Rund 2,5 Mio. Menschen sind hierzulande von einer rheumatischen Krankheit betroffen: Beschwerden zeigen sich häufig an Gelenken, Sehnen, Knochen und Muskeln. Immer noch ist zu wenig über die 400 unterschiedlichen Erscheinungsformen von Rheuma bekannt. Diese können in jeder Altersgruppe auftreten – vom Säugling über Kleinkinder, Jugendliche, jungen Erwachsenen bis hin zu Senior•innen, wobei tendenziell mehr Frauen als Männer betroffen sind. Rheumatische Erkrankungen sind chronisch und nicht heilbar, ihre Symptome sind jedoch gut behandelbar, wodurch sich das Fortschreiten verlangsamt.
Je jünger die Patient•innen sind, desto länger dauert zumeist die Diagnose. Oft werden die Schmerzen – und das gilt für alle Betroffenen – nicht gleich ernst und die Zusammenhänge der Symptome nicht wahrgenommen oder nicht mit einer rheumatischen Erkrankung in Verbindung gebracht. Je früher jedoch die jeweilige Erkrankung erkannt und therapiert wird, desto besser ist die Prognose und desto geringer mögliche Folgeschäden.
Daher ist die Aufklärung über Symptome, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten sowie Therapietreue in allen Altersgruppen wesentlich. Das gilt gleichermaßen für potenziell Betroffene und ihr Umfeld als auch den fachfremden medizinischen Bereich.
Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft
Eine jüngst von der Österreichischen Rheumaliga [ÖRL] durchgeführte Umfrage zur Rheuma-Kompetenz in Österreich, deren Ergebnisse die Meinung von mehr als 160 von einer rheumatischen Erkrankung Betroffenen repräsentieren, bestätigt im Wesentlichen vier aktuelle Herausforderungen, an deren Lösungen die ÖRL gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation [ÖGR] noch intensiver arbeiten will:
- Das Wissen disziplinfremder Ärzt•innen aber auch anderer medizinischer Gesundheitsberufe wie zum Beispiel Physiotherapeut•innen um Rheuma und seine zahlreichen Erscheinungsformen sowie hinsichtlich einer ganzheitlichen Betrachtung der auftretenden Symptome muss im Sinne einer möglichst raschen Diagnose und dadurch zeitnahen Therapie deutlich erhöht werden.
- Eine flächendeckende, österreichweite Versorgung durch Kassen- und generell Fachärzt•innen und Rheumatolog•innen sowie durch Rheuma- und Spezialambulanzen muss gewährleistet werden, um allen Patient•innen einen einfachen und direkten Zugang zu Diagnose und Therapien zu ermöglichen.
- Arbeitgeber sollen noch besser über die Erkrankungen und die Bedürfnisse der Betroffenen im Berufsleben informiert werden, um letzteren einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und angepasste Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.
- Letztendlich gilt es, die ÖRL die während der Corona-Pandemie als Ansprechstelle zunehmend gefordert war, im Sinne einer modernen Patient•innenvertretung zukunftsfit aufzustellen.
Sinnvoll und notwendig: innovative, zielgerichtete und individuelle Therapien
Naturgemäß ist der wesentlichste Wunsch aller Betroffenen neben einer Heilung jener nach innovativen Therapien ohne Nebenwirkungen. Waren die letzten zwei Jahrzehnte geprägt von neuen Arzneimitteln vor allem zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis, lässt derzeit eine Studie unter österreichischer Federführung aufhorchen, die soeben im New England Journal of Medicine publiziert wurde: „Dieser neue Therapieansatz, der einen Schlüsselbotenstoff für Entzündungen hemmt, zeigt beeindruckende Erfolge bei Patient•innen, bei denen die Standardtherapie keinen ausreichenden Erfolg brachte“, bestätigt Univ.-Prof. Dr. Daniel Aletaha, Leiter Klinische Abteilung für Rheumatologie, Universitätsklinik für Innere Medizin III, MedUni Wien/ AKH Wien.
