„Dafür bin ich schon zu alt“. Oder „Das ist etwas für die Jungen.“ – So oder so ähnlich klingen die „Ausreden“, wenn man ältere Menschen fragt, ob sie nicht ein Musikinstrument lernen möchten. Aber stimmt dieser Einstellung wirklich? Kann man zu alt sein, um ein Instrument zu erlernen? Die einfache und kurze Antwort: Nein, ganz im Gegenteil! Denn ein Musikinstrument zu erlernen stärkt die Grob- und Feinmotorik, trainiert den Geist und sorgt für seelisches Wohlbefinden.
Positive Wirkung auf Körper »und« Geist
Wenn sie im reiferen Alter beschließen, [endlich] ein Instrument zu lernen, sind sie gleich mehrfach gefordert. Einerseits geht es um körperliche Fähigkeiten – Finger müssen beweglich sein, für Blasinstrumente muss das Lungenvolumen mitspielen, manche Instrumente sind schwer zu halten. Auf diese körperlichen Fähigkeiten lässt sich aber ganz leicht bei der Auswahl eines geeigneten Instruments Rücksicht nehmen.
Andererseits gibt es auch geistige Anforderungen. Vor allem, wenn sie ohne Vorkenntnisse mit dem Musikunterricht beginnen, sollten sie unbedingt langsam vorgehen und sich nicht durch zu hohe Erwartungen an sich selbst die Motivation rauben.
Wenn Sie diese „Einstiegshürden“ meistern, werden sie spüren, wie gut ihnen die Musik und das selbst Musik Machen tut. Denn auch im Alter ist unser Gehirn immer noch in der Lage, neue Synapsen zu knüpfen. Die frisch trainierte Auffassungsgabe und die verbesserte Motorik werden ihnen im Alltag zugutekommen. Unterschätzen sie nicht, wie sich das Erfolgserlebnis und die Musik selbst auf ihre Psyche auswirken werden.
6 Gründe, warum sie »auch« mit 60 noch ein Musikinstrument spielen lernen sollten
Gerade Menschen über 50 und fitte Seniorinnen und Senioren zeigen eine hohe Bereitschaft, sich der Bildung und der Kunst zu widmen und ihren persönlichen Horizont zu erweitern. Viele Gründe sprechen dafür, dass »auch sie« auf ihr Leben positiv Einfluss nehmen, wenn sie noch im Alter ein Instrument lernen:
- Das Spielen eines Musikinstrumentes bedeutet einen Gewinn an Lebensfreude.
- Das konsequente Üben eines Instrumentes kann durchaus als Arbeit und Anstrengung empfunden werden. Sie erhalten dadurch eine herausfordernde Aufgabe, mit der sie [auch] ihre Geduld und mentale Ausdauer stärken werden.
- Sie haben bereits in jüngeren Jahren ein Instrument gespielt? Dann nichts wie wieder ran an Gitarre, Klavier, Trompete & Co. Reaktivieren sie das in der Jugend investierte Kapital – sie werden sehen: Was sie bereits einmal an Fähigkeiten am Instrument erlernt haben, können sie sehr schneller wieder abrufen und darauf aufbauen.
- Wer sich einen lang gehegten Wunsch, im Alter ein Instrument zu lernen, erfüllt, erlebt ein Erfolgserlebnis, das vielleicht seit dem Ende des Berufslebens gefehlt hat.
- Sie sind geistig ohne Probleme in der Lage ein Musikinstrument mit 60, 65 oder 70 Jahren neu zu lernen: Das menschliche Gehirn ist selbst im hohen Alter formbar und bleibt mit geistigem Training länger fit, als nicht musizierende Gehirne.
- Als Seniorin und Senior ein Instrument zu lernen bringt sie und ihr Gehirn in Schwung. Die fordernde Aufgabe, regelmäßig zu üben und neue Musikstücke zu lernen, hält sie geistig rege und fördert die Synapsenbildung in ihrem Gehirn.
Musik beflügelt den Geist und kann sogar einer Demenz entgegenwirken
Vor allem die positive Wirkung vom Lernen und Spielen eines Instruments auf die kognitiven Fähigkeiten sind mittlerweile sehr gut dokumentiert. So konnten Untersuchungen zeigen, dass aktives Musizieren im Alter sogar einer Alzheimer-Demenzerkrankung entgegenwirken kann. Andere Studien zeigen, dass die Gehirne musizierender Menschen durchschnittlich etwa fünf Jahre jünger sind als die von Menschen, die nicht musizieren. Das liegt vor allen Dingen an der gesteigerten Neuroplastizität, also der Fähigkeit, etwas zu lernen, sein Gehirn zu vernetzen. Musizieren ist nämlich eine sehr komplexe Angelegenheit, ein Zusammenspiel aus Fingern, mitunter dem gesamten Körper und dem Gehör. Beim Musizieren setzen wir Noten in Musik um und kontrollieren ständig, ob das auch [einigermaßen] richtig klingt.
Bei vielen aktiv Musizierenden konnte beobachtet werden, dass sich die Reaktionsfähigkeit verbesserte, und dass sie auch ein verbessertes Gedächtnisleistung hatten. Sogar die Stimmung und das Wohlbefinden konnten sich signifikant verbessern.
Darüber hinaus konnten verschiedene Experimente zeigen, dass sich Schlaganfall-Patientinnen und Patienten leichter erholten, wenn sie aktiv musizierten. Auch bei Parkinson und Multipler Sklerose konnten positive Auswirkungen durch das Musizieren festgestellt werden.
