Übergewicht beeinträchtigt nicht nur das Wohlbefinden, sondern ist auch ein enormes Gesundheitsrisiko, das letztlich auch zu einer wahren Kostenlawine wird. Denn Betroffene haben oft mit Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen oder Diabetes zu kämpfen.
Die Zahlen an Personen mit Übergewicht und Adipositas in Österreich steigen dramatisch und dürften durch Covid-19 noch einmal kräftig anziehen. Schon heute sind sie ein folgenschwerer Kostenfaktor für Gesundheitssystem und Wirtschaft. Während sich im Volksmund der Mythos hält, exzessive Kilos seien ein reines Indiz mangelnder Selbstdisziplin, hat die Medizin längst andere Antworten.
Übergewicht und Adipositas nicht auf die leichte Schulter nehmen
Übergewicht [ab einem Body-Mass-Index BMI von 25 kg/ m2] und Adipositas [ab BMI 30 kg/ m2] haben komplexe Ursachen, die zu zahlreichen Folgeerkrankungen führen und nach präventiven und therapeutischen Ansätzen verlangen.
Prim. Priv.-Doz. Dr. Joakim Huber, Präsident der Österreichischen Adipositas Gesellschaft [ÖAG] und Vorstand der Abteilung für Innere Medizin im Franziskus Spital in Wien, meint dazu: „Adipositas ist eine Erkrankung, bei der viele Faktoren eine Rolle spielen. Wichtig ist das individuelle Umfeld der Betroffenen. Das sogenannte ‚adipogene Umfeld‘ beschreibt alle Faktoren, die Menschen mit Adipositas dazu verleiten, Entscheidungen zu treffen, die zu einem Kalorienüberschuss führen. Betroffenen zu raten, dass sie ‚einfach nur‘ weniger essen und sich mehr bewegen sollen, ist daher nicht ausreichend. Die Basis für eine erfolgreiche und nachhaltige Gewichtsreduktion ist eine Änderung des Lebensstils und des Verhaltens. Dazu gehören eine Analyse des individuellen Umfeldes sowie mehrere Beratungen zur Umstellung der Ernährungsgewohnheiten und zur Steigerung der körperlichen Bewegung.
Ziel sollte sein, energiedichte Nahrung [vor allem Süßigkeiten oder gesättigte Fette] durch Nahrung mit geringer Kaloriendichte und hohem Nährstoffgehalt [vor allem Obst und Gemüse] zu ersetzen und sich mehr und regelmäßig zu bewegen. Der richtige Zugang wäre, alle verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten in einem multiprofessionellen Team individuell auf die Patientin bzw. den Patienten abzustimmen. Dazu gehören neben der Lebensstiländerung als Basis auch medikamentöse Therapien und die bariatrische Chirurgie.“
Gewichtsbedingte Krankheiten entstehen bereits im frühen Kindesalter
3,7 Millionen Österreicherinnen und Österreicher über 15 Jahren haben ein Körpergewicht, das krank macht. Sie sind übergewichtig oder adipös. Das ist mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung.[1] 35 Prozent von ihnen sind übergewichtig, 16,5 Prozent adipös. Besonders erschreckend: Bereits im Kindesalter ist Übergewicht ein immenses Problem. Schon mit acht Jahren sind jeder dritte Bub und jedes vierte Mädchen übergewichtig oder adipös.[2]
Damit sind oft bereits im Kindesalter die Grundsteine für gewichtsbedingte Krankheiten gelegt, denn: Adipositas ist nicht nur eine komplexe Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit, die mit zunehmendem Gewicht weiter eskaliert. Sie ist auch Treiber für Folgekrankheiten, wie Bluthochdruck, Diabetes, das „metabolische Syndrom“, das zu Schlaganfall und Herzinfarkt führen kann, und sogar Krebs. Schockierend zudem: Adipöse Menschen in Österreich haben ein im Schnitt um 2,6 Jahre vorgezogenes Lebensende – nur aufgrund des Gewichts.
Obwohl Übergewicht komplexe Ursachen hat, werden adipöse Menschen bis heute stigmatisiert und erhalten zudem oft viel zu spät medizinische Hilfe. Das geht auf Kosten der Betroffenen, der Gesundheitskassen und letztlich auch der Wirtschaft.