Für lebensbedrohliche Erkrankungen wie SLE [systemischer Lupus erythematodes] oder Sklerodermie gab es zudem in den vergangenen Jahren, zuletzt im laufenden, neue Zulassungen hinsichtlich zielgerichteter Therapien, deren großer Vorteil es ist, dass sie keine klassischen Immunsuppressiva sind, sondern einen sehr feinen guten Wirkansatz haben, der mit geringen Nebenwirkungen einher geht.
Bestmögliche individuelle Therapie für Patient•innen
„Ein weiteres europäisches Großprojekt, das von unserer Abteilung für Rheumatologie der MedUni Wien in Kürze koordiniert werden wird, beschäftigt sich damit, aus dem Pool der bestehenden, bereits zugelassenen Arzneimittel die bestmögliche individuelle Therapie für Patient•innen heraus zu filtern“, Aletaha weiter. Das könne mittels Biomarker erfolgen, die die richtige Wahl des Medikaments erlauben, sowie durch ein verbessertes Dosierungsschema und eine engmaschige Kontrolle während ihrer laufenden Therapie. „Ganz entscheidend wird dabei sein, wie die gewonnenen Erkenntnisse in der klinischen Praxis umgesetzt werden.“
Die Rheumatologie gehört heute zu den innovativsten Feldern der klinischen Immunologie. Als größte Herausforderung der Zukunft sieht Aletaha hier die Implementierung der enormen Wissenszuwächse in die Anwendung an den Patient•innen. Zudem würden bestimmte nicht entzündliche, zumeist degenerative Krankheitsfelder wie die Arthrose nach wie vor große Herausforderungen darstellen.
Fehlende Fachärzt•innen/ Rheumatolog•innen und flächendeckende Versorgung
Was dem individuellen Eingehen auf Rheumapatient•innen widerspricht, ist nicht nur die fehlende flächendeckende Versorgung, sondern auch ein erheblicher Mangel an ärztlichem Nachwuchs. „Die wesentliche Funktion der Fachärzte•innen der Innere Medizin und Rheumatologie im Gesundheitswesen kann mit der derzeitigen Versorgungssituation, speziell im niedergelassenen Bereich, nicht adäquat erfüllt werden“, bekräftigt Prim.a Dr.in Judith Sautner, Präsidentin der ÖGR, Leiterin der 2. Medizinischen Abteilung am LK Stockerau mit Schwerpunkt Rheumatologie.
Mehr als 55 Prozent der Betroffenen, die an der ÖRL-Umfrage teilnahmen, wünschten sich aber genau das: Österreichweit mehr [Kassen-]Ärzt•innen sowie Rheumaambulanzen und dadurch deutlich geringere Wartezeiten auf Untersuchungstermine, kürzere Wegstrecken, idealerweise die Betreuung durch gleichbleibende Mediziner•innen bzw. zumindest einen besseren Austausch von Patient•innendaten und mehr Zeit für das persönliche Gespräch. Diese höhere Dichte, die in vielen Regionen derzeit nicht gegeben ist, ist zudem notwendig, um zeitnah die entsprechende Therapie einzuleiten.
Neue Behandlungsempfehlungen und die Implementierung des „Treat to target“- Prinzips in der klinischen Praxis ebenso wie die Überwachung komplexer Behandlungsstrategien, insbesondere mit modernen Medikamenten, bedingen eine höhere Anzahl von fachärztlichen Kontrollen durch Rheumatolog•innen bzw. eine engmaschigere Überwachung als in früheren Jahren – mit dem Effekt einer deutlich verbesserten Lebensqualität der Patient•innen.
