Demenz Selbsthilfe Austria, IG Pflegender Angehöriger und Volkshilfe haben im Sommer eine gemeinsame Befragung gestartet, um die Belastungen pflegender Angehöriger von an Demenz erkrankten Menschen genauer zu beleuchten, Stichwort Demenzhilfe. Erste Ergebnisse zeigen die fehlende Unterstützung in vielen Bereichen.
Befragung zeigt starke Belastung und fehlende Unterstützung
8 von 10 der im Sommer online befragten Angehörigen von Menschen mit Demenz [162 Befragte] fühlen sich durch die Pflege stark oder sogar sehr stark belastet. Dass hinter diesen Zahlen vor allem fehlende Unterstützung und damit einhergehend auch fehlende soziale Teilhabe steht, weiß Birgit Meinhard Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft Pflegender Angehöriger: “Unser oberstes Ziel muss es sein, dass pflegende Angehörige und Zugehörige und ihre von Demenz betroffenen Angehörigen weiterhin alle Möglichkeiten der sozialen Teilhabe genießen. Es ist wichtig, sie im Sinne der Inklusion in der Mitte der Gesellschaft zu behalten, damit sie es nicht aus Gründen der Scham oder Angst vermeiden, am öffentlichen Leben teilzunehmen.”
Gefragt, mit welchen Herausforderungen die Pflegenden konfrontiert sind, geben knapp die Hälfte der Befragten finanzielle Belastungen an. Volkshilfe-Präsident Ewald Sacher fordert daher: “Mehr leistbare Entlastungs- und psychosoziale Unterstützungsangebote, den flächendeckenden Ausbau der mobilen Pflege und der mehrstündigen Alltagsbegleitung. Momentan lassen wir zu viele pflegende Angehörige mit ihren Belastungen allein. Ein Versäumnis, das sich auch gesamtgesellschaftlich rächen wird, wenn die Politik nicht einlenkt.”
Psychische Belastung – für Betroffene UND pflegende Angehörige
Mehr als Dreiviertel der Befragten berichten auch von psychischen Belastungen. Asita Sepandj, Leiterin des Gerontopsychiatrischen Zentrums des Psychosozialen Dienstes Wien, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, “dass Betroffene und pflegende Angehörige zwar unterschiedlich, aber in gleichem Maß durch die Demenzerkrankung belastet sind. Österreichweit braucht es daher die Errichtung eines qualifizierten, niederschwelligen, wohnortnahen und leistbaren Angebotes, damit Betroffene und Angehörige rasch, unkompliziert und bei Bedarf auch per Hausbesuch die jeweils erforderliche Hilfe, Behandlung und Unterstützung erhalten.”
Die Bedürfnisse an Demenz erkrankter Menschen rückt auch Johanna Püringer von Demenz Selbsthilfe Austria in den Fokus: „Besonders für Frühbetroffene mangelt es weitgehend an bedarfsgerechten Beratungs- und Unterstützungsangeboten zeitgleich mit der Diagnosestellung, auch unterstützte Selbsthilfe für Betroffene ist weitgehend unbekannt. Persönliche Assistenz – bei körperlichen Behinderungen längst ein Rechtsanspruch – ist für Menschen mit neurokognitiven Erkrankungen nicht verfügbar. Persönliche Assistenz sichert Chancengleichheit, Teilhabe, Autonomie und so lange wie möglich Lebensqualität in den eigenen vier Wänden, lange bevor Pflege- und Betreuungsbedarf bestehen.”
Angela Pototschnigg, Betroffene und Selbstvertreterin, unterstreicht diese Forderungen: „Für mich ist Persönliche Assistenz Sicherheit in einem unsicheren Alltag und die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes, gutes Leben mit Demenz“. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt [BAG] fordert eine umfassende Systemreform, die Pflege und Betreuung zukunftsfit macht. Das Angebot zur Betreuung müsse bedarfsgerecht erweitert werden, auch bei der Unterstützung pflegender Angehöriger.
