Auf Initiative von Bundesministerin Mag.a Dr.in Brigitte Zarfl fand in Anwesenheit von Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Stakeholdern eine Präsentation zweier Studien zum Thema der zukünftigen Finanzierung der Langzeitpflege und dem Pflegepersonalbedarf statt. Die Ergebnisse sollen eine weitere Grundlage für die Vorbereitung weitere Maßnahmen auf Ebene des Bundes und der Länder darstellen.
Mit Blick in die Zukunft
„Aufgrund unserer demografischen Situation ist der Handlungsbedarf im Bereich der Langzeitpflege evident. Die Initiativen der Parlamentarier brachten Beschlüsse einer jährlichen Valorisierung des Pflegegeldes und der Einführung des Rechtsanspruchs auf Pflegekarenz. Mein Ressort hat sich u.a. weiter für die Verbesserung der Rahmenbedingungen von pflegenden Angehörigen und Maßnahmen zur Qualitätssteigerung in der 24-Stundenbetreuung eingesetzt. Damit konnte im vergangenen halben Jahr bereits einiges für die Weiterentwicklung des österreichischen Pflegevorsorgesystems erreicht werden,“ zog die Sozialministerin Bilanz.
Bei der nun erfolgten Studienpräsentation stand der Blick in die Zukunft im Vordergrund. Prof. Dr. Martin Kocher und Dr.in Monika Riedel vom Institut für Höhere Studien präsentieren die Ergebnisse der Studie zur „Zukünftigen Finanzierung der Langzeitpflege„. Ao. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann sowie MMag.a Dr.in Elisabeth Rappold von der Gesundheit Österreich GmbH jene der „Pflegepersonal Bedarfsprognose„.
Wie die Ergebnisse der Studien zeigen, braucht es pragmatische Lösungsansätze, die gemeinsam mit den Ländern weitere Schritte zu mehr Effizienz und Nachhaltigkeit hinsichtlich der Finanzierungserfordernisse und der Wechselwirkung zwischen Gesundheits- und Sozialsektor bieten. Hier sind vor allem im Bereich der Finanzierung der Stellenwert der Prävention im Hinblick auf Kostendämpfungseffekte zu beleuchten.
Pflege- und Betreuungsberufe arbeiten in unterschiedlichsten Settings und interagieren mit einer Vielzahl an Professionen. Sie bilden die größte Gruppe der im Gesundheits- und Sozialbereich tätigen Personen. Hier gilt es insbesondere die vorherrschenden Rahmenbedingungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, des Images und der beruflichen Perspektiven weiterzuentwickeln. So wird sichergestellt, dass Menschen auch in Zukunft Pflege- und Betreuungsberufe ergreifen und auch nach erfolgten Ausbildungen versorgungswirksam den Sektoren zur Verfügung stehen.
Hilfswerk: Rasch vom Reden ins Tun kommen!
„Grundsätzlich ist begrüßenswert, mit validen Daten für eine realistische Einschätzung des Pflegesektors und seiner Perspektiven zu sorgen“, meint Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich. „Nun sollten wir aber schleunigst ins Tun kommen. Besonders im Bereich des Personals läuft uns in Österreich die Zeit davon„, warnt Anselm, und erwartet von der nächsten Bundesregierung eine entsprechende Prioritätensetzung – wie u.a. die Übernahme der Ausbildungskosten durch die öffentliche Hand.
„Alleine die Altersverteilung bei den heute aktiven Pflegekräften muss die Alarmglocken läuten lassen, erst recht in Anbetracht des massiv wachsenden Personalbedarfs“, meint Anselm. So hätten sich in das neu etablierte österreichische Gesundheitsberufe-Register bis Herbst 2019 rund 150.000 Pflegekräfte eingetragen, davon seien knapp 100.000 diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen und etwa 50.000 Pflegeassistent*innen. Anselm ist überzeugt, dass man auf neue Anforderungen nachfolgender Generationen dringend reagieren müsse.
