Fast ein Viertel der österreichischen Bevölkerung ist mindestens einmal pro Jahr von psychischen Erkrankungen betroffen. Größere Krisen – wie Corona, Ukraine-Krieg und Teuerung – führen zu einem Anstieg von Angststörungen und Depressionen. Bei den Symptomen und Ursachen von Depressionen gibt es große Gender- und Generationsunterschiede. Wie die Erkenntnisse der Sozialpsychiatrie helfen können, um gegen Depression anzukämpfen und generell über die gesamte Bandbreite der psychischen Erkrankungen geht, wurde beim Weltkongress der Psychiatrie im Austria Center Vienna intensiv diskutiert.
Psychische Erkrankungen lassen sich sehr gut behandeln
„Psychische Erkrankungen sind häufiger als man denkt. Fast ein Viertel der Bevölkerung sind zumindest ein mal pro Jahr davon betroffen. Dennoch werden psychische Erkrankungen nach wie vor oft tabuisiert. Daher ist es mir ganz wichtig zu betonen, dass niemand etwas für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung kann und sich daher auch nicht dafür zu schämen braucht. Es gibt Hilfe und in den meisten Fällen lassen sich psychische Erkrankungen auch sehr gut behandeln“, betont Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata vom Organizing Committee des World Congress on Psychiatry der World Psychiatric Association [WPA] und Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der MedUniWien.
Wirtschaftskrise – möglicher Auslöser für die Zunahme von Depressionen
Generell leiden in Österreich rund 730.000 Menschen an Depressionen. Die anhaltende Teuerungswelle und die vielen negativen Wirtschaftsmeldungen begünstigen zudem generell eine depressive Stimmung. „War während der Corona-Pandemie die Suizidrate bei Erwachsenen sogar rückläufig, besteht nun mit den wirtschaftlichen Folgen nach der Pandemie das Risiko, dass die Suizidrate ansteigen könnte“, so Wancata, der sich als Sozialpsychiater stark mit den sozialen Risiken und Faktoren für psychische Erkrankungen beschäftigt.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass bereits bei einem Prozent mehr Arbeitslosigkeit die Suizidrate um 1,4 Prozentpunkte ansteigt. „Länder, die in solchen Situationen mit konkreten Maßnahmen in die Berufseingliederung investieren, können dem Anstieg der Suizidrate aktiv entgegenwirken. Wichtig ist, hier mit Anreizen den Menschen Hoffnung zu geben,“ betont Wancata.
Depressionen zeigen sich bei Männern anders als bei Frauen
Depressionen kommen bei Männern generell seltener vor als bei Frauen. Eine repräsentative Studie in der österreichischen Bevölkerung hat gezeigt, dass 7,4 Prozent der Österreicher und 12,6 Prozent der Österreicherinnen an einer Depression leiden. Klassische Symptome für eine Depression bei beiden Geschlechtern sind Energielosigkeit, Niedergeschlagenheit, wenig Freude am Alltag, Schuldgefühle, Rückzug, Isolation und der Wunsch, nicht mehr leben zu wollen. Hinzu kommt bei Männern häufige Reizbarkeit, Aggressivität und Risiko- bzw. Suchtverhalten. Dieses Verhalten kann die klassischen Depressionssymptome überlagern.
„Auch die Auslöser für eine Depression zeigen Gender-Unterschiede. Während bei Frauen vor allem zwischenmenschliche Spannungen eine Depression auslösen sind es bei Männern häufig Job- bzw. Partnerschaftsverlust“, erklärt Wancata.
Pflegende Angehörige haben hohes Erkrankungsrisiko
„Neueste Studien zeigen uns zudem, dass Angehörige, die zu Hause psychisch kranke Personen pflegen, ein höheres Risiko haben, selbst eine Depression zu entwickeln“, so Wancata. Auslöser dürfte hier die Zusatzbelastung sein, die durch die Pflege des Angehörigen, der beispielsweise an einer Essstörung oder Demenz leidet, entsteht. „Jetzt gilt es, Programme zu entwickeln, wie wir diesen pflegenden Menschen helfen können,“ so der Mediziner.
Jugendliche und junge Erwachsene besonders durch Isolation gefährdet
Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die soziale Identität ganz wichtig. Bei ihnen sind Isolation und Einsamkeit starke Risikofaktoren für die Entwicklung einer Depression. Die Lockdowns und Einschränkungen des sozialen Lebens während der Corona-Pandemie haben sie besonders stark getroffen. „Daher ist es hier jetzt umso wichtiger, diese Menschen in ihre gewohnten sozialen Beziehungen zu bringen, persönliche Kontakte zu forcieren und wieder eine gute Zeit- und Tagesstruktur zu organisieren“, betont Wancata.
Ältere Menschen – nicht einsam aber schweigsam
Auch wenn ältere Menschen alleine sind, ist das in der Regel weniger ein Auslöser für eine Depression. Das größte Problem bei dieser Bevölkerungsgruppe ist, dass es hier noch schwer fällt, über psychische Erkrankung zu reden. In Pflegeheimen gibt es daher spezielle psychologische Angebote, um Depression und Demenz aktiv anzusprechen.
Auch Angststörungen als Auswirkung auf aktuelle Krisen
Je nach Art der gesellschaftlichen Krise nehmen in der Bevölkerung nicht nur depressive Stimmungen und Depression, sondern auch Ängste und Angststörungen zu. „Da der Ukraine-Krieg nicht weit entfernt ist, haben wir es mit nachvollziehbaren Ängsten zu tun. Dass dadurch auch die Ängstlichkeit in der Bevölkerung steigt, ist eine »gesunde Reaktion«. Leider begünstigt eine so reale Bedrohung bei einigen dann auch die Entwicklung von Angststörungen,“ erklärt Wancata. Bereits einfache Interventionen, die zeigen, wie mit Stress umgegangen werden kann, sind beispielsweise bei Flüchtlingen sehr wirksame Präventionsmaßnahmen, um die Entwicklung von Angststörungen zu verhindern.
Wenn sie das Gefühl haben, nicht mehr weiter zu wissen, zögern sie nicht und suchen sie das Gespräch mit ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin!
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(Bilder: AdobeStock, Wancata, AdobeStock)