Der bereits heute spürbare eklatante Mangel an Rheumatolog•innen werde sich durch die anstehende Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation weiter verstärken, betont Sauter. Zudem sehen sich Kolleg•innen, die mit ihrer Ausbildung fertig werden, gezwungen, aufgrund des Mangels an rheumatologischen Kassenplanstellen und der fehlenden Honorierung der Leistungen in andere Fachbereiche auszuweichen. Rheumatologische medizinische Leistungen werden von den österreichischen Krankenkassen finanziell gar nicht oder nur inadäquat abgegolten – und das mit großen regionalen Unterschieden. „Das beeinträchtigt das Wohl der Patient•innen und widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz“, so Sautner.
„Seitens der ÖGR und der ÖGIM [Österreichischen Gesellschaft für Innere Medizin] wurden bereits Initiativen gesetzt und Forderungen an Politik und Sozialversicherungsträger gestellt, wie zum Beispiel die Zurverfügungstellung eines entsprechenden Budgets und die Aufnahme spezifisch rheumatologisch-fachärztlicher Leistungen in den honorierten Leistungskatalog, um die aktuell zunehmend angespannte Situation zu lindern und vor allem die künftige Versorgung sicherzustellen.“
Prim.a Dr.in Judith Sautner
Zudem arbeite die ÖGR schon länger daran, Student•innen für das Fach Rheumatologie zu begeistern. Rheumatologie ist ein Lehrinhalt, der im medizinischen Curriculum an den Universitäten leider nur in sehr geringem Umfang vorkommt. Deswegen ist es als Berufswahlfach unter Student•innen am Ende der Ausbildung auch nicht so präsent wie andere internistische Sonderfächer.
Um hier den notwendigen Nachwuchs zu fördern, wurde 2017 von der ÖGR – unter der Leitung und Koordination von PD Dr. R. Puchner, Prof. Dr. C. Dejaco und Prim.a Dr.in J. Sautner – die ÖGR – Rheuma Summer School ins Leben gerufen. In deren Rahmen werden Studierenden in einem Dreitages-Programm theoretische Inhalte der wichtigsten rheumatologischen Themenkomplexe, praktische Übungen [rheumatologische Gelenkstatuserhebung, Gelenksultraschall, Kapillarmikroskopie, Solve the case – Sessions] und auch Untersuchungen an realen Rheuma-Patient•innen angeboten. Dies hat zu einem kontinuierlichen Anstieg von jungen Kolleg•innen, die sich für die Ausbildung im Fach Rheumatologie entscheiden, beigetragen.
Die Summer School wird alljährlich abgehalten und evaluiert – mit einem beeindruckend positiven Ergebnis. 2021 wurde die ÖGR Summer School ins ECONS-Programm [Aus- und Fortbildungsprogramm] der EULAR aufgenommen und die Faculty aus renommierten österreichischen Vortragenden um internationale Referent•innen und Tutor•innen bereichert.
Juveniles Rheuma und junge Patient•innen – andere Bedürfnisse im Leben und in der Medizin
Eine individuelle Betreuung ist vor allem bei Kindern und jungen Patient•innen notwendig. Das betrifft nicht nur die Therapie an sich, sondern auch deren Bedürfnisse in der Schule, Ausbildung, im Studium oder am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. „Generell gibt es deutliche Unterschiede zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – allein schon von der Nomenklatur“, erklärt Dr.in Antonia Mazzucato- Puchner, Fachärztin für Innere Medizin, Klinische Abteilung für Rheumatologie, Universitätsklinik für Innere Medizin III, MedUni Wien/ AKH Wien.
Adoleszente Jugendliche machen eine Vielzahl an physiologischen und psychologischen Entwicklungsprozessen wie Identitätsfindung, Autonomieentwicklung, körperliche und soziale Reife durch. Genau in diese Zeit fällt dann die Transition von der Pädiatrie in die Innere Medizin – für Jugendliche ein durchaus harter Einschnitt. „Auch hier führen begrenzte Ressourcen beim Wechsel des Behandlungsteams zu einer oft nicht optimalen Übergabe sowie manchmal zu einer Änderung der Diagnose und insgesamt zu erheblichen Irritationen bei den Patient•innen, die nun etwa selbst über ihre Therapie entscheiden müssen“, so Mazzucato.
