„Diabetes neu denken“ – unter diesem Motto stand die 35. Frühjahrstagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG). Rund 400 TeilnehmerInnen diskutierten bei diesem wissenschaftlich hochkarätig besetzen und gleichzeitig praxisbezogenen Kongress den Paradigmenwechsel, der in der Diabetologie in den letzten Jahren auf mehreren Ebenen stattgefunden hat.
Eine zentrale Session beschäftigte sich mit dem Thema Ernährungstherapie. Die wissenschaftliche Evidenz für die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Diäten wurden genauso besprochen, wie die Einschätzung der ExpertInnen zu einzelnen Trend-Nahrungsmitteln. Ein wichtiger Teil waren auch die Erklärungsmodelle für PatientInnen, um die Diät-Compliance zu erhöhen.
Welche ist die beste Ernährungsform bei übergewichtigen PatientInnen mit Diabetes mellitus?
Den Vorsitz über die Session „Ernährungstherapie: Welche ist die beste Ernährungsform bei übergewichtigen PatientInnen mit Diabetes mellitus?“ führten die ÖDG Präsidentin und Endokrinologin Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer (MedUni Wien) und die Ernährungswissenschaftlerin Univ.-Doz.in Dr.in Ingrid Kiefer, die den Fachbereich Risikokommunikation in der AGES – Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit – leitet.
Kautzky-Willer betonte die große Bedeutung, die dem Thema Ernährungstherapie in der umfassenden Versorgung von übergewichtigen Menschen mit Diabetes mellitus zukommt: „Mit gesunder Ernährung und Bewegung kann viel erreicht werden, Diabetes um bis zu 60 Prozent vorgebeugt werden. Durch eine vorübergehende deutlichere Kalorienreduktion mit Beschränkung der Kohlenhydratzufuhr (low carb) wird bei einem Teil der PatientInnen neben der Gewichtsreduktion sogar eine Remission des Diabetes ermöglicht. Für eine andauernde Lebensstiländerung ist aber die Unterstützung, Begleitung und Motivation der Betroffenen durch das Diabetes-Schulungsteam notwendig, wie in den neuen PatientInnen-zentrierten Leitlinien ausführlich dargelegt“.
1 : 0 im Match Low Carb vs. Low Fat
Dr. Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke und der Charité Berlin stellte die umfassende Evidenz dar, die bereits für die Diskussion über kohlenhydrat-reduzierte beziehungsweise fett-reduzierte Diätformen vorliegen. Dabei kann klar gesagt werden, dass Low Carb-Diäten auf vielen Ebenen vorteilhafter sind.
Zahlreiche Laborwerte, die mit Diabetes im engeren und weiteren Sinn assoziiert sind, werden in den vergleichenden Studien und in Meta-Analysen klar als besser ausgewiesen, wenn bei den Kohlenhydraten gespart wird. Kabisch erläuterte: „Kohlehydrate machen glücklich, aber nicht sehr satt! Kohlenhydrate sind in unserem Ernährungsplan verzichtbar, Fette und Eiweiße aber teilweise essenziell. Diäten mit weniger Kohlenhydraten führen zu einem stärkeren Gewichtsabbau, und lassen den Körperfettanteil schneller sinken“.
Wie lange kann man eine Diät durchhalten?
Compliance ist einer der am schwersten zu erzielenden Erfolgsfaktoren bei der Untersuchung unterschiedlicher Diäten. Das liegt daran, dass viel an der persönlichen Präferenz liegt, die bei einer wissenschaftlichen Randomisierung schwer erfasst werden kann. Und diese sagt ja letztlich auch nichts darüber aus, welche Diät für den Einzelnen wirklich die Gesündeste ist.
Gut zu untersuchen und bei verschiedenen Studien zu vergleichen ist die Dropout-Quote. Hier zeigt sich, über viele Studien verglichen, dass Low Carb Diäten oftmals eine etwas geringere Studienabbrecherzahl aufweisen, als bei Untersuchungen von Low Fat Diäten.
