Forscherinnen und Forscher am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und am Institut Pasteur in Paris haben mithilfe eines mathematischen Modells die ersten Monate der Corona-Pandemie in Europa untersucht. Sie konnten zeigen, dass der Rückgang der Covid-19-Fälle im Frühling dieses Jahres nicht nur mit den zum Teil rigorosen Gegenmaßnahmen – Stichwort Ausgangsbeschränkungen –, sondern auch mit dem Ende der Grippesaison zusammenhängt. Grippeerkrankungen haben die Corona-Übertragung demnach im Durchschnitt um das 2,5-Fache erhöht.
Dem entsprechend legt das Ergebnis der Studie* nahe, dass auch die kommende Grippewelle im Herbst einen verstärkenden Einfluss auf die Corona-Pandemie haben wird – die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen daher die Bedeutung von Grippeimpfungen, nicht zuletzt auch als möglichen Schutz vor einer Infektion mit dem Corona-Virus Sars-CoV-2.
Doppelinfektion Grippe und Corona
Forscherinnen und Forscher rund um Matthieu Domenech de Cellès haben im Zuge ihrer Arbeit die Auswirkungen einer Doppelinfektion mit Grippeviren [Influenza] und dem Corona-Virus Sars-CoV-2 untersucht. Grundsätzlich beschäftigt sich der französische Wissenschaftler eigentlich mit der Wirksamkeit von Impfprogrammen und der Saisonalität von Infektionskrankheiten wie Grippe. Als aber Anfang des Jahres die ersten Corona-Fälle in Europa auftraten, wollte er sein Wissen als Experte für epidemiologische Modelle auf die neue Pandemie anwenden.
Zusammen mit Forscherinnen und Forschern aus Paris und Lyon hat Domenech de Cellès jetzt ein Modell entwickelt, dass sowohl die Übertragung mit dem Corona-Virus als auch die Sterblichkeit errechnet. Mit Hilfe dieses Modells soll der Einfluss der Grippesaison auf die Corona-Pandemie entschlüsselt werden.
Vier Länder unter der Lupe
Für ihre Fragestellung haben die Forscherinnen und Forscher konkret den Verlauf der Pandemie in Belgien, Norwegen, Italien und Spanien modelliert – vier europäische Länder, in denen die Pandemie während der ersten Jahreshälfte unterschiedlich stark ausgeprägt war. Um das Infektionsgeschehen möglichst realistisch abzubilden, sind in das Modell zum einen Krankheitsparameter eingeflossen – ein Beispiel ist das „Generationsintervall„, also der Zeitraum, nach dem eine Infizierte bzw. ein Infizierter eine weitere Person ansteckt.
Und zum anderen wurden auch nicht-pharmazeutische Gegenmaßnahmen mit berücksichtigt, denn natürlich hatten Ausgangssperren und Social Distancing auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Pandemie. Zu diesem Zweck wurde der sogenannte „Stringenz-Index“ genutzt. Dabei handelt es sich um einen von der Universität Oxford entwickelten Wert, der von Null bis 100 die „Härte“ staatlich verordneter Anti-Corona-Maßnahmen misst.
Corona-Übertragung steigt um das 2,5-Fache
Nachdem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Pandemie in ihrem Modell sozusagen „nachgebaut“ hatten, konnten sie unterschiedliche Annahmen zum Einfluss der Grippesaison testen. Sie überprüften, ob das Modell realistischer ist, wenn Grippe die Corona-Übertragung verringert, gar nicht beeinflusst oder vergrößert. Das Team konnte so zeigen, dass Grippe die Übertragungsrate von Corona in der Bevölkerung im Durchschnitt um das 2,5-Fache erhöht hat. Die Forscher überprüften ihr Modell mit den Statistiken der täglichen Todesfälle in den vier Ländern. So konnten sie nachweisen, dass ihr Modell mit der Pandemie-Realität übereinstimmt. Ohne den nachgewiesenen Einfluss der Grippe entfernte sich das Modell von der Realität – mit deutlich niedrigeren Ansteckungszahlen.
Offen bleibt laut den Forscherinnen und Forschern aber, ob Grippekranke mit höherer Wahrscheinlichkeit Corona auf andere übertragen oder ob eine Grippeerkrankung Menschen anfälliger für Corona macht. Letzteres ist aber wahrscheinlicher, denn dass Grippeviren die Anfälligkeit für Corona vergrößern könnten, wurde vor Kurzem auch in Laborstudien nachgewiesen: Die Grippeviren bewirken eine vermehrte Herstellung von Rezeptoren, die das Corona-Virus benötigt, um an menschliche Zellen anzudocken.
Grippe- und Pneumokokken-Impfungen sind wichtig
Aus ihren Ergebnissen schließen die Forscherinnen und Forscher, dass in der schon bald kommenden Grippesaison Schutzimpfungen gegen Grippeviren essenziell sein könnten. Aber auch die Impfung gegen Pneumokokken ist besonders für Menschen mit chronischen Erkrankungen und für ältere Menschen wichtig. Denn Pneumokokken können direkt, Grippe kann indirekt eine bakterielle Lungenentzündung verursachen und damit das Risiko eines schweren Corona-Verlaufs erhöhen.
Daher: lassen sie sich impfen – nicht nur um Krankenhäuser zu entlasten, sondern auch um den möglichen Effekt auf die Corona-Übertragung einzudämmen.
Über die Studie
Die Studie wurde auf der Wissenschaftsplattform medRxiv vorveröffentlicht und muss noch im sogenannten Peer-Review von Fachkollegen begutachtet werden. Die Studie [in Englischer Sprache] können sie HIER als Pdf downloaden.
(Bilder: Pixabay.com)