Eine häufige Folge sei der eigenständige Abbruch der laufenden Behandlung, was wiederum zu einer Verschlechterung der Krankheit führt. Lösungen dieser Herausforderung sieht Mazzucato in einer individualisierten Medizin und Transition, idealerweise begleitet von Koordinatoren, sogenannte „transition clinics“, wo Kinderärzt•innen und Rheumatolog•innen sich austauschen können, einem multidisziplinären Herangehen, aber auch eigenen „adolescent clinics“ für Jugendliche und junge Erwachsen sowie in laufenden Aus- und Weiterbildungen.
Neben Berufseinstieg, Sport, Reisen oder einem unbeschwerten schmerzfreien und unabhängigen Leben, sind Liebe und Beziehung sicher am wesentlichsten für junge Altersgruppen. Mazzucato dazu: „Eine chronische Erkrankung passt da nicht ins Bild. Dabei gibt es heute bereits sehr gute Therapien, die Rheumapatient•innen ein weitgehend normales Leben ermöglichen.“
Dennoch stellen Themen wie Verhütung oder Familienplanung große Herausforderungen an diese und ihre behandelnden Ärzt•innen. Neben Aufklärung und Beratung sei vor allem die richtige Behandlungswahl hier essenziell. „Deshalb haben wir die erste interdisziplinäre Reproambulanz [Rheumatologische Erkrankungen und Reproduktion] gegründet. Hier bieten die Rheumatologie und die Frauenklinik der Medizinischen Universität gemeinsam Sprechstunden an“, erläutert Mazzucato.
Innovative digitale Projekte im Rheuma-Bereich
Derzeit sind zwei weitere internationale, zum Teil von der EU geförderte, Projekte der Abteilung Rheumatologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin III, MedUni Wien/ AKH Wien in Zusammenarbeit mit dem Institut für Outcomes Research ebenfalls MedUni Wien, auch unter Koordination von Dr. Paul Studenic, im Laufen, die sich mit Apps für Patient•innen beschäftigen.
Rheumabuddy 4.0 hat die Weiterentwicklung der bereits etablierten App für Menschen mit rheumatoider Arthritis hin zu einem Support-Tool für verschiedenste alltägliche Situationen und zur besseren Krankheitsbewältigung zum Ziel. Eine weitere App soll für Betroffene mit unterschiedlichen rheumatischen Erkrankungen entwickelt werden, um den Herausforderungen von Telemedizin besser begegnen zu können. Die Anwendung soll während klinischer Studien und im klinischen Alltag durch Messung verschiedener Parameter bei Patient•innen ein vollständigeres Erkrankungsbild und somit ein schnelleres Anpassen von Managementstrategien ermöglichen.
Aufklärung auch für Kinder wesentlich
Je jünger die Kinder, desto schwieriger ist die Diagnose. Sie klagen oft über Schmerzen des Bewegungsapparates. Häufige Ursachen dafür, etwa im Bereich der Gelenke, sind jedoch durch Wachstum, Trauma oder postinfektiös hervorgerufen, ernsthafte rheumatische Erkrankungen sind hingegen vergleichsweise selten. Dennoch muss man diese Anzeichen auch bei den Kleinsten ernst nehmen. Die Awareness in der Öffentlichkeit, aber auch bei Mediziner•innen aus anderen Disziplinen, für einen Zusammenhang mit einer rheumatischen Erkrankung ist naturgemäß gering. Umso wichtiger ist hier die Aufklärung – auch für und von Kindern und Jugendlichen.
