Ein Forschungskonsortium bestehend aus der Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien und weiteren Partnern unter der Leitung der CBmed GmbH in Graz [Zentrum für Biomarkerforschung in der Medizin] hat die Auswirkungen der winzig kleinen Mikro- und Nanoplastikpartikel [MNPs] aus Kunststoff auf Krebszellen im menschlichen Magen-Darm-Trakt untersucht. Ergebnis dieses internationalen Forschungsprojekts: MNPs stellen potenzielle Gesundheitsrisiken dar mit möglicherweise gravierenden Folgen.
Mikroplastik, 5 Millimeter bis 1 Mikrometer kleine Plastikteilchen, ist allgegenwärtig: in der Luft, im Wasser, im Boden. Da es sich um ein noch relativ neues Problem handelt, sind die gesundheitlichen und ökologischen Folgen für uns und insbesondere für die zukünftigen Generationen noch weitgehend unbekannt. Es ist jedoch eine Tatsache, dass Mikroplastik mittlerweile auch im menschlichen Körper nachgewiesen werden kann. Ob es einen Zusammenhang von Mikroplastik im Körper und der Steigerung von Tumorerkrankungen gibt, erforschen Prof. Dr. Lukas Kenner und Prof. Dr. Wolfgang Wadsak in dem von der CBmed GmbH geleiteten Forschungsprojekt „microONE“.
*Die Studienergebnisse wurden aktuell im Fachjournal „Chemospheres“ publiziert.
Mikro- und Nanoplastikpartikel – gekommen, um zu bleiben!
Bei ihren Analysen konnten die Forscher•innen nicht nur zeigen, wie MNPs in die Zelle eindringen und wo genau sie sich ablagern, sondern sie beobachteten auch deren direkte Auswirkungen: Die MNPs werden wie andere „Abfallprodukte“ im Körper in Lysosomen aufgenommen. Lysosomen sind Zellorganellen, die auch als „Magen der Zelle“ bezeichnet werden und Fremdkörper in der Zelle abbauen.
Die Forscher•innen entdeckten jedoch, dass die MNPs aufgrund der körperfremden chemischen Zusammensetzung im Gegensatz zu Fremdkörpern biologischen Ursprungs nicht abgebaut werden. Abhängig von verschiedenen Faktoren werden die MNPs sogar bei der Zellteilung an die neu gebildete Zelle weitergegeben und dürften daher beständiger im menschlichen Körper sein als ursprünglich angenommen.
„Bei Nano- und Mikroplastik beobachten wir einen Trojanischen Pferd-Effekt: Einerseits dringt es in den menschlichen Körper ein und bindet sich an Blutbestandteile, wodurch es sehr leicht verteilt werden und sogar die Bluthirnschranke überwinden kann. Andererseits werden diese winzigen Teilchen bei der Zellteilung nachweislich an die nächste Generation von Zellen weitergegeben. Sie sind also gekommen, um zu bleiben“, erklärt Dr. Wolfgang Wadsak das Verhalten von Plastikpartikel im menschlichen Körper.
Über die Nahrung in den Körper
MNPs gelangen über verschiedene Wege in die Nahrungskette und somit in den menschlichen Körper. So tragen beispielsweise auch Verpackungen oder Textilien aus Kunststoff zur Entstehung von Mikroplastik bei. Die Menge an Mikroplastik, die pro Woche und Person aufgenommen wird, liegt bei bis zu etwa fünf Gramm, was dem Gewicht einer Kreditkarte entspricht.
Das Team um den Pathologen Prof. Dr. Lukas Kenner erforscht insbesondere die Auswirkungen von Mikroplastik im Verdauungssystem des menschlichen Körpers. Lokale Entzündungs- und Immunreaktionen sowie Veränderungen im Darm-Mikrobiom wurden bereits mit der Aufnahme von Mikroplastik in Verbindung gebracht. Zudem besteht ein möglicher Zusammenhang zwischen Mikroplastikpartikeln und biochemischen Prozessen, die an der Entstehung von Krebs beteiligt sind bzw. die Metastasierung von Tumoren fördern könnten.
Das veränderte Verhalten der Darmkrebszellen in Bezug auf die Zellmigration konnte vor allem als Folge der Interaktion mit Plastikpartikeln festgestellt werden, die kleiner als ein Mikrometer [1 µm = 0,001 mm] sind. Unbestritten ist, dass Kunststoffteilchen umso schädlicher wirken, je kleiner sie sind. „Das deckt sich einmal mehr mit den Ergebnissen unserer Analysen“, betont Studienleiterin Verena Pichler [Universität Wien, CBmed]. „Außerdem können wir mit unserer Studie jüngste Erkenntnisse bestätigen, die darauf hindeuten, dass MNPs das Zellverhalten beeinflussen und möglicherweise zum Fortschreiten von Krankheiten beitragen können“, ergänzt Lukas Kenner. Dieser Effekt soll jetzt in einer Folgestudie weiter untersucht werden.
Chronisch Kranke besonders betroffen
Menschen mit chronischen Krankheiten könnten besonders anfällig für die negativen Auswirkungen von Mikroplastik sein. Lokale Veränderungen im Magen-Darm-Trakt, die bei chronischen Erkrankungen auftreten können, könnten das Risiko für die schädlichen Auswirkungen von Mikroplastik erhöhen und die Wirkung von Medikamenten beeinflussen.
