„Du bist anstrengend AF“. – Soweit so klar. Also zumindest bis auf die letzten beiden Buchstaben. Denn Hand auf´s Herz: Haben sie [so wie wir] keine Ahnung, was „AF*“ in diesem Zusammenhang heißen soll? Dann sind sie vermutlich [weit] über 19 Jahre alt und mit der Sprache der Jugend von heute nicht [mehr] so vertraut. Denn was bei ihnen »damals« noch „cool“ oder „geil“ war, ist heute eher „lit“ oder „lan“. Das können sie nicht nachvollziehen? »Hey, sheesh, OK Boomer!«
Oder anders gesagt: es war schon immer so, dass Jugendliche anders reden als Erwachsene. Auch wenn es so manche bei der aktuellen Jugendsprache schaudert und viele diesen »Ghetto-Slang« als kompletten Sprachverfall empfinden, so gehört es doch irgendwie dazu zum Erwachsenwerden. Das einzig Beruhigende an der Sache: sogar die jüngeren Millennials haben inzwischen Schwierigkeiten mit den »kreativen Wortschöpfungen« der jüngsten Generation 😉
»cringe«, »lost« und »I bims«
Dabei handelt es sich weder um »echte« Zugenbrecher noch um versteckte Vermisstenanzeigen, sondern so lauten die Jugendwörter der letzten Jahre – gekürt von einem großen Wörterbuchverlag – obwohl viele Jugendliche diese angeblich so typischen Begriffe gar nicht verwenden. Und trotzdem, wer Jugendliche bei sich zu Hause hat oder mit ihnen arbeitet, weiß: sie reden anders als Erwachsene.
Für viele ältere Semester klingt diese Jugendsprache wie »Sprachverfall«, doch diese sprachlichen Phänomene hat es immer schon gegeben. In den 1960ern beispielsweise waren so Ausdrucke wie »Feuerstuhl« für Motorrad oder »Schuppen« für Kino oder »halbes Hemd« für großmauligen Schwächling für Erwachsene unverständlich. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht zeugt jedoch der Gebrauch von Jugendsprache von hoher kommunikativer Kompetenz. Wer sich dessen bewusst ist, begegnet Jugendlichen mit weniger Vorurteilen und mehr Verständnis.
Die Bedeutung von Jugendsprache
Die Jugendsprache ist, wie die bisherigen Beispiele zeigen, einem ständigen Wandel unterworfen. Die Sprache, die junge Leute verwenden, hängt dabei von zahlreichen Faktoren ab: Zeit des Aufwachsens, sozialer Stand, Umfeld, Erziehung, aber auch Neigungen und Interessen der Jugendlichen spielen eine wichtige Rolle.
Grundsätzlich ist das Ziel einer derartigen spezifischen Sprache zumeist die Abgrenzung zu anderen sozialen Gruppen, nicht selten zu den Eltern oder zu Autoritätspersonen allgemein. Jugendliche identifizieren sich durch bestimmte Sprachverwendung und Begriffe. Sie müssen ihre Identität konstruieren, was sie auf kreative bis provokative Art durch Kleidung, Frisuren, Musik und eben auch Sprache machen. Indem Jugendliche miteinander kommunizieren, handeln sie ihre Persönlichkeit aus. Im Unterschied zu Erwachsenen sind Jugendliche eher bereit, neue Wörter und grammatische Konstruktionen zu erfinden. Sie haben Lust am Spiel mit der Sprache und dabei auch am Bruch konventioneller Regeln.
Die Wissenschaft brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass es de facto so viele Jugendsprachen wie Jugendgruppen gibt. Jede Gruppe ist anders geprägt. Sie kennen das vielleicht. Unter alten Freunden sagt jemand plötzlich: „Haha, könnt ihr euch noch an ‘Ente’ erinnern?“ und alle lachen. Für diese Gruppe hat dieses Wort eine ganz spezielle Bedeutung, die auf ein gemeinsames Erlebnis zurückgeht. Heute ist sich die Sprachwissenschaft einig, dass Jugendsprache ebenfalls sehr stark vom Kontext abhängt. Man kann also die Bedeutung einzelner jugendsprachlicher Ausdrücke nicht einfach im Wörterbuch nachschlagen.
Jugendsprache grenzt ab und macht zugehörig
Mit einer gemeinsamen Sprache schaffen Jugendliche innerhalb ihrer Gruppe untereinander Nähe. Es entsteht eine ungezwungene Situation und das Gefühl: Wer unsere Sprache spricht, gehört dazu. Das funktioniert sogar in Abwesenheit der Gruppe. Wenn ihr Kind beispielsweise mit ihnen streitet und Jugendsprache spricht, dann distanziert es sich von ihnen und konstruiert sich sozusagen seine Freunde herbei.
Es geht aber auch andersrum, quasi im positiven Sinn: Durch Jugendsprache kann ihr Kind nämlich auch Nähe zu ihnen aufbauen. Kommt es euphorisch nach Hause und beschreibt ihnen ein Ereignis oder eine Begebenheit in »seiner« Jugendsprache, möchte es sie an seinen Emotionen teilhaben lassen bzw. zeigt es ihnen, dass sie zusammen gehören.
Schön und gut, aber was ist mit dem Verfall der Sprache?
