Als Corona-Alternativprogramm begann die „Vienna Tschick Challenge„, eine Initiative in Kooperation mit Schüler•innen und Pädagog•innen des Schulzentrums Herchenhahngasse in Wien. Die Initiative hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehrmals wöchentlich Tschickstummel und mittlerweile auch anderen Müll zu sammeln und sachgemäß zu entsorgen. Allein bei einem einzigen eineinhalbstündigen Sammelausflug einer sechsköpfigen Klasse zum Bahnhof Leopoldau wurden 5.047[!] Zigarettenstummel aufgelesen.
Aber die Ziele der „Vienna Tschick Challenge“ sind größer: Was mit dem Vorschlag eines Schülers, Müll sammeln zu gehen, begonnen hat, wurde zu einer Bewegung, die Aufklärungsarbeit leistet und auch laufend um Kooperationen bemüht ist, um die breiten Massen weiter zu sensibilisieren, wie schädlich Zigarettenmüll für Mensch, Tier und Umwelt ist.
Die Initiative auf Instagram: @vienna_tschick_challenge
Negative Folgen der Tschickstummel meist nicht bekannt
Wie gefährlich falsch entsorgte Zigarettenfilter und Tabakreste für unsere Umwelt sind, sodass die EU diese sogar als hochgiftigen Sondermüll einstuft [1], ist den meisten Österreicherinnen und Österreichern leider noch nicht bewusst. In Umfragen haben fast 75 Prozent der Befragten angegeben, ihre Zigarettenreste bereits gedankenlos am Straßenrand, in einem Gully oder sogar mitten in der Natur zurückgelassen zu haben.
Unglaubliche Mengen
Weltweit werden jährlich über 5,7 Billionen [2] Zigaretten produziert, von denen der Großteil – Schätzungen sprechen von fast 4,5 Billionen [eine Zahl mit 11 Nullen: 4.500.000.000.000] – unsachgemäß in der Umwelt entsorgt werden [3]. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass auf diese Weise jährlich etwa 1.200.000 Tonnen Zigarettenstummel in der Umwelt entsorgt werden [4]. Die WHO spricht sogar von 3.400.000 bis 6.800.000 Tonnen [5].
Vor allem in Städten ist die Belastung durch Tschickstummel enorm. Eine Studie in Berlin fand heraus, dass im Durchschnitt jeder Quadratmeter der untersuchten Flächen von 5,2 Zigarettenstummel verschmutzt worden sind. Nahe Bahnhöfen stieg diese Zahl sogar auf beinahe 50 Stummel pro Quadratmeter [1] – die Überreste von 2,5 Zigarettenpackungen. Damit zählen Zigarettenstummel bei weitem zu der größten Verschmutzung auf Straßen, Gehsteigen und öffentlichen Plätzen [4].
Hoch-toxischer Abfall für Mensch und Tier
Nicht nur die schiere Menge an Abfall ist ein Problem. Untersuchungen gehen von etwa 4.000 [7] bis 7.000 [5] chemischen Inhaltsstoffen in Zigarettenstummeln aus, die toxisch auf Gesundheit und Umwelt wirken. Mindestens 50 Stoffe davon sind für Menschen nachweislich karzinogen, also Krebs erregend! Diese Stoffe werden durch Regen, Schneeschmelze oder bei Entsorgung in Gewässer freigesetzt [5]. Die EU listet nicht zuletzt aus diesem Grund wie bereits erwähnt Zigarettenstummel als Sondermüll [1].
Neben Schwermetallen und giftigen organischen Stoffen spielt vor allem Nikotin eine große Rolle. Nikotin ist ein Nervengift, dass von Pflanzen als natürliches Pestizid produziert wird. Seit dem 15. Jahrhundert wurde es als Insektizid eingesetzt. Wegen seiner gefährlichen Toxizität für Wasserorganismen haben sich die USA, Kanada und Europa mittlerweile zwar darauf geeinigt, auf den Nikotineinsatz als Pestizid zu verzichten, dennoch wird es nach wie vor weltweit im Grund- und Trinkwasser und sogar in abgefülltem Mineralwasser nachgewiesen. Oft werden dabei die als unbedenklich geltenden Konzentrationen weit überschritten [1].
Ein einziger Zigarettenstummel in einem Liter Wasser reicht dabei aus, um 50 Prozent der darin schwimmenden Fische zu töten [8]. Muscheln, Schnecken und andere kleine Wasserlebewesen reagieren noch empfindlicher, sodass bereits ein einzelner Zigarettenstummel pro 1.000 Liter ausreicht, um merklichen Schaden anzurichten [1].
Gefahr für Tiere
Tiere wie zum Beispiel Vögel und Hunde können Zigarettenstummel mit Nahrung verwechseln und fressen, was zu Vergiftungen und Tod führen kann. Auch für Kleinkinder stellen unachtsam weggeworfene Zigaretten eine Gefahr da. Besonders gefährlich für Tiere und Kinder ist das in den Zigaretten enthaltene Nikotin, das beim Essen der Zigaretten zu Vergiftungen führen kann [11].