Das menschliche Darmmikrobiom besteht aus einer Vielzahl von Bakterienarten, die eine entscheidende Rolle bei der Verdauung von Nahrungsmitteln, der Aufrechterhaltung des Immunsystems sowie der Produktion von wichtigen Aminosäuren und biologischen Stoffen spielen. Diese beeinflussen nicht nur den Stoffwechsel, sondern auch kognitive Prozesse. Bei Darmerkrankungen, wie beispielsweise einer chronischen Durchfallerkrankung, sind die Schleimhäute durchlässiger und es können deutlich mehr Plastikpartikel ins Blut aufgenommen werden. Wenn diese Plastikpartikel von Cholesterinmolekülen umgeben sind, werden sie von der Blut-Hirn-Schranke nicht als Fremdkörper identifiziert und gelangen somit auch rasch ins Gehirn.
Maßnahmen zur Risikominderung
„Plastikfasten“ – der temporäre oder vollständige Verzicht auf Produkte, die einen potenziellen Eintrag von Mikroplastik im Körper begünstigen. Eine entsprechende Studie dazu wird derzeit von Prof. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der MedUni Graz im Rahmen des microONE Projekts durchgeführt.
Jede Person kann bereits heute einiges dazu beitragen, die direkte Aufnahme von Mikroplastik in den eigenen Körper zu vermeiden, beispielsweise durch:
- Vermeiden von Schneidbrettern aus Kunststoff in der Küche
- Unverpacktem bzw. Produkten in biologisch abbaubaren Verpackungen den Vorzug geben
- Zahnbürsten aus Plastik vermeiden
- Alternative Trinkflaschen anstatt Plastikflaschen verwenden
- Beim Textilkauf auf synthetische Fasern verzichten
- Kunststoffe immer richtig entsorgen: Das gilt nicht nur für Verpackungen, auch Kunststoffanwendungen im Freien müssen sehr sorgfältig behandelt und rechtzeitig entsorgt werden, bevor sie Zerfallserscheinungen aufweisen.
Je kleiner, desto schädlicher
„Vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Kunststoffen in der Umwelt und der anhaltenden Exposition auch des Menschen durch kleinste Plastikpartikel sind dringend weitere Studien erforderlich, um insbesondere Langzeitauswirkungen zu untersuchen“, so Kenner. „Es ist davon auszugehen, dass von MNP eine chronische Toxizität ausgeht“, befürchtet Pichler. Die jüngsten Ergebnisse sowie frühere Studien belegen eine hohe Aufnahme und einen langen Verbleib in Geweben und in Zellen. Damit erfüllen die untersuchten Partikel zwei von drei Merkmalen in der Toxikologie, mit denen im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung [„REACH“] Stoffe als bedenklich eingestuft werden.
Hintergrundinformationen | über das Forschungsprojekt
Im Forschungsprojekt microONE wird noch in den nächsten zwei Jahren fundiert untersucht, welche Auswirkungen Nano- und Mikroplastikpartikel im menschlichen Körper haben. In einem zweiten Schritt müssen dann Lösungen gefunden werden. „Die Minimierung der Mikroplastikeinträge in die Umwelt erfordert ein koordiniertes Handeln auf individueller, gesellschaftlicher und politischer Ebene. Diese Prozesse zu begleiten und voranzutreiben, haben wir uns im bündnis mikroplastikfrei verschrieben“, erklärt Ing. Mag. Walter Hauer, Präsident des Bündnisses.
Indem wir gemeinsam die Belastung mit Mikroplastik reduzieren, können wir dazu beitragen, die Gesundheit des Menschen zu schützen und die Umwelt für zukünftige Generationen zu bewahren. Maßnahmen dazu umfassen die Reduzierung von Einwegplastik, die Einschränkung von synthetischen Kleidungsstücken und die Unterstützung von ökologisch unbedenklichen Materialalternativen.
Mehr Informationen gibt es auf der Webseite Mitmachen – bündnis mikroplastikfrei
Über das bündnis mikroplastikfrei:
Das bündnis mikroplastikfrei ist Drehscheibe für Knowhow und Austausch, um Lösungsstrategien zur Reduktion von Mikroplastik in der Umwelt zu entwickeln. Es ist ein internationaler Zusammenschluss von wissenschaftlichen Einrichtungen, Unternehmen, Interessensverbänden und der kommunalen Verwaltung – gemeinsam begegnet es den technologischen und rechtlichen Herausforderungen. Das bündnis mikroplastikfrei ist zudem einer der mitwirkenden Partnerorganisationen beim Aktionsplan Mikroplastik 2022-2025 der österreichischen Bundesregierung.
Über CBmed GmbH und das Projekt microONE
Das Forschungszentrum „Center for Biomarker Research in Medicine“ [kurz: CBmed] wurde 2014 in Graz gegründet und verbindet exzellente Forschungsinfrastruktur, wissenschaftliche Expertise, medizinisches Fachwissen sowie nationale und internationale Industriepartner für systematische Biomarkerforschung im Bereich der Präzisionsmedizin. CBmed ist Konsortialführer des Grundlagenforschungsmoduls „microONE“, welches innerhalb des COMET-Programms [Competence Centers for Excellent Technologies] durch die Bundesministerien BMK und BMWA, Land Steiermark [SFG] und Land Wien [WAW] unterstützt und von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft [FFG] betreut wird.
Eigentümer der CBmed GmbH sind die Medizinische Universität Graz, die Medizinische Universität Wien, die Technische Universität Graz, die Karl-Franzens-Universität Graz, die JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH und das Austrian Institute of Technology.
*Publikation: Chemospheres
Microplastics Role in Cell Migration and Distribution During Cancer Cell Division;
Ekaterina Brynzak-Schreiber, Elisabeth Schögl, Carolin Bapp, Klaudia Cseh, Verena Kopatz, Michael A. Jakupec, Andreas Weber, Tobias Lange, José L. Toca-Herrera, Giorgia del Favero, Wolfgang Wadsak, Lukas Kenner*, Verena Pichler*
* Shared corresponding authors
https://doi.org/10.1016/j.chemosphere.2024.141463
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