In Österreich hat jede fünfte Frau [20 Prozent] ab ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/ oder sexuelle Gewalt erfahren. Eine hohe Dunkelziffer ist besonders bei älteren Frauen zu vermuten.
„Gewalt gegen ältere Frauen findet vielfach unbemerkt statt. Das liegt zum Teil auch daran, dass es in unserer Gesellschaft abwertende Einstellungen gegenüber dem Alter gibt und alte Menschen weniger sichtbar sind. Dadurch haben sie weniger Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen und sich zur Wehr zu setzen. Hinzu kommt, dass Gewalt gegen Frauen für die Opfer sehr schambesetzt ist – die Thematik ist also doppelt stigmatisiert. Oft braucht es einen hohen Leidensdruck, bis sich Frauen trauen, das Thema auszusprechen. Umso wichtiger ist es, auch nichtverbale Äußerungen und mögliche Anzeichen zu beachten“, sagt Petra Schmidt, Bereichsleiterin Gesundheits- und Soziale Dienste beim Österreichischen Roten Kreuz.
Zeigen sie, dass sie bereit sind, zuzuhören
Treten folgende Anzeichen auf, muss das keinesfalls ein „Beweis“ für eine erfolgte Gewalteinwirkung bedeuten, sollte jedoch hellhörig machen: Blutergüsse und Kratzer, schlechte Hygiene, plötzliche Inkontinenz, Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, fehlende Nahrungsmittel und Medikamente oder generell ein auffallend verändertes Verhalten.
Die Abgrenzung zu alters- oder krankheitsbedingten Veränderungen kann dabei schwierig sein. Im Zweifelsfall ist es wichtig, nicht bloß auf einzelne Anzeichen und Symptome zu achten, sondern das Gesamtbild wahrzunehmen und eine respektvolle Beziehung zu pflegen, in der auch schwierige Themen zur Sprache kommen dürfen. „Geben sie der betreffenden Person zu erkennen, dass sie bereit sind, zuzuhören“, so Schmidt.
Gewalt gegen ältere Frauen: erkennen und handeln
Gewalt gegen Frauen kennt keine Altersgrenzen: eine hohe Dunkelziffer ist besonders bei älteren Frauen zu vermuten. Hier finden sie Informationen und Hilfe, wenn sie selbst betroffen sind oder Gewalt beobachten und helfen wollen.
Woran kann man erkennen, ob jemand von Gewalt betroffen ist?
Hinweise auf mögliche körperliche Gewalt
Man kann blaue Flecken, Kratzer, Hautabschürfungen oder Verbrennungen erkennen, oder die Frau weigert sich Kleidungsstücke abzulegen und verhält sich ängstlich, wenn sich jemand nähern möchte.
Hinweise auf mögliche emotionale/ seelische Gewalt
Die Frau wirkt emotional auffallend aufgewühlt oder in sich zurückgezogen, leidet unter Schlaflosigkeit, ist ungewöhnlich schreckhaft/ verstört oder unsicher, ist „grundlos“ deprimiert. Es wird in herabwürdigender Weise mit ihr umgegangen.
Hinweise auf mögliche finanzielle Ausbeutung
Es gibt plötzlich Probleme Rechnungen zu bezahlen oder Unternehmungen zu tätigen, die Geld kosten. Es besteht Nahrungsmittelknappheit im Haus, wertvolle Gegenstände fehlen.
Hinweise auf mögliche Einschränkung des freien Willens
Verabredungen mit Freundinnen und Freunden werden nicht mehr wahrgenommen, Vorhaben und Vereinbarungen abgesagt, geliebte Aktivitäten reduziert. Angehörige schirmen die Betreffende sehr bestimmt gegenüber Besucherinnen und Besuchern ab, Telefonate und Nachrichten werden nicht weitergeleitet.
Hinweise auf möglichen sexuellen Missbrauch
Besondere Schreckhaftigkeit, Zurückziehen bei Annäherung, schamhaftes Verhalten bei Berührungen, Nähe wird vermieden, Angehörige zeigen sich Besucherinnen und Besuchern gegenüber misstrauisch.
Hinweise auf mögliche Vernachlässigung
Unzureichende persönliche Hygiene, verschlissene oder beschmutzte Kleidung, keine Frisur, unsaubere Wohnung, fehlende Hilfsmittel, Gewichtsabnahme, schlechter Hautzustand und ausweichende Antworten auf diesbezügliche Nachfragen
Welche Formen von häuslicher Gewalt gegen ältere Frauen kommen oft vor?