Neue Podcast-Staffel zu Demenz
Informationen zu bestehenden Unterstützungen bietet der Podcast “TROTZ DEMENZ”, der ab Oktober in eine neue Staffel startet. Menschen mit Demenz sind dabei ebenso im Gespräch, wie Angehörige und Expert•innen. Der Podcast wird von der Volkshilfe produziert und vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gefördert.
Langzeitpflege muss Wahlkampfthema Nr. 1 sein
Die Diakonie fordert [einmal mehr], die Langzeitpflege ins Zentrum politischer Debatten zu stellen: „Pflege und Betreuung ist kein politisches Randthema. Es betrifft 1,5 Mio Menschen in Österreich, entweder weil sie selber Pflege brauchen oder weil sie pflegende Angehörige sind“, so Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Laut einer Umfrage, die das Market-Institut für die Diakonie durchgeführt hat, meint nur jede•r Fünfte [20 Prozent], dass Menschen mit Pflegebedarf derzeit ausreichend Unterstützung bekommen. Menschen, die dringend Hilfe zu Hause oder einen Pflegeheim-Platz brauchen, würden in einigen Regionen jetzt schon auf Wartelisten verwiesen, so Moser: „Diese unsichere Situation bereitet Menschen im Alter massive Sorgen und ist eine große Belastung für Familien. Eine künftige Bundesregierung muss für Entlastung sorgen.“
Eine grundlegende Reform des Pflegesystems sei notwendig, in deren Zentrum die langfristige Sicherstellung und Weiterentwicklung von Unterstützungsangeboten stehen müssten. „Unser Pflegesystem ist versäult. Entweder Pflegeheim oder mobile Hauskrankenpflege. Das ist aber nicht immer das, was Betroffene brauchen. Manche würden mehrstündige Betreuung unter Tags brauchen. Anderen würde Betreuung nur in der Nacht helfen. Kurzzeitpflege ist ein großes Thema, auch Besuchsdienste und Tageszentren. Viele dieser Angebote gibt es bereits, aber nicht überall und wenn es sie gibt, sind sie oft nicht leistbar. Für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen ist die Frage nach einem Unterstützungsangebot, das ihren Bedürfnissen entspricht, das Um und Auf.“
In Österreich leben rund 150.000 Menschen mit Demenz. 2050 werden es voraussichtlich doppelt so viele sein. „Das ist eine große Gruppe. Umso schockierender ist es, dass Menschen, die mit Demenz leben, noch immer stigmatisiert werden“, meint Moser. „Es ist höchste Zeit, sich von Vorurteilen zu verabschieden und den Menschen hinter der Erkrankung zu sehen und echte Teilhabe ermöglichen.“
Lebensqualität ins Zentrum stellen
„Nur wenn wir Menschen mit Demenz ernst nehmen, statt sie zu entmündigen, kann das tiefschwarze Stigma verschwinden,“ so Teun Toebes, Demenz-Aktivist und Filmemacher aus Holland. „Sobald wir eine echte Verbindung mit ihnen herstellen, verschwindet die Demenz und der Mensch kommt zum Vorschein.“ Der Pflegewissenschafter, der als Studierender drei Jahre im Pflegeheim gelebt und darüber ein Buch geschrieben hat, präsentiert vor wenigen Tagen in Linz seinen Film „Human forever“ erstmals in Österreich.
Teun Toebes zeigt in seinem Dokumentarfilm anhand von Beispielen aus vier Ländern, dass es weniger die Art der Versorgung ist, die die Lebensqualität ausmacht, als vielmehr die Qualität des Miteinanders.
Wie kann eine für Demenz offene Gesellschaft erreicht werden?
