Über Generationen hinweg gibt es eine Tendenz, Beziehungsmuster, Erlebens- und Verhaltensweisen zu wiederholen. Schweren seelischen Störungen scheinen oft Traumatisierungen oder psychischen Erkrankungen im Familiensystem vorauszugehen.
Um sich dem Thema psychische Erkrankungen aus verschiedenen Perspektiven zu nähern, lud das Bündnis gegen Depression [Psychosoziale Zentren gGmbH] in Kooperation mit der HPE [Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter] und HSSG [Hilfe zur Selbsthilfe für seelische Gesundheit] zu der Fachtagung: „Zur Wirkung von transgenerational vermittelten Bildern – Überlegungen zur Weitergabe von psychischen Erkrankungen über Generationen„. Im Rahmen dieser Fachtagung beleuchten Vorträge, Diskussionsforen und ein Kinofilm mit Publikumsgespräch Wirkmechanismen sowie Bearbeitungsmöglichkeiten dieser transgenerationalen Weitergabe.
Die Rolle von Genetik und Umwelteinflüssen
Bereits vor einigen Jahren wurden intensive Diskussionen rund um die Frage geführt, ob unsere Gene und/ oder diverse Umwelteinflüsse die Ursache für psychische Störungen sind. Mittlerweile ist geklärt, dass sowohl die auf der einen Seite Erbanlagen als auch Umweltbedingungen auf der anderen an der Entstehung psychischer Störungen beteiligt sind.
Mit Hilfe von Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien sowie molekularbiologischen Laborverfahren versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund um die Globus, die Gene für psychische Störungen wie Schizophrenie, bipolare Störungen, Depression, Demenz, Angsterkrankungen oder Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung [ADHS] zu identifizieren. Dabei hat sich gezeigt, dass es nicht nur jeweils ein Gen gibt, sondern viele Gene, die zur Krankheitsentstehung beitragen. So wurden zum Beispiel schon über einhundert Genorte identifiziert, die mit der Entstehung von Schizophrenie in Zusammenhang stehen.
Psychische Erkrankungen sind weit verbreitet
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass Schizophrenie, Traumata oder Depressionen längst als Volkskrankheiten gelten. In Deutschland beispielsweise durchlebt mehr als jede•r vierte Erwachsene innerhalb eines Jahres eine psychische Störung. Mittlerweile sind sie der dritthäufigste Grund für eine Arbeitsunfähigkeit. Und die Zahlen für Österreich stehen diesen aus unserem Nachbarland um nichts nach.
Auf der Suche nach Behandlungsmethoden rückt unter anderem auch verstärkt die Genetik in den Fokus der internationalen Forschung. Welche Krankheiten werden überhaupt vererbt? Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, eine Depression oder ein psychisches Trauma an seine Kinder weiterzugeben? Denn dass körperliche Merkmale wie dunkle Haare oder grüne Augen über Generationen vererbt werden, ist längst bewiesen. Warum dann nicht auch Eigenschaften die Psyche betreffend? Oder anders formuliert: Gibt es ein Gen für Schizophrenie, Depression oder Zwangsstörungen?
Genetische Faktoren spielen eine Rolle
In diesem Sinn widmete sich im Rahmen der Fachtagung der erste Hauptvortrag von Dr. Vincent Millischer, PhD [medUni Wien] den genetischen Mechanismen, die eine erheblichen Einfluss auf transgenerationales Geschehen ausüben. Bei Schizophrenie ist Heritabilität, also die Vererbbarkeit dieser psychischen Erkrankung, beispielsweise besonders groß, bei Depression immerhin mittelgroß.
Aber auch bei Störungen wie Alkoholabhängigkeit oder Traumata spielen genetische Faktoren eine nicht unbedeutende Rolle. Die Forschung zielt auf eine bessere Behandlung psychischer Erkrankungen ab. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Datler [Uni Wien] ergänzt in seinem Vortrag der Diskussion „Umwelt oder Genetik“ den Baustein dazwischen – die Beziehungsgestaltung durch enge Bezugspersonen und deren Bedeutung für die bewusste und unbewusste Weitergabe von Beziehungsmustern.
Abgerundet wurden diese Vorträge durch ein Gespräch über Bilder und Botschaften von Prof.in Dr.in Michaela Amering [medUni Wien] mit der Künstlerin und Expertin aus Erfahrung Lisa Kainzbauer. Ihr Buch „Verrückte Welt – Wie sich Schizophrenie anfühlt“ zeigt die künstlerische Aufarbeitung eines Lebens mit einer schizophrenen Mutter und plädiert dafür, „die eigenen Handlungsmotive zu reflektieren und Perspektiven anderer zu respektieren, auch wenn wir sie vielleicht nicht immer verstehen können.“
„Unbewusster Packt des Schweigens“ zwischen Generationen
Im weiteren Verlauf der Tagung wurden in Form von Foren die Themen in kleineren Gruppen vertieft und um die Themen Vererbung von Armut, bearbeitet von FH-Prof.in Mag.a Dr.in Michaela Moser [FH St. Pölten], und die Bedeutung von latent transgenerational vermittelter Inhalte im Kontext Schule mit der Psychotherapeutin Mag.a Christa Paulinz ergänzt. Fokus auf Handlungsmöglichkeiten legen die Foren „Resilienz – vom Diktat zum Dialog“ mit dem transgenerationalen Erbe von Sylwia Rotter [reset-team] und das Thema: „Wie schützen wir unsere Kinder?“ von Mag.a Sandra Anders und Dr.in Sabine Röckel [PSZ gGmbH].
Ein Highlight war die Präsentation des Kinofilms „Kinder unter Deck“ unter Anwesenheit der Protagonistin und Regisseurin Bettina Henkel. Dieser Film zeigt eindrücklich in Bildern und Dialogen, wie dieser „unbewusste Pakt des Schweigens“ zwischen Generationen in einem langen Prozess der mitunter schwervollen Auseinandersetzung aufgebrochen werden kann, denn „die Zeit allein heilt nicht alle Wunden,“ so die Regisseurin.
So früh wie möglich bei psychischen Problemen helfen
Zum Abschluss der Tagung leitete die Geschäftsführerin der PSZ gGmbH DSAin Mag.a Marlene Mayrhofer, MBA Erkenntnisse für die Praxis ab. „Durch die Erkenntnisse wird zum einen die Arbeit der PSZ bestätigt, in welchen die Kooperation mit und Unterstützung von Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen schon immer einen hohen Stellenwert hat. Ebenso zeigt sich aber auch hier die Notwendigkeit mit Interventionen möglichst früh anzusetzen und in diesem Sinne, die Begleitung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen auszubauen,“ so Mayerhofer.
Mittlerweile ist von vielen Krankheiten bekannt, dass ihre Ursache [auch] im Erbgut liegt. Die Wissenschaft hofft, alsbald auch gegen psychische Leiden passende Gentherapien zu entwickeln. Allerdings sind Ansätze die Erbfaktoren betreffend in ihrer Komplexität noch nicht vollständig verstanden und Gentherapien daher auch noch nicht denkbar – mit der Betonung auf »noch«.
(Bilder: AdobeStock (2x), ERFINDERISCH])