Und täglich grüßt das Murmeltier – „Nächstes Jahr stehen Nationalratswahlen an. Was heuer nicht in Angriff genommen wird, bleibt sehr lange unerledigt. Und das können wir uns im Bereich der Pflege und Betreuung nicht leisten. Dafür sind die Herausforderungen einfach zu groß“, mit diesen klaren Worten richtet sich der Präsident der Volkshilfe Österreich, Ewald Sacher, an die politischen Verantwortungsträgerinnen und -träger. Und er verweist auch auf die beginnenden Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die für den Pflegebereich besondere Bedeutung haben.
Großer Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Laut der Gesundheit Österreich GmbH Studie [2019] beträgt der Personalbedarf in der Pflege bis 2030 rund 90.900 Personen über alle Berufsgruppen hinweg. Eine enorme Zahl an Menschen, die man für die erfüllenden Berufe im Pflege- und Betreuungsbereich begeistern muss. Der Direktor der Volkshilfe Österreich, Erich Fenninger, hält fest, dass „bei der Volkshilfe in Österreich rund 5.500 Menschen im Bereich der Pflege und Betreuung arbeiten, vorrangig im mobilen Bereich. Bei der Volkshilfe fehlen über alle Berufsgruppen hinweg rund 370 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Tendenz steigend. Und das nur bei der Volkshilfe. Daran kann man ermessen, wie viele Menschen schon heute fehlen“.
Aufholbedarf im Pflegesektor – Österreichs Pflegesektor deutlich kleiner
Österreich hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen deutlichen Aufholbedarf im Pflegesektor. Während in Österreich durchschnittlich 16 Pflegekräfte auf 1.000 Einwohner•innen kommen, sind es beim Spitzenreiter Norwegen 36 Pflegekräfte. [Quelle: Eurostat 2019, Momentum Institut]. Das führt auch zu den Überlastungen.
Was muss heuer passieren?
Dauerhafte Entgelterhöhung
„Ich habe mich lange dafür eingesetzt, im Jahr 2022 ist die lang geforderte Gehaltserhöhung für Pflege- und Betreuungsberufe gekommen. Das war definitiv ein Erfolg, wenn auch die Umsetzung oft schwierig war,“ so Fenninger. Für das Jahr 2023 soll eine monatliche Auszahlung erfolgen. Ziel ist es, dass österreichweit alle von der gesetzlichen Zielgruppendefinition umfassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den gleichen Betrag nach einheitlichen Spielregeln als Bonus ausbezahlt bekommen. Dieser Gehaltsbonus muss sich auch im Kollektivvertrag abbilden, dafür müssen die Bundesländer als Fördergeber Sorge tragen. Daher ist der Finanzausgleich so wichtig.
Finanzierung der Ausbildung
Der Zuschuss zur Ausbildung in Pflege- und Betreuungsberufen in Höhe von 600 Euro pro Monat für die gesamte Ausbildungsdauer ist ebenfalls positiv. Die Mittel müssen aber auch über 2025 hinaus bereitgestellt werden. „Aber wenn wir Umsteigerinnen und Umsteiger gewinnen wollen, dann wird das nicht reichen. Hier wäre eine Bezahlung für die Ausbildung, ähnlich wie bei der Polizei [rund 1.800 Euro brutto], sicher der beste Weg.
Offensive für den Ausbau der Ausbildungsplätze in den Bundesländern
Hier nimmt Wien sicher eine positive Vorreiterrolle ein. Die Plätze müssen aber auch angenommen werden, daher sind die weiteren Schritte der Pflegereform so wichtig, um jungen Menschen zu signalisieren – du hast eine gute Entscheidung für deine Zukunft getroffen, wenn du eine Pflegeausbildung beginnst.
Schulversuche der berufsbildende höhere Schulen für Pflege und Sozialbetreuung
Diese sollen in das Regelschulwesen übernommen werden. Wichtig dabei ist ein Ausbau dieser Schulform an attraktiven und gut erreichbaren Standorten.
Zugang zur Schwerarbeitspension und Anerkennung der Ausbildungszeiten zu Pflege- und Betreuungsberufen als Versicherungszeiten
Die Erfahrung zeigt, dass es viele aufgrund der hohen physischen und psychischen Belastungen im Gesundheits- und Pflegewesen gar nicht schaffen, ihren Beruf bis zum regulären Pensionsalter auszuüben und eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension in Anspruch nehmen müssen. In diesem Fall werden sie dann nach einem anstrengenden Arbeitsleben in einem Schwer[st]arbeitsberuf noch mit hohen Abschlägen bestraft. Daher sollen zusätzlich Zeiten der Ausübung von Pflege- und Betreuungsberufen abschlagsmildernd bei Invaliditäts- und Berufskrankheitspensionen angerechnet werden.
