Die Depression entwickelt sich zunehmend hin in Richtung Volkskrankheit No. 1. Trotzdem wurden die neuesten Antidepressiva in Österreich nicht in den Erstattungskodex (EKO) aufgenommen, sprich sie werden also im Regelfall nicht von der Sozialversicherung bezahlt. Anlässlich einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) diskutierten namhafte Experten über die Konsequenzen der Nicht-Erstattbarkeit dieser modernen Antidepressiva.
Neue Antidepressiva viel besser als „alte“
Seit 2009 bzw. 2014 stehen in Österreich zwei neuere Antidepressiva mit innovativem Rezeptorprofil zur Verfügung. Dies bedeutet, dass sich diese Substanzen im Vergleich zu herkömmlichen „alten“ Antidepressiva durch eine verbesserte Verträglichkeit auszeichnen. Nebenwirkungen wie starkes Schwitzen, Libidoverlust (sexuelle Lustlosigkeit) und sexuelle Funktionsstörungen, Gewichtszunahme und insbesondere bestimmte Veränderungen im EKG (Verlängerung der QTc-Zeit) treten bei diesen neuen Präparaten weitaus seltener auf als bei herkömmlichen Antidepressiva.
Während in anderen europäischen Ländern die Kosten für diese innovativen Medikamente von den Krankenkassen übernommen werden, heißt es für Österreichs Depressions-Patienten*: Nur wer selbst für die Kosten aufkommt oder eine chefärztliche Bewilligung bekommt, erhält diese modernen Therapeutika.
Depression – ein volksgesundheitliches Problem
„Wir wissen, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil an Patienten mit Depressionen auch auf mehrere Behandlungsversuche mit erstattungsfähigen Antidepressiva nicht oder nur unzureichend anspricht. Ein Teil dieser Patienten könnte mit den neuen Substanzen erfolgreich behandelt werden. Werden diese Medikamente den Patienten vorenthalten, haben wir – in Anbetracht der großen Anzahl von depressiven Erkrankungen – ein volksgesundheitliches Problem von großer Tragweite“,warnte Dr.in Christa Rados, Primaria der Abteilung für Psychiatrie und psychosomatische Medizin am LKH Villach und Präsidentin der ÖGPP.
Denn eine chefärztliche Bewilligung wird nur in seltenen Fällen erteilt und bedeutet für Arzt und Patient ein aufwändiges Prozedere: Es muss ein Ansuchen an die Krankenkasse gestellt werden, in dem der behandelnde Arzt eine individuelle, plausible Begründung abgibt, warum das „No-Box“-Medikament anstelle eines Präparats aus dem EKO benötigt wird. Nur wenn der Chefarzt der Sozialversicherung dieses Ansuchen genehmigt, werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen.
Koppelt sich Österreich von der internationalen Entwicklung ab?
Die Nicht-Erstattung dieser innovativen Antidepressiva hat weitreichende Auswirkungen. Denn bei neuen Medikamenten werden deren Wertigkeit und Stellenwert häufig erst im klinischen Gebrauch klar. Wird eine Substanz nun nicht standardmäßig von den Krankenkassen erstattet, wird sie naturgemäß seltener eingesetzt. Dies wiederum limitiert die Chancen, Erfahrungen mit dieser Substanz zu sammeln. Es besteht die Gefahr, dass österreichische Patienten im Bereich der Behandlung der Depression im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ins Hintertreffen geraten.
Dr. Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien, betonte: „Es ist das Recht des Patienten, über Medikamente, die ihn aus einer prekären gesundheitlichen Situation herausführen können, zumindest informiert zu werden. Er kann dann selbst entscheiden, ob es ihm möglich und wert ist, die Kosten dafür selbst zu tragen.“
Für Selbstzahler betragen die Behandlungskosten mit diesen innovativen Antidepressiva monatlich zwischen 72 und 80 Euro.
„Auch wenn es Patientinnen und Patienten gibt, die in der Lage sind, die genannten Behandlungskosten selbst zu übernehmen, weiß ich, dass es etliche Erkrankte gibt, die diese Summe nicht aufbringen können. Ich finde es bedauernswert, über Behandlungskosten wie diese eine derartige Diskussion mit den Sozialversicherungsträgern führen zu müssen. Bedenkt man die Kosten, die entstehen, wenn Menschen aus dem Arbeitsleben oder dem Studium herausfallen, ist diese Summe kaum der Rede wert“, ist Dr. Lukas Hitsch, niedergelassener Psychiater in einer Wahlarztpraxis in Wien, überzeugt.
Und Dr. Psota ergänzte: „Eine wirklich bedauerliche Situation. Als neue Betablocker mit günstigerem Nebenwirkungsprofil auf den Markt kamen, hat niemand nach den Kosten gefragt und sie wurden erstattet. Das wünsche ich mir auch für die Psychiatrie!“
Service & Information
Oft hilft es, mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen zu reden. Diverse Selbsthilfegruppen zum Thema Depression finden sie HIER.
Angehörige psychisch Erkrankter finden HIER weitere Informationen.
Weitere Anlaufstellen und Hilfe bei einer Depression finden sie HIER.
Quelle: Out of the green box – moderne Antidepressiva nur für Selbstzahler? Symposium im Rahmen der 19. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP), 25.4. 2019, Gmunden
* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im Text auf eine gendergerechte Schreibweise verzichtet. Alle Bezeichnungen gelten sowohl für Frauen als auch für Männer.
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