesetzt.
Fokus auf Prävention ist wesentlich, um vermeidbare Todesfälle zu minimieren
Für 2018 zeigt die Studie, dass 10.069 oder zwölf Prozent aller Todesfälle [83.975] in Österreich nach OECD-Definition in die Kategorie der vermeidbaren Todesfälle fallen. Einige Todesursachen könnten dabei eher durch Prävention, andere durch Behandlung vermieden werden.
Die Mortalität, die durch Präventionsmaßnahmen vermeidbar gewesen wäre, zeigt ein zum Gesamtindikator fast identisches Bild. Krebserkrankungen und Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems machen die Hälfte aller Fälle aus, gefolgt von Verletzungen und Todesfällen im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen. Auch die Entstehung von chronischen Krankheiten wird durch mangelhafte Prävention begünstigt. Dabei gibt es merkliche Abweichungen zwischen den Bundesländern.
Im internationalen Vergleich liegt Österreich mit dem Indikator Mortalität, die durch Prävention vermeidbar wäre, sichtbar schlechter als mit jenem, der auf Behandlung abzielt. Es braucht daher einen stärkeren Fokus auf Prävention. Es muss dafür mehr nicht-ärztliches Personal eingesetzt werden, und die finanziellen Mittel sollten aufgestockt werden.
Reformen durch Corona notwendiger denn je
„Die Corona-Pandemie hat die Schwachstellen unseres Gesundheitssystems aufgedeckt. Die Politik sollte nun die Gelegenheit nutzen, um Systeme neu zu denken, zu stärken, um auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein und auch die Gesundheitsversorgung im Allgemeinen effektiver auszurichten. Die derzeitigen Anreize reichen nicht aus. Die Studie entwickelt eine Reformagenda, die das Ziel hat, die zukünftige Versorgung koordiniert und kostenschonend zu verbessern. Der Umbau des Systems in eine regionale Zusammenführung der Mittel für ambulante Versorgung über die wichtigsten Versorgungssettings ist ein Muss und wichtiger als der Umbau der Kassenlandschaft„, fordert Hofmarcher-Holzhacker.
„Investitionen in neue Technologien und digitale Lösungen – etwa in Richtung der Telemedizin – könnten dazu beitragen, die Akteure im Gesundheitssystem zu entlasten, und würden dabei helfen, dass das Fachpersonal wieder verstärkt auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten eingehen kann“, schließt die Studienautorin.
Service
Wie in den letzten Jahren enthält die Studie auch heuer neue Teilergebnisse für die Bundesländer Österreichs, die pro Bundesland in Factsheets aufgeschlüsselt wurden. Es gibt teils starke Unterschiede in den Leistungsbereichen Zugang, Qualität und Effizienz in den regionalen Systemen.
Die gesamte Studie können sie HIER als pdf downloaden.
(Bilder: Pixabay.com)