Trotz aller „das hat es schon immer gegeben“–Argumente steht natürlich auch das durchaus kritische „Sprachverfall“-Argument im Raum. Dieses lässt sich letztlich auf zwei Ängste herunterbrechen:
1. »Jugendliche können nicht mehr richtig sprechen und schreiben.«
Doch, können sie. Die allermeisten Jugendlichen lernen in der Schule und auch in außerschulischen Situationen, wann welches sprachliche Verhalten angemessen ist. Wenn sie sich selbst beobachten, werden sie bemerken, dass jede und jeder von uns verschiedene Sprachstile benutzt. Sie reden mit ihrem Arzt anders als mit ihrer Mutter und sie schreiben die Chat-Nachricht an ihre beste Freundin sicher auch anders als ein E-Mail an ihren Chef. In der Sprachwissenschaft nennt man dieses Verhalten »kommunikative Muster«.
Derartige Muster entwickelt jede Sprachgemeinschaft, um unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Wenn sie zum Beispiel jemanden zum Essen einladen möchten, werden von ihnen bestimmte Formulierungen erwartet. Das klingt deshalb so banal und einfach, weil wir das alles unbewusst machen. Erst wenn jemand von unserer „Norm“ abweicht, fallen die Muster auf.
2. »Was tun Jugendliche unserer schönen Sprache an?«
Im Gegensatz zur Jugendsprache verändert sich die „Standardsprache“ nur langsam. Aber sie verändert sich – und zwar seit es Sprache gibt. Die meisten jugendsprachlichen Ausdrücke verschwinden wieder, ohne die Standardsprache zu beeinflussen.
Einige [wenige] Wörter oder sogar grammatische Veränderungen werden in die Erwachsenensprache und damit in die – vorerst informelle – Alltagssprache weitergetragen. So sind Ausdrücke wie »cool« und »mega« längst in unserem Sprachgebrauch, ebenso Konstruktionen wie »Das war der Hammer«. Wörter wie »Info«, »Tschüss« oder »kiffen« waren übrigens auch einmal Jugendsprache und bei den damaligen Erwachsenen verhasst.
Alles schön und gut, aber der »Ghetto-Slang« muss nun wirklich nicht sein, oder?
Nun gibt es Erwachsene, die haben durchaus Verständnis für Jugendsprache mit neuen Wörtern, aber beim so genannten „Balkan-Deutsch“ oder „Getto-Slang“ ziehen sie eine Grenze. Sie finden, das sei ein schlimmes Sprachgemisch, fehlerhaftes Deutsch, eine Sprechweise, die auf einen niedrigen Wortschatz und wenig Grammatikkenntnisse hinweist. Schließlich lassen diese jugendlichen Präpositionen, Artikel und Pronomen aus [»Gemma Lugner?«, »Lass Bahnhof chillen«] oder sie nutzen Fremdwörter wie »Wallah« [arabisch: ‘bei Gott’ bzw. ‘ich schwör’] oder Brate [serbisch/ kroatisch: ‘Bruder’] aus Sprachen, die für viele mit Vorurteilen behaftet sind. Hinzu kommen eine bestimmte Aussprache und ein veränderter Sprechrhythmus – oft »Balkan-Akzent« genannt.
Sprachwissenschaftliche Studien geben aber Entwarnung: Ein »Balkan-Slang« hat keine [negativen] Auswirkungen auf die Qualität schulischer Texte oder die Größe des Wortschatzes. Die Abweichung zum herkömmlichen Standard oder Dialekt bietet für Jugendliche lediglich eine zusätzliche Möglichkeit der Abgrenzung zu Erwachsenen, zu Regeln und Normen und nicht zuletzt zum sogenannten „Otto Normalverbraucher“.
Miteinander statt ausgrenzen
Wir als Erwachsene sollten Jugendlichen ihre Identitätsfindung zugestehen, auch wenn dazu Kleidung, Musik oder eine Sprache gehören, die wir niemals selbst anziehen, hören oder sprechen würden. Statt zu schimpfen, könnten wir uns fragen, in welchen Situationen wir überhaupt mit Jugendsprache konfrontiert werden. Sind wir überhaupt angesprochen oder hören wir nur zufällig mit? Und nicht zuletzt sollten wir uns kritisch fragen, wieso wir als Gesellschaft englische Wörter wie »cool« oder »chillen« eher tolerieren als türkische, arabische oder serbokroatische.
„Wörterbuch“
„AF“ bedeutet „as fuck“ und wird zumeist zur besonderen Hervorhebung verwendet. Der zitierte Satz im ersten Absatz beschreibt also den Umstand, dass die angesprochene Person nicht nur anstrengend, sondern anstrengend »as fuck«, also total/ besonders/ richtig anstrengend ist.
Das Wort „sheesh“ kann nicht direkt übersetzt werden, da es in erster Linie ein Ausdruck des Erstaunens ist. Im Deutschen wird das Wort meist vor oder nach einem Satz verwendet, um diesen zu dramatisieren.
„Cringe“ reiht sich ein in die Begriffe, die vom [englischsprachigen] Internet beeinflusst werden. Übersetzt bedeutet es so viel wie „zusammenzucken“; „to cringe at something“ kann mit „etwas höchst peinlich finden“ übersetzt werden. Im jugendsprachlichen Sinn geht »cringe« in Richtung des Fremdschämens. Zahlreiche Videos, die im Internet kursieren, sind explizit auf diesen Fremdschäm-Faktor ausgelegt.
„lost“ – das Jugendwort des Jahres 2020 – kommt aus dem Englischen und heißt übersetzt „verloren“. Es beschreibt einen Menschen, der keinen Plan von irgendwas hat und nicht checkt, was gerade abgeht – um es mit Jugendworten zu formulieren.
In diesem Sinn: Alles klar, Bre? 😉
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