Fleisch ist kein Gemüse
Auffällig ist der Unterschied in der Mortalität zwischen tierischen und pflanzlichen Low Carb Diäten. Bei tierischen ist die Mortalität hoch, bei pflanzlichen niedriger. Dabei ist die erhöhte Mortalität allerdings nicht eindeutig auf Fleisch zurückzuführen, da es sich ausschließlich um Querschnittsstudien (Kohortendaten) handelt.
Bei pflanzlichen Low Carb Diäten werden vor allem Hülsenfrüchte als Eiweißlieferanten statt Fleisch eingesetzt. Kiefer teilte in diesem Zusammenhang eine spannende Beobachtung mit: „Die Botschaft, dass Fleisch nicht so oft auf dem Speiseplan stehen sollte, ist über Jahrzehnte nicht angekommen. Der Fleischkonsum stieg kontinuierlich an, obwohl bereits klare Evidenz vorhanden war. Das aktuell viel diskutierte Thema Klimaschutz könnte nun zur Senkung des Fleischkonsums beitragen. Dieser Diskurs stellt somit auch eine Chance für gesündere Ernährung dar.“
Mediterrane Diät oder New Nordic Diet?
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik von der 1. Medizinischen Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie an der Krankenanstalt Rudolfstiftung, sah vor allem in zwei moderaten Low-Carb-Diätformen die größten Vorteile: „Evidenzbasiert besonders vorteilhaft ist die mediterrane Diät und die vielleicht noch nicht so bekannte ‚New Nordic Diet‘. Beide wirken sich besonders günstig auf die Fettverteilung und den besonders riskanten Bauchumfang – vor allem bei Männern – aus.“
Die Mittelmeer-Diät und die „New Nordic Diet“ orientieren sich beide an einer Reduktion der einfachen Kohlenhydrate und bringen gleichzeitig Vielfalt auf den Tisch. Die „New Nordic Diet“ setzt etwas mehr auf Fisch (drei Mal pro Woche), ist aber sonst der mediterranen Ernährung sehr ähnlich.
„Individuelle Beratung ist das Kernstück. Eine mediterrane Diät kann meistens empfohlen werden, wobei vor allem auf die Kohlenhydratreduzierung hinzuweisen ist – und das selbstverständlich in Kombination mit Bewegung. Wichtig ist, dass bei der mediterranen Ernährung den Menschen erklärt wird, dass sie dabei Pasta und Pizza trotzdem weglassen sollen“, ergänzte Ludvik und führte weiter aus, dass man sich vom Diskurs „Fett versus Kohlenhydrate“ weiterbewegen kann.
Das wichtigste sei, dass die gewählte Diät an den persönlichen Präferenzen orientiert sein sollte. „Wir müssen die Ernährungsempfehlungen so einfach und niedrigschwellig wie möglich machen. Denn eine Ernährungsumstellung ist dann am besten, wenn sie durchgehalten werden kann.“
Radikal zur Remission
Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Paulweber von der Universitätsklinik für Innere Medizin I, mit Gastroenterologie- Hepatologie, Nephrologie, Stoffwechsel und Diabetologie am Uniklinikum Salzburg, besprach die sogenannte „Very Low Calories Diet“ (VLCD). Bei dieser kann durch extreme Kalorienreduktion auch wirklich Erstaunliches erreicht werden:
„Diabetes ist nicht irreversibel. Mit einer VLCD, bei der um die 800 Kilokalorien pro Tag – bestehend aus vollbilanzierter Nahrung – zugeführt werden, kann eine Remission des Diabetes erreicht werden. Die Diabeteskennzahlen gelangen wieder in einen Normalbereich, wie bei einem gesunden Menschen. Die magische Schwelle scheint eine Gewichtsreduktion von mindestens 15 kg zu sein, ab der die Remission erreicht werden kann. Dabei ist aber einschränkend zu betonen, dass je länger Diabetes bereits andauert, desto unwahrscheinlicher so eine Remission ist. Früher, in den 70er Jahren, bestand bei stark kalorienreduzierten Diäten noch das Risiko einer Mangelernährung, moderne VLCDs sind sicher.“
Kein End‘ beim Trend
Immer wieder kommen PatientInnen zu ihrem Arzt oder ihrer Ärztin, um zu fragen, ob sie mit den neuesten Trendlebensmitteln ihre Ernährungs- und Gewichtsprobleme beseitigen können. In den meisten Fällen kann klar festgestellt werden, dass es nie um nur ein Lebensmittel, sondern immer um die gesamten Ernährungsgewohnheiten geht.
