Seit 2015 fordert die Österreichische Plattform Patientensicherheit zusammen mit ihren Kooperationspartnern aus Deutschland und der Schweiz jährlich alle Akteure im Gesundheitswesen auf, mit Aktionen zur Patientensicherheit beizutragen. Das diesjährige Motto des 2. Internationalen Tages der Patientensicherheit ist der aktuellen Covid-19-Situation und den Lehren daraus gewidmet und lautet „Patientensicherheit und Covid-19. Mit Resilienz Krisen meistern.“
Gerade die Veränderungen und Umbrüche durch die aktuelle Covid-19-Situation zeigen, wie wichtig Patienten- und Mitarbeitersicherheit im Gesundheitswesen sind. „Die Österreichische Plattform Patientensicherheit unterstützt alle Maßnahmen, die die Sicherheit der Patientinnen und Patienten, aber auch aller im Gesundheitswesen Mitarbeitenden stärken. In Richtung Bevölkerung ist es uns ein Anliegen, die Gesundheitskompetenz zu stärken und zu informieren„, so Brigitte Ettl, Präsidentin der Österreichischen Plattform Patientensicherheit und Ärztliche Direktorin Klinik Hietzing.
Zwei Jahrzehnte im Zeichen der Patientensicherheit
Seit mittlerweile 20 Jahren steht Patientensicherheit im Fokus: Im Jahr 1999 hat die Veröffentlichung der Studie „to err is human“ des U.S Instituts für Medizin [IOM] wesentlich dazu beigetragen, dass Patientensicherheit mehr Beachtung im medizinischen Alltag gefunden hat. In diesem Report wurde erhoben, dass zwischen 44.000 und 98.000 Patientinnen und Patienten in US-Spitälern jedes Jahr an den Folgen vermeidbarer Fehler [adverse events] sterben. Diese Zahlen rechtfertigen jedenfalls ein konsequentes Vorgehen hinsichtlich der Verbesserung von Patientensicherheit.
Das aktuelle White Paper der Patient Safety Movement Foundation geht davon aus, dass die mit Covid-19 in Verbindung gebrachten Todesfälle in den USA bald 200.000 erreichen werden. Dies entspricht auch in etwa der Zahl der Todesfälle in den USA, die auf vermeidbare Fehler in Spitälern zurückzuführen sind.
Unbürokratische und schnelle Schutzausrüstung
In einer Pandemiesituation, wie jetzt durch Covid-19 verursacht, ist es für die Patienten- und Mitarbeitersicherheit essentiell, dass die handelnden Personen mit qualitativer und quantitativer Schutzausrüstung versorgt sind. Dies müsse unbürokratisch und schnell geschehen – und zwar in allen Settings, betont Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband [ÖGKV]: „Im Sinne der Patientensicherheit ist es wichtig, dass während einer Pandemie auch die Versorgung des gesamten Krankheitsspektrums sowie Präventionsmaßnahmen aufrecht erhalten bleiben. Grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass ausreichend professionell ausgebildetes Pflegepersonal zur Verfügung steht, das sowohl intra- als auch extramural seinen Versorgungsauftrag erfüllen kann. Die Rahmenbedingungen und Organisation dafür müssen von der Politik geschaffen werden. Ohne Mitarbeitersicherheit kann es keine Patientensicherheit geben.“
Aufstockung der Ausbildungsplätze im MTD-Bereich
Expertinnen und Experten betonen, dass die Weltbevölkerung lernen müsse, mit Covid-19 zu leben. Die Ausbreitung des Virus hat auf alle Bereiche unserer Gesellschaft massive Auswirkungen. Gabriele Jaksch, Präsidentin von MTD-Austria, dem Dachverband aller gehobenen medizinisch-technischen Berufe, betont: „Gerade Krisen zeigen auf, ob ein System Bestand hat. Die Covid-19-Pandemie weist darauf hin, dass das österreichische Gesundheitssystem einem Verbesserungsbedarf unterliegt. Derzeit gibt es eklatante Versorgungslücken im intra- und extramuralen Bereich bei den MTD-Berufen. Daher sind die Patientensicherheit und die Mitarbeitersicherheit in Gefahr. Durch die Aufstockung der Ausbildungsplätze an den Fachhochschulen muss dem Mangel entgegengewirkt werden.“
„Bereits im aktuellen Regierungsprogramm 2020 wurde ein bedarfsgerechter Ausbau des Fachhochschulsektors vor allem im Gesundheitsbereich aufgenommen, um den Standort Österreich nachhaltig zu sichern und auszubauen,“ so Jaksch, die 34.400 Berufsangehörige aus den Bereichen Biomedizinische Analytik, Diätologie, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Orthoptik, Radiologietechnologie vertritt.