Das im Vorjahr gestartete Projekt „Kopf hoch, Gina“! von Kindern für Kinder wurde von Dr.in Mazzucato gemeinsam mit Prim.a Dr.in Sautner und Dr.in Andrea Ulbrich, Oberärztin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien/ AKH Wien initiiert. Die Geschichte – geschrieben von Priv.-Doz. Dr. Mandl – handelt von der kleinen Giraffe Gina, die an Rheuma leidet. Sie soll junge Patient•innen kindergerecht über ihre Erkrankung und Therapie aufklären. Das Buch wird ab 2023 verfügbar sein. Gemeinsam mit einer Schulklasse der BRG Perchtoldsdorf wird zudem seit einem Jahr an einem Animationsfilm dazu gearbeitet.
Dauer bis zur Diagnose immer noch zu lange
Auch die Schmerzen von Erwachsenen werden nicht immer ernst genommen oder ein Zusammenhang der Symptome zu wenig beachtet bzw. mit einer rheumatischen Erkrankung in Verbindung gebracht. Bei über 50 Prozent der befragten Patient•innen betrug die Dauer bis zur Diagnose mehrere Jahre. Das war auch bei Mag.a Saskia Wagner der Fall, die 1989 an Morbus Bechterew [Spondylitis ankylosans] erkrankte: „Es brauchte 24 Jahre, bis man meine Krankheit erkannte.“ Wobei der entscheidende Hinweis von einer Freundin gekommen sei. Zurecht wird hier das mangelnde Wissen über rheumatische Erkrankungen und ihre systemischen Zusammenhänge in der fachfremden Ärzt•innenschaft beklagt.
Nach Jahren der Ungewissheit sei die Diagnose für Wagner eine Erleichterung gewesen: „Endlich wurde ich ernst genommen und meine Erkrankung hatte einen Namen.“ So konnte sie Strategien im Umgang mit ihr entwickeln: „Positives Denken, Bewegung und eine jährliche Kur helfen mir bis heute dabei, weitgehend schmerzfrei zu sein und mit wenigen Medikamente auszukommen. Ich kann allen Betroffenen nur empfehlen, möglichst aktiv zu sein, wenn man am Leben teilhaben will, auch wenn das mitunter anstrengend ist.“
Man könne einiges zur Linderung nutzen, wie zum Beispiel Physiotherapie oder Massagen usw. Allerdings stellen solche zusätzlichen Behandlungen für viele Betroffene eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Sie selbst sei bei einem privaten Rheumatologen, ohne zusatzversichert zu sein – in Ermangelung an Kassen-Fachärztinnen und Fachärzten gäbe es aber keine Alternative. Als Rheumakranker müsse man sich doppelt anstrengen und investieren, um gut leben zu können. Mehr Kassen-Fachärzt•innen, eine finanzielle Abgeltung von sinnhaften ergänzenden Therapien aber auch arbeitsfreundliche und effiziente Kuraufenthalte – Stichwort: 10-Minutenmassage und ihre Wirkung? – wären wünschenswert.
Ausgrenzung oder Ablehnung hätte Wagner nie erfahren, eher Unwissenheit über Rheuma. Das gelte auch für ihre berufliche Laufbahn zunächst als Redakteurin und jetzt als technische Zeichnerin in einer Tischlerei: „Ich bin immer mit Offenheit gut zurechtgekommen und habe nie versucht, meine Krankheit zu verheimlichen.“ Dem Wunsch der von der ÖRL befragten Betroffenen nach mehr Verständnis seitens des Arbeitgebers und der Kolleg•innen könne aus ihrer Sicht mit Information und Aufklärung gut begegnet werden und: „… im beruflichen Alltag muss man einfach gemeinsam Lösungen finden und kompromissbereit und fair auf beiden Seiten sein.“
Aufklärung, Beratung zu und Hilfestellung bei Rheuma notwendiger als je zuvor
„Gerade wenn es um den Arbeitsplatz geht, bietet sich die ÖRL als kompetenter Ratgeber an“, betont Gertraud Schaffer, Präsidentin der ÖRL. Und darüber hinaus zu allen anderen Themen rund um Rheuma. An der Pandemie sei man als wesentlicher und oftmals einzige Ansprechstelle für Betroffene weitergewachsen und habe einmal mehr bewiesen, eine bedeutende Partnerin des Gesundheitssystems in Sachen Aufklärung, Information und Beratung zu sein. „
Wir waren die letzten beiden Jahre lang rund um die Uhr mit Anrufen von verunsicherten Patient•innen und Angehörigen konfrontiert.“ Das hätte das Team mitunter an seine Grenzen gebracht: „Man darf nicht vergessen, dass wir alle selbst Betroffene und zumeist ältere Jahrgänge sind.“ Junger Nachwuchs sei kaum zu gewinnen. „Verständlich, dass man in diesem Alter andere Interesse hat“.