Doch auch das Mikroplastik, das durch die Zigarettenstummel in die Umwelt gelangt, belastet die Tierwelt: Mikroplastik verursacht zum Beispiel das Sterben von großen Wasserflöhen und beeinträchtigt die Fortpflanzungsfähigkeit bei Mäusen [12][13].
Was tut beispielsweise die Stadt Wien?
In Wien existieren verschiedene öffentliche Lösungsansätze. Es werden laufend Plakat-Werbekampagnen gestartet, wie zuletzt die Sauberkeitskampagne 2021 [14]. Laut eigenen Angaben der Stadt gibt es auch rund 21.600 Mülleimer mit Aschenrohren plus 2.100 freistehende Aschenbecher für eine ordnungsmäßige Zigaretten-Entsorgung. Außerdem sind die WasteWatcher dafür zuständig, das seit 2008 geltende Wiener Reinhaltegesetz, das die Verunreinigung von öffentlichem Raum eindeutig verbietet, durchzusetzen. Hauptaugenmerk sind, neben Hundekot, Zigarettenstummel [15].
Doch das gesellschaftliche Bewusstsein ist, anders als bei Hundehaufen, immer noch zu klein und die Verschmutzung der Stadt mit Zigarettenstummeln nach wie vor enorm. Rund 868 Millionen Zigaretten werden allein in Wien jährlich achtlos auf den Boden entsorgt [16]. Nur 130.000.000 landen in den dafür vorgesehenen Mülleimern [15]. Werden diese Zigaretten zusammen mit Grünzeug von der Straßenreinigung aufgefegt, landet beides in Wiens Kompostieranlagen, woraus Erde entsteht, die letztlich auch in vielen Gemüse- und Kräutergärten verteilt wird.
Fazit: Kein Mülleimer hilft, wenn die Zigaretten darunter, statt darin landen.
Quellennachweise
[1] A. L. Roder Green, A. Putschew, and T. Nehls, “Littered cigarette butts as a source of nicotine in urban waters,” J. Hydrol., vol. 519, pp. 3466–3474, Nov. 2014, doi: 10.1016/j.jhydrol.2014.05.046.
[2] J. M. Rath, R. A. Rubenstein, L. E. Curry, S. E. Shank, and J. C. Cartwright, “Cigarette litter: smokers’ attitudes and behaviors.,” Int. J. Environ. Res. Public Health, vol. 9, no. 6, pp. 2189–203, 2012, doi: 10.3390/ijerph9062189.
[3] M. C. B. Araújo and M. F. Costa, “A critical review of the issue of cigarette butt pollution in coastal environments,” Environ. Res., vol. 172, pp. 137–149, May 2019, doi: 10.1016/j.envres.2019.02.005.
[4] J. Torkashvand, M. Farzadkia, H. R. Sobhi, and A. Esrafili, “Littered cigarette butt as a well-known hazardous waste: A comprehensive systematic review.,” J. Hazard. Mater., vol. 383, p. 121242, 2020, doi: 10.1016/j.jhazmat.2019.121242.
[5] WHO, Tobacco and its environmental impact: an overview. 2017.
[6] M. C. B. de Araújo and M. F. da Costa, “Cigarette butts in beach litter: Snapshot of a summer holiday,” Mar. Pollut. Bull., vol. 172, p. 112858, Nov. 2021, doi: 10.1016/j.marpolbul.2021.112858.
[7] H. Kurmus and A. Mohajerani, “The toxicity and valorization options of cigarette butts,” Waste Manag., vol. 104, pp. 104–118, Mar. 2020, doi: 10.1016/j.wasman.2020.01.011.
[8] E. Slaughter, R. M. Gersberg, K. Watanabe, J. Rudolph, C. Stransky, and T. E. Novotny, “Toxicity of cigarette butts, and their chemical components, to marine and freshwater fish,” Tob. Control, vol. 20, no. Supplement 1, pp. i25–i29, May 2011, doi: 10.1136/tc.2010.040170.
[9] (Quarks) Schuch, Martina, “So gefährlich sind Zigarettenkippen für die Umwelt” 2021.
[10] WWF, “Mikroplastik ist überall,” 2020.
[11] Tobacco and cigarette butt consumption in humans and animals
[12] Microplastics but not natural particles induce multigenerational effects in Daphnia magna.
[13] Polystyrene microplastics induced male reproductive toxicity in mice
[14] StadtWien, “Sauberkeitskampagne 2021,” 2021.
[15] StadtWien, “WasteWatcher,” 2022.
[16] (Der Standard) Kainrath, Verena, “Weggeworfene Zigarettenstummel sind Giftcocktail für die Natur,” 2019.
(Bilder: Tierschutz Austria/ Jonas von Einem (2x), AdobeStock)