„Wenn es uns nicht gelingt, mit Blick auf den wachsenden Bedarf rasch, beherzt und intelligent die richtigen Weichen zu stellen, dann gefährden wir die pflegerische Versorgung der österreichischen Bevölkerung. Denn was auch immer uns im Bereich der Finanzierung einfällt, eines ist klar: Im Bereich des Personals haben wir es mit völlig anderen Geschwindigkeiten zu tun. Ausbildung braucht Zeit. Und Ausbildung muss den Ansprüchen heutiger und kommender Generationen an Interessierten gerecht werden“, so Anselm.
AK: Die Faktenlage belegt: Es ist dringend Zeit zum Handeln!
Auch für AK Präsidentin Renate Anderl bestätigt sich einmal mehr ihre Forderung nach raschem Handeln: „Der steigende Handlungsdruck angesichts der drohenden Pflegemisere lässt ein weiteres Hinauszögern nicht mehr zu.“ Die Pflegebedarfsstudie bestätigt den wachsenden Bedarf an Pflegepersonen und beziffert ihn mit 75.700 Personen bis 2030. Was die Finanzierung für die Langzeitpflege betrifft, setzt sich Anderl für eine steuerfinanzierte, solidarische Finanzierung ein.
Der Bedarf an qualifiziertem Personal stellt zwei Anforderungen:
Erstens braucht es ausreichend Menschen, die in den Pflegeberufen ausgebildet werden. Und zweitens müssen die Arbeitsplätze so attraktiv sein, dass die ausgebildeten Pflegenden ihren Beruf auch mit Freude langfristig ausüben können und wollen. Für Anderl sind bei beiden Punkten die bisherigen Bemühungen nicht ausreichend.
Für jene, die bereits in den Pflegeberufen arbeiten, muss vor allem der Arbeitsdruck reduziert und die Planbarkeit von Arbeits- und Freizeit gesichert sein. Gute Pflege braucht klare Regeln für die Ermittlung des realen Personalbedarfs pro Schicht und die Sicherheit beispielsweise keine Nachtdienste alleine machen zu müssen. „Die Währung in der Pflege heißt Zeit. Niemand kann Menschen, die sich in außergewöhnlichen Situationen befinden und in der Regel immer langsamer werden, immer schneller pflegen“, betont Anderl.
Die aktuelle Studie des IHS beleuchtet verschiedene Finanzierungsformen für die Langzeitpflege. Die AK hält steuerfinanzierte Varianten für sinnvoll. „Denn eines muss klar sein: Solidarisch kann eine Finanzierung nur sein, wenn sie nicht jenen aufgebürdet wird, die im Erwerbsleben stehen. Ein langfristig tragfähiges Finanzierungssystem muss daher breiter aufgestellt sein und auch jene zur Kassa bitten, die es sich leisten können“, fordert Anderl eine Finanzierung aus Steuern auf große Vermögen und Erbschaften.
NEOS: Sozialministerium muss schleunigst mit der Pflegereform beginnen
Bestätigt zeigt sich NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker angesichts der vorgestellten Pflegestudien. „Alle führenden Expertinnen und Experten sind sich einig: In Sachen Pflege auf Prävention zu setzen ist das Um und Auf, damit die Menschen so lang wie möglich ein gesundes, selbstbestimmtes Leben verbringen können. Daher appelliere ich einmal mehr an die künftige Bundesregierung, schleunigst die Pflegereform anzugehen, aber auch an Sozialministerin Zarfl, hier die Weichen zu stellen“, sagt Loacker.
Man müsse, so Loacker, endlich Standards und Ziele definieren, bevor man bereits zu Beginn mit angezogener finanzieller Handbremse die Sache angeht: „Ziel muss es sein, dass die Pflege verstärkt in die Primärversorgung sowie in die Präventionsarbeit eingebunden wird. Dass die Kassen dafür einen Katalog an Pflegeleistungen bieten müssen, die Pflegekräfte abrechnen können, ergibt sich von selbst.“
Das steuerfinanzierte Pflegegeld solle bestehen bleiben. Es gehöre um eine individuelle, präventionsorientierte Komponente ergänzt, für die sich die bestehenden Vorsorgekassen sehr gut eignen würden. „Vorsorgekassen eigenen sich auch für Pflegevorsorge. Das angesparte Kapital wird im Ruhestand als Zusatzpension ausbezahlt und im Pflegefall für die Finanzierung genutzt“, so Loacker.