Schaffer weiter, „Diese jungen Betroffenen stehen mitten im Leben, müssen sich dort beweisen und sind ob ihrer Erkrankung schon genug gefordert.“ Umso erfreulicher sei es, dass mit „Jung und Rheuma“ eine engagierte Gruppe junger Rheumatiker•innen im Alter von 18-35 Jahren innerhalb der ÖRL entstanden ist, die immer mehr Zuwachs bekomme.
Um die personelle Situation auszugleichen und die ÖRL für die Zukunft aufzustellen, fehlt vor allem die finanzielle Unterstützung. Das klassische Selbsthilfegruppensystem ist in die Jahre gekommen: „Das ehrenamtliche Engagement nimmt in allen Bereichen ab, das zeigt auch unsere Umfrage – keiner von mehr als 160 Teilenehmer•innen hat zugestimmt, freiwillig mitzuhelfen.“
Zudem habe sich das klassische Rheuma-Patient•innenbild verändert: ältere Menschen sind heute nicht mehr die „Alten“ oder alt. Die jetzigen Generationen leben allesamt viel offener und aktiver. Dazu kommt, dass die Ansprache heute immer zielgruppenorientierter, schneller und neben dem persönlichen Treffen im stärker über digitalisierte Kanäle erfolgt. „Hier brauchen wir dringend zumindest eine oder einen bezahlten Fulltime Kommunikationsprofi, der das Krankheitsbild bestens kennt, eine hohe Beratungskompetenz hat, sich mit digitalen Medien gut auskennt und mit Motivation unsere Themen treibt.“
Zeil sei es, so die ÖRL im Sinne einer modernen Patient•innenorganisation aufzustellen, die sich kompetent in noch engerer Kooperation mit der ÖGR als erste Ansprechpartnerin in Sachen Rheuma anbietet. Gemeinsame Arbeitsgruppen mit Expert•innen, [jungen] Betroffenen und anderen Patient•innenorganisationen werden an aktuellen und künftigen Themen arbeiten und Lösungen entwickeln und diese auch umsetzen: zum Beispiel mittelfristig, wie Wissen über Rheuma künftig zeitgemäß und verständlich vermitteln werden kann – insbesondere in Richtung der kommenden Generationen – wie Arzttermine und Wartezeiten verkürzt oder auch Ärzt•innen und Patient•innen zu Teams werden können. „Unsere Online-Plattform www.rheumaliga.at soll in allen Bereichen neutrale und fundierte Informationen anbieten und sich zu einer attraktiven Vernetzungsplattform entwickel. Und auch Social Media wollen wir zunehmen nutzen“.