Kostenlawine überrollt Industrieländer, erfasst bereits zunehmend auch Österreich
Übergewicht kostet Österreich Geld – und das gleich doppelt: Erstens, laut OECD [3] gehen Industriestaaten rund 3,3 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes durch Übergewicht verloren. Das exzessive Gewicht macht erwerbsunfähig, das Ergebnis sind Arbeitsausfälle und verfrühte Pensionierungen. Zweitens, geschätzte acht Prozent der Gesundheitsausgaben in Österreich fließen in die Behandlung von Adipositas und ihre Folgekrankheiten. Das hieße beispielsweise ganze 3,5 Mrd. Euro allein im Jahr 2019.
Die Zahl an Betroffenen steigt weiter stark an, sie hat sich laut WHO seit 1975 verdreifacht. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis auch europäische Länder wie Österreich von der Kostenlawine überrollt werden – wie es in den USA längst geschehen ist.
Moderne Abnehm-Medizin: Vielfalt an Präventions- und Behandlungsoptionen
Ob verhaltensbasiert, medikamentös oder chirurgisch – moderne Therapieformen haben unterschiedliche Angriffspunkte mit dem gemeinsamen Ziel: abzunehmen, Folgeerkrankungen zu vermeiden und ein physiologisches Sättigungs- und Hungerempfinden wiederherzustellen.
Bedingt durch Genetik und Umwelt ebenso wie durch natürliche „Hungertreiber“ wie etwa Stress kommt es bei Adipositas zu einer Vermehrung von hormonaktivem Viszeralfett [Bauchfett] mit weitreichenden Folgen. Dieses Fett schickt nämlich auch Heißhungersignale ans Gehirn. Fazit: Je dicker der Bauch, desto dicker der Hunger, desto dicker der Bauch. Ein Teufelskreis.
„Es gibt bereits mehrere wirksame Therapien am Markt, zusätzlich macht die Forschung rasante Fortschritte. Unser Ziel ist, adipösen Menschen zu einem gesunden Körpergewicht zu verhelfen und sie vor gewichtsbedingten Krankheiten und Komplikationen zu schützen,“ sagt Dr. Andreas Rothensteiner, medizinischer Direktor bei Novo Nordisk Österreich.
Durch die schrittweise Reduzierung von Gewicht lässt sich sogar bei bereits entstandenen Krankheiten eine Umkehr erreichen. Schon fünf bis zehn Prozent Gewichtsreduzierung [4] kann bei übergewichtigen Menschen zu einer Verbesserung von gewichtsbedingten Krankheiten wie Bluthochdruck führen.
Zugang zu Therapien: Österreich hinkt im Vergleich zu Nachbarländern hinterher
Der Zugang zu modernen und innovativen Therapieoptionen ist in Österreich im Vergleich zu Nachbarländern erschwert. Beispielsweise sind Behandlungen zur Prävention von eskalierendem Übergewicht oder bei akuter Adipositas meist selbst zu tragen. Nur in Ausnahmefällen übernehmen die Krankenkassen die Kosten für eine medikamentöse Therapie zur Krankheitsprävention durch Gewichtsabnahme.
Ganz anders die Situation in Ländern wie der Schweiz, wo man längst das Einsparpotenzial für das Gesundheitssystem durch moderne Gewichtstherapien erkannt hat. Hier wird, wie in weiteren Ländern Europas, unter bestimmten Kriterien eine medikamentöse Behandlung von Übergewicht und Adipositas erstattet. Gekoppelt an kluge Systeme, wie etwa Erfolgsraten bei der Gewichtsreduktion als Erstattungsmaßstab: Wer abnimmt, und so das Risiko für gewichtsbedingte Krankheiten reduziert, dessen Therapie wird weiter erstattet. Eine effektive Präventionsmaßnahme für Betroffene, Gesundheitskassen und Wirtschaft.
Quellen
[1] Statistik Austria, 2019
[2] WHO/ Childhood Obesity Surveillance Initiative (COSI), 2017
[3] OECD (2019), The Heavy Burden of Obesity: The Economics of Prevention, OECD Health Policy Studies, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/67450d67-en
[4] Österreichische Adipositas Gesellschaft www.adipositas-austria.org
(Bilder: Pixabay.com, Österreichische Adipositas Gesellschaft)