PA-djp: Finanzierung über Besteuerung großer Vermögen
„Die vom Sozialministerium präsentierte Pflegestudie weist das Modell der Pflegeversicherung zurück. Wir fordern eine Mitfinanzierung der Pflege durch die Besteuerung großer Vermögen„, erklärt Barbara Teiber, Bundesvorsitzende der Gewerkschaft GPA-djp.
„Die Pflegefinanzierung ist eine gesellschaftliche Herausforderung, zu deren Bewältigung alle etwas beisteuern sollten. Es braucht auch einen gerechten Beitrag der Ultrareichen„, so Teiber.
Muchitsch klar gegen zusätzliche Pflegeversicherung
Eine eindeutige Bestätigung des SPÖ-Pflegemodells sieht SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch durch die präsentierten Studien: „Wir wollen keinesfalls, dass die Menschen mit einer zusätzlichen Pflegeversicherung belastet werden. Der Staat hat genug Geld, um die Pflege solidarisch und mit Steuermitteln zu finanzieren. Was die Studien auch zeigen, dass wir mit 75.700 zusätzlich benötigten Pflegepersonen einen stark steigenden Bedarf haben und hier rasch etwas getan werden muss. Dazu ist notwendig, dass die Länder rasch mehr Fachhochschulstudienplätze zur Verfügung stellen müssen. Weiters braucht es die Etablierung eines BHS-Modells, damit wir mehr Pflegepersonalnachwuchs ausbilden können“, so Muchitsch.
„Wie die Studienautor*innen aufzeigen, könne der Bedarf an Pflegefachkräften schon ab 2024 nicht mehr mit AbsolventInnen gedeckt werden. Da müssen alle Alarmglocken läuten und das Pflegethema muss für die künftige Regierung Top-Priorität haben. Denn die Pflege- und Betreuungsleistungen sind eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft„, fordert Muchitsch.
WK: Studie bestätigt Forderung nach Pflegereform
„Was schon aufgrund der Bevölkerungsprognose auf der Hand liegt, hat die präsentierte Studie bestätigt: Der Pflegebedarf wächst rasant, eine Pflegereform ist daher dringend nötig“, kommentiert Karlheinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), die Ergebnisse der Pflegebedarfsstudie.
„Aus diesem Grund brauchen wir eine höhere Durchlässigkeit in Pflegeberufen. Zudem müssen Pflegeberufe noch attraktiver gemacht werden. Wichtig ist, dass der Grundsatz ‚daheim vor stationär‘ forciert wird, denn das entspricht dem Wunsch der Betroffenen“, fordert Kopf.
Ein erster wichtiger Schritt ist ein österreichweites Qualitätsgütesiegel für Vermittlungsagenturen von 24-Stunden-Betreuerinnen und -Betreuern, das gerade umgesetzt wird. Dieses Gütesiegel sorgt für hohe, einheitliche Qualitätsstandards. Ein weiterer Schritt sollte die Einführung der Pflegelehre sein. Auf diese Weise kann man junge Leute zum Zeitpunkt der Berufsentscheidung erreichen und für den Pflegeberuf gewinnen.
Zusätzlich sollen digitale Assistenzsysteme ausgebaut werden. Diese können dazu beitragen, den Alltag der Betroffenen einfacher zu gestalten und somit ihre Lebensqualität zu erhöhen.