Dazu brauche es neben finanzieller vor allem die Unterstützung seitens der Politik und des Gesundheitswesens. „Wir wollen die Anerkennung unserer Leistung als Selbsthilfeorganisation und eine jährliche finanzielle Basis, um unabhängig agieren zu können“, fordert Schaffer: „Wir leisten wertvolle freiwillige und unbezahlte Arbeit für unser Gesundheitssystem, unser Staat erspart sich damit einiges. Diese ehrenamtliche Dienstleistung wird es in Zukunft in unserer Gesellschaft jedoch nicht mehr geben, wenn sich die Haltung zu uns auf politischer Ebene nicht ändert. Wir bewegen uns als Patient•innenorganisation – immer in Richtung und gemeinsam mit unseren Patient•innen, damit diese auch in Zukunft in Bewegung bleiben und trotz Rheuma eine gute Lebensqualität haben. Ich hoffe, unsere „BEWEGUNG“ wird auch von den Verantwortlichen im Gesundheitswesen gesehen und mitgetragen“.
Wissen: Rheuma – eine Krankheit mit 400 Erscheinungsbildern
Arthrose, Rheumatoide Arthritis, Osteoporose oder Morbus Bechterew sind nur vier von 400 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Rheuma hat viele Erscheinungsbilder. Immer noch wird es häufig als Beschwerde älterer Menschen gesehen, tatsächlich sind jedoch vielfach auch Kinder und junge Menschen betroffen – Frauen öfter als Männer. Das Risiko, irgendwann im Laufe des Lebens eine Krankheit des Stütz- und Bewegungsapparats zu erleiden, liegt geschätzt bei 70 bis 80 Prozent. Schmerzen, Schwellungen und Steifigkeit der Gelenke am Morgen sowie Entzündungen, die in Schüben wiederkehren, können erste Hinweise sein.
Rheuma umfasst zahlreiche entzündliche und nicht-entzündliche, durch Abnutzung und Alterungsprozesse hervorgerufene Erkrankungen an den Gelenken, Sehnen, Knochen und Muskeln. Die rheumatoide Arthritis ist die häufigste, aber nicht die einzige entzündliche Gelenkserkrankung. Der Morbus Bechterew [syn.: ankylosierende Spondylitis] ist eine entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule unter möglicher Beteiligung von peripheren Gelenken. Im Rahmen einer Schuppenflechte kommt es ebenfalls häufig zu Gelenkentzündungen [Psoriasisarthritis]. Vor allem junge Menschen können zudem an so genannten Kollagenosen wie dem Lupus erythematodes erkranken.
Rheuma ist nicht heil-, aber inzwischen gut behandelbar. Je früher die Erkrankung erkannt und therapiert wird, desto besser sind die Prognosen und desto eher können mögliche Folgeschäden vermieden werden. Ohne Behandlung führt sie meist zu einer fortschreitenden Schädigung bzw. Zerstörung der Gelenke. Neben Schmerzmitteln werden auch Medikamente [sogenannte Basistherapeutika] eingesetzt, die den Verlauf der Gelenkentzündung positiv beeinflussen und das Fortschreiten der Erkrankung verzögern. Bei unzureichendem Therapieerfolg kommen Biologika zum Einsatz. Ihre Wirkung beruht auf der gezielten Hemmung entzündungsfördernder Botenstoffe [Zytokine]. Wesentlich ist dabei eine entsprechende Therapietreue, auch wenn man beschwerdefrei ist.
Neben der Behandlung ist die regelmäßige Bewegung besonders wichtig, am besten eine Kombination von Kraft- und Ausdauersport. Dadurch und durch Muskelaufbau entstehen weniger Entzündungen im Körper, Schwindel wird vorgebeugt, es kommt seltener zu Stürzen und Knochenbrüchen. Krankengymnastik, Ausdauersport, Ergo-, Psycho-, Physio-, Phytotherapie und die richtige Ernährung können ebenfalls zu einer Linderung der Symptome beitragen.
Die Patient•innen sind in Tätigkeiten des täglichen Lebens mehr oder weniger stark eingeschränkt. Sie können teilweise zum Beispiel keine Flaschen öffnen oder Brot schneiden. Häufig wird – nicht zuletzt aufgrund der eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit – auch die Berufsausübung zum Problem.
(Bilder: AdobeStock, Diener/ Martin Steiger)