„Als ÖGB verurteilen wir jegliche Form von Gewalt, egal ob körperliche oder psychische Gewalt„, sagt die Bundesvorsitzende der ÖGB-Pensionist•innen, Monika Kemperle, und fordert mehr Schutz für Pensionist•innen. Gerade die häusliche Gewalt sowie Betrugsfälle unter anderem im Internet seien Themen, denen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. „Pensionistinnen und Pensionisten dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden“, so Kemperle.
Altersgerechte Formate zur Information über Rechte und Beschwerdemechanismen
Gemeinsam mit FERPA [Fédération Européenne des Retraités et Personnes Agées] ruft der ÖGB die Regierungen in Europa dazu auf, ein verbindliches internationales Menschenrechtsinstrument sowie nationale Gesetzgebungen und Maßnahmen zu verabschieden, um älteren Menschen den Zugang zur Justiz unter voller Wahrung ihrer Autonomie zu garantieren. „Dazu gehören die Bereitstellung von rechtlicher Unterstützung, spezialisierte Beratungs- und Unterstützungsdienste, vielfältige und altersgerechte Formate zur Information über Rechte und Beschwerdemechanismen sowie reduzierte oder erlassene Prozesskosten“, sagt Kemperle.
Darüber hinaus fordert der ÖGB die Anerkennung der wichtigen Rolle von Pensionistinnen und Pensionisten und älteren Menschen in der Gesellschaft, damit sie ihre Rechte wahrnehmen und aktiv an den sie betreffenden politischen Entscheidungen teilhaben können. „Alle FERPA-Organisationen, darunter auch der ÖGB, nutzen die Gelegenheit, um dafür zu mobilisieren und die Stimmen zu erheben, selbstverständlich auch die Stimmen älterer Menschen, die oft ungehört bleiben„.
Einschränkung von Grundbedürfnissen ist bereits Gewalt
„Gewalt gegen ältere Menschen kommt sowohl im öffentlichen Raum als auch in Institutionen und innerhalb der Familie vor. In der allgemeinen Vorstellung wird Gewalt mit körperlichen Attacken gleichgesetzt. Sie tritt jedoch auch in vielen anderen Formen auf und beginnt meist damit, dass Selbstbestimmung und Selbstwert leiden, wenn Hilfsbedürftigkeit dazu führt, dass plötzlich andere bestimmen, was gut für ältere Menschen ist. Ich möchte gerade auf diese Form der Gewalt hinweisen, die oft unbemerkt bleibt“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz.
„Wenn Grundbedürfnisse eines Menschen beeinträchtigt oder eingeschränkt werden, dann ist das bereits Gewalt. Wünsche bagatellisieren, die Verwendung infantiler Sprache, Kritik und Beschämung infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen, Kontakte zu anderen erzwingen bzw. verhindern oder die Androhung von Zwang sind Gewalthandlungen, egal ob sie absichtlich oder unabsichtlich erfolgen.“ Menschen mit Behinderungen, aber auch hochaltrige und pflegebedürftige Menschen sind besonders gefährdet, in ihren grundlegenden Menschenrechten verletzt zu werden.
Die Kommissionen der Volksanwaltschaft besuchen im Rahmen der Präventiven Menschenrechtskontrolle unter anderem Alters- und Pflegeheime, und die Kommissionsmitglieder stoßen in diesem Umfeld auf institutionelle Fremdbestimmtheit und systemische Gewalt. Sie reichen von Fällen fehlender Selbstbestimmung [festgelegte Essens- und Schlafzeiten, Duschtag, …] über Vernachlässigung [Bedürfnisse ignorieren, zu lange auf Hilfe warten lassen, unzureichend im Alltag helfen, …] und manchmal bishin zu körperlicher oder seelischer Misshandlung.
Personalmangel führt zu Freiheitsbeschränkungen
Achitz betont, dass nur in den allerseltensten Fällen böse Absicht zur Gewalt in den Pflegeheimen führt: „Die Beschäftigten in der Pflege tun ihr Bestes. Die Kontrollen unserer Kommissionen zeigen, dass Menschenrechtsverletzungen sehr oft eine Folge von Personalmangel sind.“ Die Personalknappheit führt zu weniger Aktivierung und Beschäftigung der Bewohner•innen. Nicht nur in Alten- und Pflegeeinrichtungen, sondern auch in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen spitzt sich die Personalsituation immer weiter zu, was nicht ohne Folgen bleibt.