Speziell angesprochen wurde zum Beispiel der Kokosfett-Trend. Kabisch erklärte: „Kokosfett besteht vor allem aus gesättigten Fettsäuren, die eindeutig als ungesund eingeschätzt werden, genauso wie im Palmfett oder das Fett in tierischen Produkten. Sie reichern das Fettgewebe an und unterstützen Entzündungsprozesse im Körper. Darum gilt für Kokosöl oder -fett: nicht im Übermaß verzehren! Als Bestandteil weniger Mahlzeiten ist es ok, aber das Kochen sollte nicht darauf ausgerichtet werden.“
Zum gerade so populären Birkenzucker stellte Kiefer fest: „Der so ‚natürlich‘ klingende Birkenzucker ist der Zuckeraustauschstoff Xylit, der sehr aufwendig aus Baumbestandteilen hergestellt wird. Er ist keineswegs kalorienfrei, sondern liefert 2,4 kcal/ g.“
Einige trendige Lebensmittel zeichnen sich durch einen hohen Ballaststoffanteil aus. Doch auch dabei ist die Varianz besser als die Konzentration auf ein Lebensmittel. Paulweber betonte: „Ungünstige Kohlenhydrate sind die mit einem geringen Ballaststoffgehalt. Der Ballaststoffanteil sollte über 8 Prozent liegen“.
Teller vs. Pyramide
Um eine gesunde Ernährung zu veranschaulichen, werden unterschiedliche Darstellungsweisen genützt. Die wohl bekanntesten sind die Ernährungspyramide und der gesunde Teller. Die ExpertInnen bestätigten: „Beide haben ihre Berechtigung: Die Pyramide stellt die Priorisierung der Nahrungsmittel besser dar. Der gesunde Teller zeigt, was eine einzelne Mahlzeit beinhalten sollte.“
Ludvik empfahl, die PatientInnen darauf hinzuweisen, dass sie „buntes“ Essen zu sich nehmen sollten. Denn bunt bedeutet bei Nahrungsmitteln, dass viele sekundäre Pflanzenstoffe enthalten sind.
Die Fruktose war ein weiterer Diskussionspunkt, da sie wahrscheinlich ein Hauptverursacher der Fettleber ist. Fruktose ist nur in Früchten in Ordnung! Gefährlich ist die zugesetzte Fruktose, also zum Beispiel der Maissirup, der in sehr vielen verarbeiteten Lebensmitten zu finden ist. Kabisch gab als einfachste Form der Ernährungsempfehlung an: „Verbannen sie hochverarbeitete Lebensmittel mit unnötigen Zusätzen von ihrem Speiseplan, denn die enthalten oftmals sinnlosen Zucker und ungesundes Fett.“
Abschließend fasste Kautzky-Willer zusammen: „Low Fat ist out! Kohlenhydratlimitierte Ballaststoff-reiche Diätformen mit pflanzlichen gesunden Fetten funktionieren besser. Kein einzelnes Lebensmittel bringt die Erlösung. Ausschließlich eine konsequente Ernährungsumstellung, die ein Leben lang durchgehalten werden kann, bringt einen Vorteil und das gilt sowohl für Menschen mit Diabetes als auch für alle anderen.“
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