Damit die Gesellschaft offen wird für Menschen mit Demenz, braucht es Information, Bewusstsein und gute Beispiele. So organisierten die Tagesbetreuungen des Diakoniewerks für Menschen mit Demenz einen Ausflug zum beliebten Ruperti-Kirtag in Salzburg. Für die Diakonie-Direktorin sind „Feste sind ein guter Gradmesser für ein gelingendes Miteinander: Wer darf mit am Tisch sitzen? Und wer bleibt fern, fühlt sich nicht mehr willkommen? Deshalb fördern wir in der Diakonie das Miteinander auf vielen Ebenen. Seien es Besuche von Schulkindern oder Firmenteams bei uns in Pflegeheimen oder Ausflüge in Museen oder zu Festen.“
„Unser zentrales Anliegen ist eine für alle offene Gesellschaft“, sagt Moser. Um eine für Demenz offene Gesellschaft zu fördern, gibt es viele Wege: Die Schulung von Mitarbeiter•innen im Handel oder im öffentlichen Verkehr, Besuchsdienste zum gemeinsamen Einkaufen oder Spazieren. „In der österreichischen Demenzstrategie finden sich dazu viele wichtige Vorgaben. Es ist nun an der Zeit, ernst zu machen mit der Umsetzung und auf Basis der Pilotprojekte den gesellschaftlichen Wandel entschlossen voranzutreiben. Denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Demenz geht uns schon längt alle an“, so die Diakonie-Direktorin.
Trotz Demenz gutes Leben möglich
Die Diagnose Demenz ist für die meisten ein Schock. Die Volkshilfe steht mit Angeboten, Ratgebern und finanzieller Unterstützung zur Seite. Denn trotz Demenz ist ein gutes Leben möglich. Es geht darum, sich darauf zu konzentrieren, was man noch kann und will. Das gilt auch für die pflegenden Angehörigen. „Wir ermutigen pflegende Angehörige Unterstützung in Anspruch zu nehmen“, so der Geschäftsführer der Service Mensch GmbH/ Volkshilfe NÖ Gregor Tomschizek“, denn so können sie ihre gemeinsame Zeit besser gestalten.“
Die Volkshilfe Demenz-Expert•innen kommen nachhause und machen gemeinsam mit den Angehörigen einen Plan. Oft hilft der Besuch einer sozialen AlltagsbegleiterIn, die einmal pro Woche für ein paar Stunden vorbei schaut, Gesellschaft leistet und die Angehörigen so Zeit haben, andere Dinge zu erledigen oder selbst ein bisschen durchzuschnaufen. Heimhelfer•innen kommen auf Wunsch täglich vorbei und unterstützen im Haushalt, der Körperpflege und der Mobilisierung. Sollte professionelle medizinische Pflege nötig werden, hilft das Pflegeteam mit diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger•innen, Pflege[fach]assistent•innen sowie Physio- und Ergotherapeut•innen. Ist eine Betreuung rund um die Uhr sinnvoll, stehen die 24-Stunden-Betreuer•innen in Zusammenarbeit mit der Volkshilfe zur Verfügung.
„Unseren KundInnen helfen wir im Notfall auch mit Mitteln aus dem Volkshilfe-Demenz-Fonds“, erklärt der Präsident der Volkshilfe Prof. Ewald Sacher, „wir lassen niemanden allein. Wir helfen!“
Kostenloser Ratgeber „Demenz verstehen“
Mit der Broschüre möchte die Volkshilfe wichtige Informationen aus Medizin, Forschung und Therapie leicht zugänglich machen und Unterstützung anbieten: Was ist Demenz? Wie wird Demenz erkannt? Welchen Verlauf nimmt die Krankheit? Welche Therapieformen gibt es? Wie können Angehörige entlastet werden?
Bestellungen per E-Mail: ratgeber@noe-volkshilfe.at, Telefon: 02622/ 82200-6602.
Weitere Informationen finden sie online unter https://www.demenz-hilfe.at.
(Bilder: AdobeStock, Volkshilfe, Diakonie/ Simon Rainsborough, AdobeStock)