Dr. Hannes Androsch – der einst „aufstrebende Jungstar“ unter dem „Sonnenkönig“ Bruno Kreisky [so die Medien über die beiden Politiker] und spätere Unternehmer hat Österreich nachhaltig geprägt und mit gestaltet. Wir haben mit ihm u.a. über die Herausforderungen des demographischen Wandels, das älter werden und das Alter an sich gesprochen. Außerdem: was „die Alten“ von „den Jungen“ lernen können, sein persönlicher Tipp für ein gesundes Altern, u.v.m. lesen sie hier.
Herr Dr. Androsch, die Alterung der Gesellschaft wird sich allen Prognosen zufolge innerhalb der nächsten fünf Jahre zunehmend beschleunigen. Wie werden wir dies Ihrer Meinung nach zu spüren bekommen?
Mit Blick auf die immer älter werdende Gesellschaft ist der Hauptgrund schnell ausgemacht, nämlich die sukzessive geringer werdenden Geburtenzahlen. Man könnte fast meinen, es gäbe eine „Ein-Kind-Politik“. Jedenfalls ist diese Problematik nicht ohne entsprechender Zuwanderung zu lösen.
Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben: Auf der einen Seite gibt es immer weniger junge Menschen in Erwerbstätigkeit, und auf der anderen Seite immer mehr ältere Menschen, die arbeiten. Aktuell sind 1,7 Prozent der über 63-jährigen und 1,5 Prozent der über 65-jährigen Menschen voll erwerbstätig.
Es werden im Bereich der Pflege, der Pensionen – aktuell wird bereits ein Viertel des Bundesbudgets für Pensionen aufgewendet – oder im Gesundheitsbereich riesige Kosten auf uns zukommen. Man sieht das ja u.a. auch am Beispiel Japans oder Russlands, deren Gesellschaft noch rascher altert als unsere, mit welchen gewaltigen Problemen diese Länder zu kämpfen haben.
Laut Prognosen droht uns eine Versorgungslücke. Sie haben es einmal so formuliert: „Bei uns sagt man, die Pensionen sind sicher. Das stimmt schon, wenn’s das Budget zahlt. Nur ist dann das Budget nicht mehr sicher.“ – Ist das eine übertriebene Panikmache oder kommen auf Staat und Gesellschaft tatsächlich massive Probleme zu?
Diesbezüglich wurden und werden sämtliche Warnungen ignoriert. Keiner unter 40 glaubt das. Aber die Pensionen sind alles andere als sicher, wenn man nichts macht und endlich beginnt gegenzusteuern. Ich finde das verantwortungslos!
Man fürchtet, dass notwendige Maßnahmen politisch unpopulär sind. Entsprechend findet sich ja auch im aktuellen Regierungsprogramm kein Punkt zum Thema Pensionssicherung. Mir kommt das Thema so vor wie ein Schneepflug, der immer größere Schneemengen vor sich herschiebt, bis er steckenbleibt. Dabei haben wir zunehmend eine Erwerbs- und in weiterer Folge eine Finanzierungslücke.
Welche großen sozialen Auswirkungen sehen Sie im steigenden Bevölkerungsalter?
Nehmen wir beispielsweise den Pflegebereich her: Wenn ich höre, dass 300 Schülerinnen und Schüler in Schulversuchen eine Ausbildung im Bereich Pflege beginnen, gleichzeitig aber weiß, dass bald 75.000 Pflegefachkräfte fehlen werden, dann ist das nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein. Hier müsste längst schon viel mehr gemacht werden.
Stecken in der demographischen Entwicklung auch Chancen für die Zukunft?
Chancen und Möglichkeiten gibt es natürlich in den Bereichen der Digitalisierung und der Roboterisierung. Hier wird künftig sicher eine Verringerung der Erwerbsquote durch eine höhere Produktivität ausgeglichen werden.
Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklungen, sprich alternder Gesellschaft, finde ich aber auch unsere Migrations- und Flüchtlingspolitik falsch. Anstatt über Kopftuchverbote zu diskutieren, sollten wir uns über echte und ehrliche Integration Gedanken machen. Hier ist in den letzten Jahren de facto nichts passiert. Das beginnt bereits bei einer frühkindlichen Spracherlernung oder Ganztagsschulen – letztlich den Forderungen des „Volksbegehrens Bildungsinitiative“ und „Neustart Schule“ wenn sie so wollen.
Wir müssen weg von einer reaktionären Bildungspolitik hin zu Maßnahmen, die auch von allen Bildungsexperten vertreten werden. Denn gerade Bildungsarmut führt in den meisten Fällen zu sozialer Ungleichheit.
Wie war Ihr Bild vom Altsein, als Sie 25 waren? Wie hat es sich bis heute geändert?