Gewerkschaft vida: Mehr Personal in Pflege und Betreuung Gebot der Stunde
„Die präsentierten Zahlen über den Personalbedarf im Pflege- und Betreuungsbereich unterstreichen einmal mehr, dass die Zeit der schönen Reden und Versprechen vorbei ist. Die verantwortlichen Entscheidungsträger müssen rasch handeln“, so Sylvia Gassner, Vorsitzende des Fachbereichs Soziale Dienste in der Gewerkschaft vida. „Es führt kein Weg vorbei an einer Personalaufstockung um mindestens 20 Prozent. Nur so können wir dem Personalmangel essentiell etwas entgegensetzen“, ergänzt Gerald Mjka, Vorsitzender des Fachbereichs Gesundheit in der vida.
Doch nicht nur in der Langzeitpflege, sondern „auch in den heimischen Spitälern herrscht eklatante Personalnot. Genau darauf zielt auch unsere derzeitige Offensive ‚Mehr von uns. Besser für alle.‘ ab. Wir brauchen rasch mehr Personal, wenn wir drohende Engpässe vermeiden wollen. Zudem sind bundesweit einheitlichen Standards für die Personalplanung in der Pflege unumgänglich„, so Mjka.
GÖD-Gesundheitsgewerkschaft: Nur gute Arbeitgeber werden gut ausgebildetes Pflegepersonal bekommen
„Wir wissen heute, dass sich Kolleginnen und Kollegen im Pflegebereich bei der Auswahl des künftigen Arbeitgebers sehr stark an den Arbeitsbedingungen orientieren. Umfassende Lösungen, die u.a. die Dienstplansicherheit, Kinderbetreuung, Erholungszeit, Arbeitszeit, Personalberechnung und vieles andere betreffen, beeinflussen diese Entscheidung maßgeblich. Die Struktur des zukünftigen Arbeitgebers wird bei dieser Wahl immer weniger wichtig werden“, kommentiert Reinhard Waldhör, Vorsitzender der GÖD-Gesundheitsgewerkschaft, die Studien des Gesundheitsministeriums.
Neben der wesentlichen Frage der Finanzierbarkeit sieht auch Waldhör eine große Herausforderung im steigenden Bedarf an Betreuungspersonal. „Hier gibt es enormen Handlungsbedarf„, so sein Appell an die Bundesregierung, umgehend wirksame Maßnahmen zu setzen.
„Die Kolleginnen und Kollegen leisten mit hoher Kompetenz und großem Engagement Hervorragendes. Doch der Arbeitsdruck steigt. Wir kämpfen mit Langzeitkrankenständen, Burnouts sowie mit der Tatsache, dass Kolleginnen und Kollegen immer häufiger den Pflegeberuf verlassen. Qualifizierter Ersatz am Arbeitsmarkt ist schwer zu finden“, hält Waldhör fest und fordert bessere Rahmenbedingungen ein.
PVÖ: Pflege muss von Steuern finanziert bleiben
Der Pensionistenverband (PVÖ) – wie auch alle anderen Seniorenorganisationen – hat sich immer für ein von Steuern finanziertes Pflegesystem ausgesprochen. Die aktuelle Studie bestätigt nun den PVÖ, dass eine Umstellung auf eine Beitrags-Finanzierung „nicht die optimale Lösung“ sei. Gründe dafür sind u.a. negative Auswirkungen auf die Lohn- und Abgabenquote und die starke Abhängigkeit von Konjunktur und Arbeitsmarkt. Pensionistenverbands-Präsident Dr. Peter Kostelka, dazu: „Die Qualität der Pflege darf nicht davon abhängig sein, ob es gerade Hochjunktur gibt oder nicht. Und vor allem: Intensität und Qualität von Pflege dürfen nicht von der Höhe von vorher bezahlten Beiträgen abhängig sein!“
Der PVÖ-Präsident besteht auf dem durch Steuern finanzierten Pflegesystem. Kostelka: „Versicherungs- bzw. beitragsfinanzierte Pflegesysteme sind international gesehen vor allem durch ein bescheideneres Leistungsniveau gekennzeichnet oder sie umfassen nicht sämtliche Bevölkerungsgruppen. Verglichen mit Österreichs steuerfinanzierter Pflege käme ein Systemwechsel einem Sozialabbau gleich.“
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