Am 14. November findet jährlich der Weltdiabetestag statt, um auf die globale Verbreitung und die großen Risiken dieser schweren Erkrankung aufmerksam zu machen. Diabetes wird nicht ohne Grund als „Volkskrankheit“ bezeichnet, und das Diabetes-Risiko betrifft mittlerweile die gesamte österreichische Gesellschaft: Jeder zehnte Erwachsene ist von Diabetes Mellitus Typ 2 betroffen.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Präsident der Österreichische Diabetes Gesellschaft [ÖDG] und Vorstand der Abteilung für Innere Medizin im Konventhospital Barmherzige Brüder Linz, dazu: „Der Weltdiabetestag ist die Gelegenheit, der breiten Öffentlichkeit die weiterhin großen Herausforderungen zu vermitteln, die mit dieser Erkrankung einhergehen, aber auch unsere medizinischen Erfolge darzustellen und alle Menschen mit Diabetes zu motivieren, selbst aktiver zu werden.“ Weiters betont Prof. Clodi die hohe Relevanz des regelmäßigen Screenings und die die fatale Wirkung von Zucker und Übergewicht auf Nieren und Herz sowie die wichtige Rolle des Gewichtsmanagements.
Warum ist Screening so wichtig?
Die Diagnose des Diabetes mellitus Typ 2 erfolgt in Österreich weiterhin zu spät, die aktuelle Verzögerung beträgt derzeit etwa sechs Jahre. Priv.-Doz. Dr. Michael Resl, Erster Sekretär der ÖDG und Oberarzt in der Abteilung für Innere Medizin im Konventhospital Barmherzige Brüder Linz, dazu: „Zahlreiche Daten belegen klar, dass Screening, frühe Diagnose und zielgerichtete Therapie zum Erhalt der Lebensqualität und zur Reduktion der Sterblichkeit maßgeblich beitragen.“ Diese Erkenntnisse führen zu einem klaren Auftrag an alle Ärzt•innen ihre Risiko-Patient•innen regelmäßig auf Diabetes und Prädiabetes zu screenen, um Folgeschäden zu minimieren.
Wer sollte nun sein Diabetes-Risiko bestimmen lassen?
„Ab dem 35. Lebensjahr empfiehlt die ÖDG allen Menschen ihr Diabetes-Risiko anhand des HbA1c-Werts oder eines oralen Glukosetoleranztests bestimmen zu lassen. Bei unauffälligen Resultaten sollte alle drei Jahre ein weiteres Screening erfolgen“, so Clodi. Bei positiver Familienanamnese, ab einem gewissen Alter und/ oder bei einem hohen BMI sollte der HbA1c-Wert routinemäßig bestimmt werden. Bei einem HbA1c-Wert von 5,7–6,4 Prozent handelt es sich um [Prä-]Diabetes. In diesem Fall sollte zusätzlich noch ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden.
Bereits vor dem 35. Lebensjahr sollte bei Vorliegen folgender Risikokonstellationen eine Untersuchung mittels HbA1c erfolgen:
- wenn erstgradig Verwandte [Eltern, Geschwister] an Diabetes erkrankt sind
- bei Übergewicht
- bei körperlicher Inaktivität
- bei kardiovaskulärer Vorerkrankung
- bei Vorliegen eines metabolischen Syndroms
- bei Bluthochdruck
- bei Fettstoffwechselstörungen, vor allem bei einem niedrigen HDL-Wert
- wenn eine Fettlebererkrankung diagnostiziert wurde
- wenn Frauen bereits einen Schwangerschaftsdiabetes hatten
- bei Vorliegen eines polyzystischen Ovarialsyndroms
- bei chronischem Tabakkonsum
Eine hohe Anzahl an frühzeitigen Todesfällen könnte in Österreich durch Screening und konsequente Behandlung vermieden werden. Prof. Clodi erklärt: „Laut Statistik Austria sterben jährlich über 3.300 Personen an Diabetes. Diese Statistik ist jedoch leider unvollständig und viel zu niedrig angesetzt. Von zwei Diabetes mellitus Typ 2 Patient•innen bekommt einer im Lauf seines Lebens eine Herzinsuffizienz. Und gerade die Herzinsuffizienz ist viel zu oft für einen frühen Tod verantwortlich. Die Statistik Austria weist 31.403 Kardiovaskuläre Erkrankungen als Todesursachen auf. Davon können mehr als 18.000 in die Diabetes-Statistik inkludiert werden.“
Neue Therapieoptionen und besserer Herz- und Nierenschutz
Die Stoffwechselerkrankung Diabetes wirkt sich auf alle Organe des menschlichen Körpers negativ aus. In besonderem Ausmaß betroffen sind das Herz und die Nieren. Denn hoher Blutzucker schädigt Herz und Nieren und schwache Nieren schädigen dann das Herz zusätzlich. Die Therapie hat sich somit über die Zeit stark gewandelt. In den neuen Leitlinien der ÖDG hat daher – zusätzlich zum Blutzucker – die multifaktorielle Therapie mit Beachtung aller Risikofaktoren [Cholesterin, Blutdruck, Blutzucker, …] an Bedeutung gewonnen und auch neuere Medikamente wie RAS Hemmer, Gerinnungshemmer, Statine und zuletzt PCSK9 Hemmer setzen hier an.