Telefonische Krankschreibung und Medikamentenverordnung
Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, betont, dass Österreichs Ärztinnen und Ärzte seit Beginn der Pandemie und besonders während des Lockdowns Großartiges geleistet haben – auch besonders im Sinne der Patientensicherheit: „Maßnahmen wie die telefonische Krankschreibung und die telefonische Medikamentenverordnung – um nur zwei zu nennen – waren entscheidende Beiträge dafür, dass Ordinationen und Ambulanzen geschützt werden konnten und somit nicht zu Umschlagplätzen für das Virus geworden sind. Leider scheint dieser Fokus auf die Patientensicherheit außerhalb der Ärzteschaft wieder etwas in Vergessenheit zu geraten. Die telefonische Krankschreibung, die sich hervorragend bewährt hat, hätte aus unserer Sicht zumindest bis Jahresende verlängert werden müssen.“
Dass die Gesundheitskasse dieses Sicherheitsplus für die Patientinnen und Patienten ohne Not beschränkt habe, sei für die Ärztekammer nicht nachvollziehbar. Szekeres wünscht sich von der Kasse und von der Politik deutlich mehr Einsatz für die Sicherheit und die beste Versorgung für die Patientinnen.
Physische und psychische Gesundheit sowie rechtlich-ethische Aspekte
Neben den klassischen Themenfeldern wie Digitalisierung, Kommunikation, Medikationssicherheit, Hygiene und Patient Empowerment sind auch weitere Aspekte der Patientensicherheit durch die Pandemie besonders in den Vordergrund gerückt. Dazu Maria Kletecka-Pulker, Direktorin des LBI Digital Health and Patient Safety und Geschäftsführerin der Österreichischen Plattform Patientensicherheit: „Gerade in dieser besonderen Zeit zeigt sich, dass nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesundheit zu berücksichtigen ist, wenn wir von Patientensicherheit sprechen. Auch der Umgang mit rechtlichen und ethischen Aspekten der Patienten- und Mitarbeitersicherheit wirft aktuell viele Fragen auf.“
Lehren aus der Krise: Bewährtes fortsetzen bzw. bei Bedarf adaptieren
Die Corona-Pandemie zeigt, wie elastisch das österreichische Gesundheitssystem auf Herausforderungen reagieren kann und wie rasch Veränderungen von der Patientensteuerung bis zur Nutzung technischer Anwendungen möglich sind. Im Rahmen von vier hochkarätig besetzten Praevenire Gipfelgesprächen zur Erstellung eines Zusatzkapitels über das Thema Corona-Pandemie für das Weißbuch „Zukunft der Gesundheitsversorgung“ diskutierten Expertinnen und Experten, welche Maßnahmen sich in der Krise bewährt haben, fortgesetzt werden sollen und wo Adaptionsbedarf besteht.
Sensiblere Gesundheitskommunikation
Während der Corona-Krise waren insbesondere chronisch kranke Menschen sowie Risikogruppen verunsichert und hätten sich mehr Information gewünscht, was die Situation konkret für sie bedeutet. Einigkeit herrschte unter den Expertinnen und Experten, dass die Gesundheitsbranche dringend eine klar verständliche und präzise Kommunikation mit der Bevölkerung benötigt. Hier gilt es in Zukunft Informationen klar zu formulieren und Ängste zu nehmen. Zudem bedarf es auch einer engeren Abstimmung zwischen medizinischen Expertinnen und Experten und Politikerinnen und Politikern, damit „mit einer Stimme gesprochen wird“.
Digital Health Maßnahmen fortsetzen
Die Corona-Krise habe gezeigt, wie der verstärkte Einsatz von digitalen Hilfsmitteln, beispielsweise der Telemedizin, in Zukunft aussehen könnte. Die Nachfrage nach e-Medikation, telefonischer und virtueller Beratung sei groß und es gäbe den Bedarf, diese digitalen Dienste und Kommunikationskanäle nach der Krise aufrecht zu halten. Dafür müssen rasch rechtliche Lücken in einzelnen Gesundheitsberufsgesetzen geschlossen und die Honorierung für telemedizinische sowie teletherapeutische Behandlung angepasst werden.
Krisenpläne ausarbeiten und Abhängigkeiten reduzieren
Trägerorganisationen von Langzeitbetreuungseinrichtungen wie etwa Pflegeheime oder Behinderteneinrichtungen sahen sich in der Corona-Akutphase mit einer hohen Sorgfaltsverpflichtung gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Patientinnen und Patienten konfrontiert, die oftmals mit restriktiven Hausordnungen gelöst wurden. Auch für die breite Bevölkerung angeordneten Schutz- und Quarantänemaßnahmen gingen oftmals mit freiheitsbeschränkenden Bestimmungen einher, die Rechtslücken aufzeigten und Handlungsbedarf erforderten – insbesondere in der Präzisierung des Epidemiegesetzes.
Aus medizinischer und pharmazeutischer Perspektive wurden vor allem die Lieferengpässe bei Schutzausrüstungen einer strengen Analyse unterzogen. Hier gilt es zukünftig, die kritische Infrastruktur massiv zu stärken sowie ein derzeit noch fehlendes Horizon Screening samt lückenlosen Krisenplänen auf die Beine zu stellen. Laut den Expertinnen und Experten benötige es künftig einen ausgefeilten Katastrophenplan für Ernstfälle sowie eine Minimumvorratspflicht für Arzneimittel, insbesondere für Seltene Erkrankungen. Und eine schnell hochfahrbare Notfallproduktion zum Beispiel für Medizinprodukte wie Schutzausrüstung, um versorgungstechnisch gut gewappnet zu sein. Auch die Abhängigkeit von Staaten wie Indien und China bei der Wirkstoffproduktion wurden diskutiert, die durch Sicherung der Transportwege reduziert werden soll.
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