Seelische oder emotionale Gewalt
zum Beispiel verspotten, auslachen, drohen, Kontakte verwehren, vor anderen demütigen, als Objekt behandeln, ignorieren etc.
Materielle/ finanzielle Gewalt
zum Beispiel Einkommen unterschlagen, Bargeld wegnehmen, Besitz ungefragt veräußern, Vorräte plündern, aber auch gewünschte oder notwendige Anschaffungen aus dem Budget der Betreffenden verweigern [aus „Sparsamkeit“] etc.
Einschränkung des freien Willens
zum Beispiel gewünschte Unternehmungen/ Beschäftigungen verbieten, zu ungewünschten Aktivitäten nötigen, Besuche vorschreiben oder unterbinden, Kleidung oder Aufenthaltsort vorschreiben, Genussmittel entziehen, jemanden einsperren etc.
Körperliche Gewalt
zum Beispiel zerren, schlagen, stoßen, verbrühen etc.
Sexueller Missbrauch
zum Beispiel zu sexuellen Handlungen nötigen oder dafür benutzen, unangemessene Bilder oder Schilderungen aufzwingen etc.
Vernachlässigung
zum Beispiel Nahrung, Hilfsmittel oder Medikamente vorenthalten, nicht für die Körperpflege oder Reinigung von Kleidung und Umgebung von hilfebedürftigen Menschen sorgen etc.
Warum suchen von Gewalt betroffene ältere Frauen nicht öfter Hilfe?
Oft schweigen ältere Frauen aus Scham oder aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen. Oft bestehen Gewaltbeziehungen schon über eine sehr lange Zeit. Der Glaube an Veränderung und das Denken in Alternativen sind verloren gegangen.
Viele ältere Frauen haben kein oder nur ein geringes eigenes Einkommen, es fehlen Ressourcen für ein angemessenes Auskommen bzw. Unterkommen. Oft gibt es wenig Verständnis und Unterstützung seitens der erwachsenen Kinder.
Bei Gewalt durch erwachsene Kinder oder Enkel besteht eine besonders große Hemmschwelle, dies vor sich selbst und anderen zuzugeben.
Ich habe Formen von Gewalt beobachtet, wie kann ich helfen?
- Achten sie auf ihr Bauchgefühl! Wenn sie meinen, „da stimmt was nicht“, dann schauen und hören sie genauer hin.
- Geben sie der betreffenden Person zu erkennen, dass sie bereit sind zuzuhören.
- Wenn keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht, lassen sie sich und der betreffenden Person Zeit und haben sie Geduld.
- Vertrauliche Gespräche brauchen Ruhe und einen geschützten Raum – keinesfalls sollten sie das Thema eigenmächtig in Gegenwart Dritter oder gar des potenziellen Gewalttäters/ der Gewalttäterin ansprechen.
- Nehmen sie eine klare Haltung gegen Gewalt ein, aber bleiben sie sachlich.
Kostenloser Online-Kurs sensibilisiert für das Thema
Das Rote Kreuz bietet einen kostenlosen Online-Kurs an, in dem Interessierte lernen, wie sie Gewalt gegen ältere Frauen erkennen und wie sie helfen können. Ziel des Kurses ist es, für das Thema „Gewalt gegen ältere Frauen“ zu sensibilisieren und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Unter wissen.roteskreuz.at lernen die Teilnehmenden neben allgemeinen Informationen, welche verschiedenen Ausprägungsformen von Gewalt es gibt, wie man diese erkennen kann und an wen sich Betroffene und Angehörige wenden können, falls sie Hilfe benötigen.
„Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen sich auch mit schwierigen Gleichstellungsfragen auseinandersetzen und Machtverhältnisse hinterfragen“, so Schmidt.
Wo gibt es Hilfe?
„Oft ist man sehr unsicher, wenn man mit Gewaltsignalen konfrontiert wird, man hat Zweifel an der eigenen Wahrnehmung und zögert zu handeln. Es ist wichtig, dass man ein schlechtes Bauchgefühl ernst nimmt. Lassen sie sich professionell beraten, etwa von einer Frauenberatungsstelle oder einem Gewaltschutzzentrum, wie sie weiter vorgehen können“ rät Rotkreuz-Expertin Schmidt.
Telefonische Beratung
- Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555
- Pro Senectute Beratungstelefon Gewalt und Alter: 0699 11 2000 99
- Ö3 Kummernummer: 116 123
- Telefonseelsorge Österreich rund um die Uhr: 142
- Opfer-Notruf Weißer Ring österreichweit rund um die Uhr: 0800 112 112
Video #schauhin zur Gewalt gegen ältere Frauen
(Bilder: AdobeStock; Video: Youtube.com)