Nun, als ich 25 war, hatte ich ehrlich gesagt kein wirkliches Bild vom Altsein. Meine Großeltern waren zu dieser Zeit bereits verstorben und ich habe an alles andere nur nicht ans Alter gedacht bzw. auch nicht darüber nachgedacht. Das kommt im Laufe der Zeit, wenn man sich der eigenen Endlichkeit bewusst wird.
Was bedeutet für Sie „älter werden“?
Älter werden ist für mich ein natürlicher Vorgang, der automatisch passiert vom ersten Tag der Geburt an.
Sind ältere Menschen in Österreich gut vertreten?
Sie sind auf jeden Fall besser vertreten als die Jugend. Entsprechend hat die ältere Generation große Verantwortung gegenüber der jüngeren. Die älteren Menschen sollten sich aus Verantwortung heraus um die Jugend kümmern. Sie sollten ihnen Möglichkeiten bieten, so wie sie in Freiheit und Frieden, Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit aufzuwachsen und zu leben.
Wie müssten die Strukturen in Österreich aussehen, damit v.a. ältere Menschen im Jahr 2050 immer noch gut leben?
Es ist ja so, dass die Menschen gesünder immer älter werden. Entsprechend sollten sie länger arbeiten. Denn eigentlich ist es ja ein Paradoxon, dass wir auf der einen Seite immer früher in Pension gehen, aber auf der anderen Seite länger in Pension sind, weil wir einfach länger leben.
Natürlich sollte niemand, der sein Leben lang schwer gearbeitet hat, das auch noch mit 70 machen. Aber warum sollte beispielsweise ein Primar Arzt nicht länger als bis 65 Jahre arbeiten können? – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund eines zunehmenden Ärztemangels in Spitälern?
Was können die „Alten“ von den „Jungen“ lernen?
Die Unbekümmertheit im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit. Mit dem Alter wird man auf der einen Seite zwar ungeduldiger, wenn es um Dinge geht, die man schnell machen kann. Aber auf der anderen Seite hat man auf Grund der Jahre natürlich einen anderen Blick auf das Leben. Man wird gelassener und nimmt nicht mehr alles so ernst wie in jungen Jahren.
Wie wichtig ist lebenslanges Lernen?
Gerade in unserer sich rasant ändernden Zeit ist lebenslanges Lernen sozusagen eine conditio sine qua non. Es ist unabdingbar, geistig agil zu bleiben trotz zunehmender körperlicher Fragilität.
Haben Sie einen „persönlichen“ Tipp für gesundes Altern bzw. was kann der einzelne tun, um gesund alt zu werden?
Vernünftig leben, sich interessieren, in Bewegung bleiben, nach vorne schauen und nicht resignativ zurück.
Wie lautet Ihr persönliches Motto?
Alt werden – gesund sterben.
Herr Dr. Androsch, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Hannes Androsch ist am 18. April 1938 in Wien geboren. Nach der Matura 1956 studierte Androsch an der Hochschule für Welthandel in Wien. 1959 erwarb er sein Diplom, 1969 erfolgte die Promotion. Ab 1966 war Androsch als Steuerberater und ab 1968 als Wirtschaftsprüfer tätig. 1970 gründete er die Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei Consultatio in Wien-Floridsdorf.
Androsch war von 1967 bis 1981 Abgeordneter zum Nationalrat, von 1970 bis 1981 österreichischer Finanzminister und zusätzlich von 1976 bis 1981 Vizekanzler unter Bruno Kreisky.
Danach bekleidete Androsch von 1981 bis 1988 das Amt des Generaldirektors der damals im Staatseigentum befindlichen Creditanstalt. 1988 war er Konsulent der Weltbank.
Seit 1989 ist Androsch Geschäftsführender Gesellschafter der AIC Androsch International Management Consulting GmbH und seit 1997 Miteigentümer der Salinen Beteiligungs GmbH und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Salinen Austria AG. Seit 1994 ist er Miteigentümer von AT & S, Europas größtem Leiterplattenhersteller, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er auch ist. Weiters ist er Aufsichtsratsvorsitzender bei bwin, wo er auch eine Beteiligung hält.
2003 wurde er Vorsitzender des Universitätsrates der Montanuniversität Leoben. 2004 erfolgte die Errichtung der „Stiftung Hannes Androsch bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften“. Seit 2007 ist er Aufsichtsratsvorsitzender der größten außeruniversitären Forschungseinrichtung Österreichs, des AIT [Austrian Institute of Technology]. Im Jahr 2010 wurde er zum Vorsitzenden des Rates für Forschung und Technologieentwicklung gewählt.
Androsch ist darüber hinaus mehrfacher Ehrensenator und Ehrendoktor zahlreicher nationaler und internationaler Universitäten.
Schließlich ist Androsch auch Präsident des Vereines „Bildungsinitiative für die Zukunft“, der im November 2011 das Volksbegehren Bildungsinitiative betrieb.
(Bilder: AIT Austrian Institute of Technology GmbH/ APA-Fotoservice/ Schedl, AIC/ Daniel Novotny (2x))