„Aber auch mit all diesen Maßnahmen werden wir die nötige Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Österreich nicht finden. Daher brauchen wir qualifizierte Zuwanderung,“ so die beiden Vertreter der Volkshilfe unisono:
Rot-Weiß-Rot-Karte einfacher machen
Mit dem Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ wurde ein System qualifizierter Zuwanderung für Drittstaatsangehörige geschaffen. Aber die Informationen sind für viele nicht gut zugänglich, und es bestehen bürokratische Hürden verbunden mit hohen Kosten. Wir brauchen eine Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren zur Berufsanerkennung für Interessierte aus Drittstaaten. Auch eine Verlängerung der Rot-Weiß-Rot-Karte plus auf in Summe vier Jahre wäre sinnvoll.
Chancen für Migrant•innen
Der Pflege- und Betreuungsberuf bietet große Chancen für Migrantinnen und Migranten. Eine Lebensperspektive zu haben und Wertschätzung zu erfahren, beides wird geboten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt [BAG] weist mit ihrem Projekt „migrants care“ seit mehr als zehn Jahren einen sehr erfolgreichen Weg in die Pflege. Ein weniger auf Abwehr bedachtes, enorm restriktives Staatsbürgerschaftsrecht könnte die Integration vertiefen.
Zugang zu Ausbildungen für Asylwerber•innen
Neben Schutzberechtigten sollten auch Asylwerberinnen und Asylwerber die Zeit für Ausbildungen für Pflege- und Betreuungsberufen nutzen können. Zum Zweck des Abschlusses der Ausbildung und Arbeitsaufnahme in diesen Mängelberufen sollten befristete Aufenthaltstitel geschaffen werden, die es ihnen ermöglichen, ihre in Österreich erworbene Ausbildung auch hier anzuwenden.
Was fehlt für ein Pflegesystem der Zukunft?
Laut dem Task Force Pflegebericht sollen Bund, Länder und Gemeinden auf Basis koordinierter Bedarfs‐ und Entwicklungspläne eine österreichweit abgestimmte Bedarfsprognose für Pflegedienstleistungen erstellen und darauf aufbauend eine Gesamtstrategie zur Weiterentwicklung erarbeiten. Dieses System, das von den Bedürfnissen der Menschen weg entwickelt wird und darauf aufbauend die dafür nötigen Ressourcen und Finanzströme regelt, das fehlt in Österreich immer noch.
Pflegenotstand langfristig lösen: Mehr Steuergeld in Pflege investieren
Schon 2021 waren 85 Prozent der Befragten im Volkshilfe Sozialbarometer dafür, dass in Zukunft deutlich mehr Steuergeld zur Finanzierung der Pflege verwendet werden soll. Damit hat die Politik jede Menge Verständnis in der Bevölkerung, um die enorme Herausforderung im Zuge der anstehenden Pflegereform zu lösen. Mehr Geld bedeutet vor allem, die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbessern zu können und mehr Zeit für Patientinnen und Patienten zu haben. Im internationalen Vergleich gibt Österreich nur 1,9 Prozent des BIP für Pflege aus, vergleichbare Länder wie Dänemark 2,5 Prozent und die Niederlande sogar 3,5 Prozent. [Quelle: BMASGK 2019 „Zukünftige Finanzierung der Langzeitpflege“]
Finanzausgleichsverhandlungen als Hebel
Wie schon von Sozialminister Rauch angekündigt, sind die jetzt startenden Verhandlungen zum Finanzausgleich ein guter Hebel, um Elemente der Zielsteuerung für den Pflegebereich einzubauen. Ziele für den Ausbau von teilstationären Einrichtungen, eine Mindestquote an geförderten Stunden für die mobile Betreuung und Qualitätskriterien sind Maßnahmen, die der Bund mit den Ländern vereinbaren könnte.
„Aus Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und allen Menschen im Pflegesektor werden wir als Volkshilfe keine Ruhe geben und die Reformbemühungen im Jahr 2023 sehr genau beobachten. Gehen die Reformen rasch genug, oder grüßt weiter täglich das Murmeltier?, so Fenninger und Sacher.
(Bilder: Volkshilfe Österreich/ Romana Bartl, AdobeStock (2x))