Nicht nur Medikamente helfen gegen Schmerzen, auch starke Muskeln sind ein wesentlicher Faktor für Prävention und Therapie. Training ist das beste „Medikament“ zur Muskelkräftigung. Auch die elektrische Stimulation der Muskeln mit speziellen Geräten wirkt stärkend – und kann sogar einfach zu Hause durchgeführt werden.
Schwinden die Muskeln, kommen die Schmerzen
„Mit kräftigen Muskeln lassen sich viele Beschwerden vermeiden oder lindern. Es ist in jedem Alter lohnend, die Muskeln zu stärken oder deren altersbedingten Abbau zu verhindern„, sagt Prim. Dr.in Daniela Gattringer, Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft [ÖSG] und Vorstand des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern.
„Gerade bei Menschen fortgeschrittenen Alters führt die schwindende Muskelmasse und der damit einhergehende Verlust an Muskelkraft und Muskelfunktion oft zu gravierenden Einschnitten in die Lebensqualität. Individuell angepasstes Training und ärztlich verordnete Elektrotherapien können hier sehr viel bewirken„, ist die Expertin für Physikalische Medizin und Rehabilitation überzeugt.
Kniearthrose: Starke Streckmuskulatur verbessert Funktionalität
Warum ein Krafttraining der Kniegelenksmuskulatur gegen die Beschwerden von Arthrose-Patienten hilft, konnte erst vor kurzem eine Studie klären: Die positiven Effekte werden im Wesentlichen durch den Kraftzuwachs der Streckmuskulatur erreicht. Für die Studie wurden Daten von 97 Patient*innen analysiert, die an Schmerzen und Einschränkungen infolge einer Gonarthrose litten – einer langsam voranschreitenden, nicht-entzündlichen Abnützung des Kniegelenks, die allmählich zu einer Zerstörung des Gelenkknorpels und anderer Gelenkstrukturen führt.
Ein Teil der Patient*innen machte zwölf Wochen lang physiotherapeutisch betreutes Krafttraining, um die Knieextensoren zu stärken. Die Patienten gewannen in dieser Zeit an Kraft und Lebensqualität dazu: Die Kraftzunahme der Kniestrecker war für 38 Prozent der Schmerzlinderungen und für 60 Prozent der funktionellen Verbesserungen ursächlich.
Elektrotherapie kräftigt Muskeln – auch im Wohnzimmer
Eine wichtige Möglichkeit zur Muskelstärkung stellt die Elektrotherapie dar. Dabei wird der Muskel durch Stromimpulse dazu gebracht, sich anzuspannen. Das führt zu kräftigenden Reizen im Muskelgewebe. Die Stimulation wirkt jedoch auch über einen anderen Weg: Sie aktiviert zusätzlich die für Bewegung zuständigen Areale im Gehirn.
„Ein Vorteil der Elektrostimulation ist, dass auch Patienten davon profitieren können, die vorübergehend oder längere Zeit nicht mobil sind – zum Beispiel nach einer Operation oder wegen schwerer Krankheit“, so Prim. Gattringer.
Genauso wie ein aktives Training muss auch die Elektrotherapie auf die individuellen Bedürfnisse eingestellt und regelmäßig an die Fortschritte bei der Muskelentwicklung angepasst werden. Damit sie Wirkung zeigt, sollte die Stromtherapie drei- bis fünfmal wöchentlich angewendet werden. Wichtig ist zum Start eine Abklärung und Therapieplanung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Physikalische Medizin.
„Besonderen Charme hat, dass man die Elektrotherapie auch im eigenen Wohnzimmer fortsetzen kann, nachdem eine Ärztin oder ein Arzt die Therapie definiert und die Patienten entsprechend geschult hat. Die Geräte sind sehr einfach zu bedienen„, erklärt Dr. Gattringer.
Muskeln gegen Stürze oder Wundliegen
Für ältere Patientinnen und Patienten ist Elektrotherapie besonders hilfreich. Ihre Muskulatur unterliegt einem altersbedingten Abbau, bei dem Muskelmasse zunehmend durch Fett- und Bindegewebe ersetzt wird. „Mit der funktionellen Elektrostimulation lässt sich dieser Alterungsprozess hinauszögern„, so Dr. Gattringer.
Die Stimulation bringt älteren Patienten eine bessere Durchblutung und mehr Muskelmasse. Das vermindert das Risiko für Schmerzen und Stürze und verbessert den Zustand der Betroffenen insgesamt. Für Menschen, die kaum mehr mobil sind, bedeutet mehr Muskelmasse eine Erleichterung beim Sitzen und einen Schutz gegen Druckstellen durch Wundliegen.
Rückenschmerzen: Multimodales Training bringt Kraftzuwachs und Schmerzlinderung
Das beste „Medikament“ zur Muskelstärkung ist Muskeltraining. Das muss aber nicht nur aus reinem Krafttraining bestehen, wie eine aktuelle deutsche Studie über 106 Patient*innen mit Rückenbeschwerden zeigt. Die Teilnehmer*innen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren absolvierten ein dreiwöchiges stationäres multimodales Trainingsprogramm. Patienten beider Geschlechter konnten eine deutliche Verbesserung der Kraft in allen Bewegungsrichtungen erreichen: Rumpfbeugung und Streckung sowie Seitneigung und Rotation.
„Das ist sehr erfreulich, denn Krafttraining, das ausschließlich auf Muskelwachstum zielt, ist für ältere Menschen oft eine zu große Herausforderung. Das untersuchte multimodale Therapiekonzept ist ein erfolgversprechender Ansatz, um älteren Menschen den oft schwierigen Einstieg in das Krafttraining zu erleichtern„, fasst Prim. Gattringer zusammen.
Quellen
Hall M. et al. Osteoarthritis Cartilage 2018; 26: 495 -500
A. Pietsch, E. Hartinger, F. Schombach und H. Riepenhof. Kraftzuwachs durch Effekte eines multimodalen Therapieprogramms bei Patienten mit Rückenbeschwerden zur Prävention des Muskelverlustes im Alter. 2019; 31: 46-54. doi: 10.5414/PRX0540.
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