Schon 2022 wurde ein Rekordwert an neu gemeldeten Freiheitsbeschränkungen verzeichnet. 2023 ist dieser Wert erneut angestiegen, eine überaus besorgniserregende Entwicklung. Die häufigste Beschränkungsart ist jene durch Medikamente, oft in Verbindung mit anderen – mechanischen oder elektronischen – Freiheitsbeschränkungen.
Lücken bei Schmerzbehandlung
Körperliche Misshandlung kann auch durch Unterlassung geschehen, etwa wenn älteren Menschen die Diagnose und Behandlung von Schmerzen vorenthalten wird. Darauf hat die Volksanwaltschaft bei ihrer bisher letzten Präsentation eines Prüfschwerpunkts hingewiesen. „Bei allen Bewohner•innen müssen Schmerzen systematisch und standardisiert erfasst werden“, fordert Achitz: „Vor allem bei der Betreuung von Menschen mit Demenz oder anderen kognitiven oder verbalen Einschränkungen ist ein standardisiertes Schmerzmanagement notwendig.“
In einem Viertel der im Rahmen der Schwerpunktprüfung von den Kommissionen der Volksanwaltschaft besuchten Alten- und Pflegeheimen gab es keinerlei systematisches, dokumentiertes Schmerzmanagement, bzw. es wurden keinerlei Maßnahmen zu Erkennung, Prävention und Behandlung von Schmerzen angewendet. In jeder fünften Einrichtung wurden keine Schmerzeinschätzungsinstrumente verwendet, weder für Demenzkranke noch für kognitiv leistungsfähige Bewohnerinnen und Bewohner.
Pflegedokumentation sichert Qualität und kann körperliche und/ oder psychische Gewalt verhindern
Neben Gewaltpräventionskonzepten, die in den Heimen auch tatsächlich gelebt werden, ist umfassende und lückenlose Pflegedokumentation wesentlich. „Die Pflicht zur Dokumentation ist keine bürokratische Schikane, sondern ein Instrument der Qualitätssicherung. Sie ist, vor allem bei nonverbalen älteren Menschen, bei Bewohner•innen mit Behinderungen oder Demenz oft die einzige Möglichkeit, später zu prüfen, ob Fehler in der Pflege passiert sind“, sagt Volksanwalt Achitz: „Pflegedokumentation dient auch der Prävention von Gewalt.“ Wenn Träger von Alten- und Pflegeheimen ihren Beschäftigten die Arbeit erleichtern wollen, beschaffen sie zeitsparende und nicht manipulierbare elektronische Dokumentationssysteme.“
Gewalt gegen Ältere ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das wir bekämpfen müssen!
Gewalt gegen ältere Menschen bleibt ein oft ignoriertes und tabuisiertes Thema in gesellschaftlichen Debatten. „Gewalt in jeder Form ist inakzeptabel, besonders tragisch ist sie jedoch, wenn sie ältere Menschen betrifft, die sich oft nicht zu helfen wissen“, betont Ingrid Korosec, Präsidentin des Seniorenbundes. Frauen leiden häufig besonders unter physischer und psychischer Gewalt sowie sozialer Isolation, nicht selten durch ihre eigenen Lebenspartner. „Die Scham und das Fehlen von Anlaufstellen hindern Betroffene daran, sich Hilfe zu suchen. Diesen Teufelskreis können wir nur durch gezielte Sensibilisierung und Aufklärung durchbrechen“, erklärt Korosec.
Zudem kann Gewalt gegen ältere Menschen, beispielsweise durch überlastete pflegende Angehörige, eine tragische Konsequenz sein. Daher setzt sich Korosec für zusätzliche Unterstützung im Rahmen der Pflegereform ein: „Wir brauchen dringend den weiteren Ausbau mobiler Dienste, Tageszentren und professioneller Pflegeangebote, die überall leistbar sind.“
Die Präsidentin fordert nicht nur eine Verbesserung des Gewaltschutzes und intensivere präventive Maßnahmen mit einem speziellen Fokus auf ältere Menschen, sondern auch mehr Anstrengungen zur gesamtgesellschaftlichen Sensibilisierung. „Ein gewaltfreies Leben ist ein Grundrecht – unabhängig vom Alter. Nur mit einer umfassenden Sensibilisierung können wir die Spirale der Gewalt durchbrechen. Wir müssen bedenken: Die Art, wie wir heute ältere Menschen behandeln, setzt den Standard für unsere eigene Zukunft“, so Korosec.
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