Diese Instrumente sind geeignet
Wenn es darum geht, welches Instrument man lernen möchte, hat man in der Regel ohnehin seine ganz persönlichen Präferenzen: Die Eine möchte Klavier lernen, der Andere Gitarre, die beste Freundin würde sich gerne am Saxophon versuchen, der ältere Herr von nebenan Geige – oder anders formuliert: Überlegen sie sich zu Beginn, was ihnen Spaß machen würde und wo ihre [körperlichen] Stärken liegen. In einer Musikschule beispielsweise haben sie Gelegenheit, verschiedene Instrumente auszuprobieren.
Gitarrenunterricht ist für viele Seniorinnen und Senioren erste Wahl, nicht zuletzt deshalb, weil es viele geeignete Musikstücke gibt und sich schnell ein Erfolgserlebnis einstellt. Ein eigenes Instrument ist zudem schon recht preisgünstig zu haben. Die Gitarre ist nicht schwer und kann ganz einfach im Sitzen auf dem Bein gehalten werden.
Auch das Klavier ist beliebt, weil für das Spielen der Töne kaum Kraft benötigt wird. Sie sollten aber bedenken, dass die Finger beweglich sein müssen [breite Spreizung zwischen Daumen und kleinem Finger], und dass die Pedale mit den Füßen bedient werden. Wer hier Einschränkungen hat, kann sich aber alternativ an einem Keyboard versuchen.
Oft wird die Veeh-Harfe für Senioren-Einsteigerinnen und Einsteiger in die Welt der Musikinstrumente empfohlen. Der Grund ist eine besondere Notenschrift, die zwischen die Saiten geschoben wird. Der 2020 verstorbene Erfinder Hermann Veeh hat das Zupfinstrument und die Noten für seinen am Down-Syndrom leidenden Sohn erfunden. Die Veeh-Harfe kann sogar im Bett gespielt werden und wird auch zum Training der Feinmotorik nach einem Schlaganfall eingesetzt.
Musizieren für die Stimmung
Musizieren kann – wie schon erwähnt – die Stimmung und das Wohlbefinden verbessern. Die vielfältigen Auswirkungen von Musik kennen wir beispielsweise von gut gemachter Filmmusik. Da werden binnen Sekunden Stimmungen und Gefühle erzeugt, die ohne die Musik nicht möglich wären. Selbst in alten Quellen wird davon berichtet, wie das Musizieren und das Hören von Musik „dunkle Geister vertreiben“ konnte. Und genau diesen Effekt kann man aktiv nutzen. Denn wenn das Berufsleben vorbei ist, sind viele Seniorinnen und Senioren auf der Suche nach dem Sinn. Wer da nicht auf eine Vielzahl von Fernsehserien zurückgreifen möchte, könnte diesen Sinn im Musizieren finden.
Gemeinsam musizieren
Wer nach seinem Berufsleben weniger oder gar keinen Kontakt mehr zu seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen hat, kann vom aktiven Musizieren in der Gemeinschaft profitieren. Neben herkömmlichen Ensembles und Chören gibt es zahlreiche aktive Zusammenschlüsse von Seniorinnen und Senioren, die unter anderem auf die veränderten Stimmlagen und weitere Besonderheiten Rücksicht nehmen.
Vom Musizieren in Ensembles profitiert man dabei gleich mehrfach:
- Ehrgeiz
Man möchte sich voll in die Gruppe einbringen, was [noch] besser gelingen wird, wenn man sich vorbereitet und für das nächste Zusammentreffen fleißig übt. - Austausch
Wenn sie mit anderen Menschen musizieren, werden sie sich automatisch mit ihnen austauschen. So lernen sie neue Freunde mit gleichen Interessen kennen – das verbindet. - Zusammengehörigkeit
Eine der sogar untersuchten Auswirkungen vom gemeinsamen Musizieren ist das Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie arbeiten mit anderen auf ein Ziel hin – sei es nun das Beherrschen bestimmter Stücke oder sogar die gemeinsame Vorbereitung auf einen Auftritt. Auf jeden Fall haben sie das Gefühl, sinnvoll etwas zu erschaffen – und sie können damit sogar andere Menschen erfreuen. - Herausforderung
Die meisten haben vermutlich vorher noch nie oder zumindest schon länger nicht mehr auf einer Bühne gestanden und damit im Mittelpunkt des Geschehens. Eine solche Erfahrung kann eine schöne Herausforderung sein. Dadurch, dass sie dabei nicht alleine sind, ist das berühmte „Lampenfieber“ viel weniger schlimm und sie können ganz das tolle Gefühl eines Auftritts genießen.
Sollte man Unterricht nehmen?
Vielleicht sind sie ja der Meinung, dass sie die Zeit haben, um sich das Musizieren selbst beizubringen. Dazu gibt es mittlerweile sehr gute Apps oder Videotutorials im Internet.
Viel sinnvoller ist es aber, wenn sie sich für – vielleicht zumindest gezielte – Lektionen bei einer Lehrperson entscheiden. Denn diese kann letztlich auch gut einschätzen, auf welchem Niveau sie einsteigen und entsprechende Stücke auswählen. Gerade wenn sie früher bereits aktiv musiziert haben, weiß ein•e Musiklehrer•in, wie sie die „verstaubten“ Talente wieder herauskitzeln kann. Es ist nämlich [auch] gut möglich, dass sie ihre eigenen Fähigkeiten unterschätzen 😉
Außerdem können sie von den Kenntnissen einer Lehrperson auch insofern profitieren, dass sie Fehler ganz einfach sieht und ihnen helfen kann, diese zu korrigieren. So machen sie deutlichere Fortschritte, was wiederum den Spass am Musizieren enorm steigert.
(Bilder: AdobeStock)