Bis 2023 könnten in Österreich an die 390.000 Menschen von Demenz betroffen sein. Um diesen Entwicklungen gegenzusteuern, setzen Neurologinnen und Neurologen gezielt auf Prävention, mit der bis zu 30 Prozent der Demenzerkrankungen reduziert werden können. Revolutionäre Fortschritte gibt es auch in der Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten, die zukünftig nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen bekämpfen sollen. Darüber und über weitere neurologische Erkrankungen, die generell die dritthäufigste globale Erkrankungsart sind, diskutieren internationale Expert•innen beim europäischen Neurologenkongress der European Academy of Neurology [EAN] im Austria Center Vienna.
Bahnbrechende Entwicklungen in den Behandlungsmethoden
„Alleine in Österreich leben akutell 130.000 Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Diese Zahl wird sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten fünf bis zehn Jahren verdoppelt oder sogar verdreifachen. Um diesem Trend gegenzusteuern ist Prävention essenziell, denn bis zu 30 Prozent der Demenzerkrankungen könnten dadurch vermieden werden,“ betont Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Vorsitzender des Wissenschaftskommitees des europäischen Neurologenkongresses, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie [ÖGN] und Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Wien.
„Zudem gibt es in den Behandlungsmethoden bahnbrechende Entwicklungen. Auch wenn wir noch nicht ganz so weit sind, wird die Zukunft bei Alzheimer-Frühformen in Ursachen bekämpfenden Therapien sein,“ betont Berger.
Vermeidung von bis zu 30 Prozent der Demenzerkrankungen
Prinzipiell ist unter Demenz ein übersteigender, altersbedingter Abbau des Gehirns zu verstehen, der sich durch Einbußen an kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten zeigt. So können das Kurzzeitgedächtnis, Denkvermögen, die Sprache und die Motorik beeinträchtigt sein. Betroffen sind davon vor allem Menschen im höheren Erwachsenenalter ab 55+.
Dennoch ist Demenz nicht gleich Demenz, denn die Demenzerkrankung selbst kann unterschiedliche Ursachen haben. „Bei der vaskulären Demenz, die nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste Demenz-Form ist, entsteht Demenz aufgrund Durchblutungsstörungen im Gehirn, die meist Folgen mehrerer kleiner Schlaganfälle sind. Genau in diesen Fällen und wenn Demenz durch die Zufuhr von toxischen Substanzen wie übermäßigen Alkoholkonsum herbeigeführt wird, kann durch die Minimierung von Risikofaktoren und Gehirntraining das Risiko an einer Demenz zu erkranken, deutlich reduziert werden,“ erklärt Berger.
Gelingt es also, Risikofaktoren wie Bluthochdruck, zu hohe Blutfettwerte, Rauchen, Diabetes und starkes Übergewicht durch einen gesunden Lebensstil einzudämmen und beschäftigt sich der Mensch im Sinne von „train your brain“ kognitiv, könnten bis zu einem Drittel aller Demenzerkrankungen vermieden werden.
Revolutionärer Biomarker-Therapieansatz bei frühem Alzheimer
Gute Nachrichten gibt es auch für Menschen, die an einem milden kognitiven Defizit leiden – das ist eine Frühphase der Alzheimer-Krankheit. Als wesentliche Biomarker in der Diagnostik gelten hier das Beta-Amyloid-Peptid und das Tau-Protein im Gehirn. Kommt es zu einer übermäßigen Anhäufung dieser Eiweiße im Gehirn, können bereits neue Untersuchungsverfahren wie die Liquordiagnostik, das ist eine Untersuchung des Nervenwassers und bestimmte PET-Untersuchungen [Positronenemissionstomografie] ein mildes kognitives Defizit bzw. eine Alzheimer-Krankheit diagnostizieren.
Dieses Diagnose-Prinzip nimmt man sich auch in der Entwicklung von neuen kausalen Therapien zu Herzen, die nun versuchen, die Eiweiße Beta-Amyloid-Peptid bzw. Tau-Protein einzufangen und im Körper zu binden, um damit Ablagerungen im Gehirn zu verhindern. „Auch wenn wir hier noch in den Kinderschuhen stecken, die Entwicklung dieser neuen Therapieansätze ist revolutionär, denn bisher können mit Medikamenten nur die Symptome behandelt und damit die kognitiven Verschlechterungen nur verlangsamt werden,“ so Berger.
Erstzulassung eines Biomarker-Medikamentes in den USA
Das erste Medikament, das auf die Verringerung der Alzheimer-Biomarker setzt, wurde vor fast genau einem Jahr unter der Auflage einer großen, langjährigen Beobachtungsstudie in den USA zugelassen. Diese Zulassung wird in der medizinischen Community kontrovers betrachtet, da dieses Medikament zwar weitere Beta-Amyloid-Peptid-Ablagerungen verhindert, aber noch keine klinischen Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten bemerkt werden konnten. Das heißt, eine Wirkung auf die Krankheitssymptome konnte im zweijährigen Zulassungsverfahren noch nicht festgestellt werden. Daher wurde das Medikament durch die EMA, die europäische Zulassungsbehörde für Medikamente, noch nicht zugelassen.
„Dennoch ist dieser Behandlungsansatz revolutionär, regt viele weitere internationalen Forschungen und Medikamentenentwicklungen an und wird die Zukunft der Behandlung von milden kognitiven Defiziten bzw. früher Alzheimer-Demenz werden,“ schätzt Berger. „Unsere Aufgabe als Neurologen ist es nun, den Alzheimer-Forschungen und -Entwicklungen noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Kapazitäten der Frühdiagnostik von Alzheimer in Österreich auf- und auszubauen, um dann für den zukünftigen Einsatz dieser neuartigen Medikamente gerüstet zu sein“, so Berger.
Über die EAN
Die European Academy of Neurology [EAN] ist der europäische Dachverband der Neurolog•innen mit über 40.000 individuellen Mitgliedern mit Sitz in Wien. Alljährlich veranstaltet sie einen Kongress für ca. 7.000 Teilnehmer•innen, der heuer als Hybrid-Kongress im Austria Center Vienna stattfindet.
Über die IAKW-AG
Die IAKW-AG [Internationales Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien, Aktiengesellschaft] ist verantwortlich für die Erhaltung des Vienna International Centre [VIC] und den Betrieb des Austria Center Vienna. Das Austria Center Vienna ist mit 19 Sälen, 180 Meetingräumen sowie rund 26.000 m2 Ausstellungsfläche Österreichs größtes Kongresszentrum.
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