Aktuell stehen Diabetesmedikamente zur Verfügung, die nicht nur den Blutzucker senken, sondern gleichzeitig auch günstige Auswirkungen auf Herz, Gefäßverkalkung oder Herzschwäche, und Nieren haben. „Jetzt stehen wir am Beginn der Therapie mit neuen Antidiabetika mit weiteren Zusatznutzen. Die Substanzklassen der SGLT2-Hemmer und GLP-1-Analoga haben im Management von Typ-2-Diabetes eine bessere Performance in den Outcome-Studien als bisherige Medikamente und sind in den Leitlinien nun ganz vorne positioniert. Neueste Studiendaten, etwas aus der FLOW Studie[1], belegen dies eindrucksvoll“, so Präsident Clodi. Resl ergänzt: „Diese Therapeutika führen erwiesenermaßen zu einer höheren Lebenserwartung und besserer Lebensqualität – jedoch nur, wenn eine Diabeteserkrankung rechtzeitig erkannt und konsequent behandelt wird.“
„Dadurch sind auch mehr Lebensjahre möglich, in denen man sich gesund fühlen kann und keine Beschwerden und Folgeerkrankungen hat“, so Clodi anschließend, „und das wäre auch wichtig, da die Zahl der „gesunden Lebensjahre“ in Österreich noch ausbaufähig ist.“ Nach Statistik Austria liegen die gesunden Lebensjahre [2019] bei 64,7 Jahren [weiblich] bzw. 63,1 Jahren [männlich]. Das ist zirka im EU Durchschnitt liegt aber doch deutlich und einige Jahre hinter Spitzenreiter wie Italien – mit 68,5 gesunden Lebensjahren [weiblich] bzw. 67,7 [männlich] – aber auch deutlich zum Beispiel hinter Schweden, Irland und Deutschland. [2021, Quelle Eurostat].
Gewichtsmanagement braucht Mitarbeit der Patient•innen und interdisziplinäre Zusammenarbeit
„Bei allen Erkenntnissen, die die Erfolge der Früherkennung und rechtzeitiger Therapie belegen, darf nicht vergessen werden, dass der aktive Beitrag der Patient•innen zum Therapieerfolg entscheidend ist“, so Resl. Ein Bestandteil ist daher immer auch die Umstellung des Lebensstils in Richtung mehr Bewegung und gesünderer Ernährung. Denn mehr Muskelmasse und weniger Körperfett verhindern Hyperglykämien und tragen so zu einem gesünderen Leben bei – unabhängig davon, ob es sich um Prädiabetes oder Diabetes handelt.
Prof. Clodi ergänzt: „Das richtige Gewichtsmanagement ist entscheidend. Denn wenn das Gewicht steigt, steigt auch die Zahl der Fettzellen und diese produzieren toxische Substanzen mit negativen Auswirkungen auf das Herzkreislauf-System“. Wichtig sind daher auch verstärkte externe Beratung zum Diabetes-Management etwa auch ein Ernährungs- und Bewegungscoaching, psychologische Unterstützung sowie ein korrektes Wundmanagement.
Über die Österreichische Diabetes Gesellschaft [ÖDG]
Die Österreichische Diabetes Gesellschaft [ÖDG] ist die ärztlich-wissenschaftliche Fachgesellschaft der österreichischen Diabetes-Experten•innen. Ordentliche Mitglieder der Gesellschaft sind Ärzt•innen und wissenschaftlich einschlägig orientierte Akademiker•innen. Assoziierte Mitglieder sind Diabetesberater•innen und Diätolog•innen. Die Österreichische Diabetes Gesellschaft sieht es als ihre Aufgabe, die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen mit Diabetes mellitus zu verbessern. Sie setzt sich daher für die Anliegen der Betroffenen ein. Sie fordert und fördert die stetige Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus. Sie unterstützt die Forschung und verbreitet wissenschaftliche Erkenntnisse aller den Diabetes berührenden Fachgebiete sowohl zur Verbesserung der medizinischen Betreuung als auch zur bestmöglichen Vorbeugung von Neuerkrankungen.
Informationen über die Aktivitäten der ÖDG finden sie unter www.oedg.at
[1] FLOW ist eine randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Parallelgruppenstudie, in der injizierbares Semaglutid 1,0 mg mit Plazebo als Ergänzung zur Standardbehandlung verglichen wird, um das Fortschreiten der Nierenfunktionsstörung und das Risiko der nierenbedingten und kardiovaskulären Mortalität bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung [CKD] zu verhindern. 3.534 Personen sind in die Studie eingeschlossen, die in 28 Ländern an mehr als 400 Prüfzentren durchgeführt wurde. Die FLOW-Studie wurde im Jahr 2019 gestartet.
(Bilder: AdobeStock, ÖDG/ Roland Rudolph (2x))