Man kann schon einmal vergessen, wo man seinen Schlüssel oder seine Lesebrille hingelegt hat. Das passiert jeden immer wieder. Doch wenn sich Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses mehr und mehr auf den Alltag auswirken, beispielsweise wichtige Termine vergessen werden, der Herd nicht ausschaltet wird oder der Alltag nur noch mit Merkzetteln organisiert werden kann, steckt oftmals mehr dahinter. Dann sollte man – so früh wie möglich – abklären, ob eine Alzheimer-Demenz-Erkrankung die Ursache der Vergesslichkeit ist.
Doch wie sollte man als Angehörige bzw. Angehöriger mit Alzheimer-Demenz-Patient•innen umgehen? Wie soll man Menschen begegnen, die anfänglich im Bewusstsein, ihr Gedächtnis nach und nach zu verlieren, Angst vor ihrer persönlichen Zukunft haben?
Relevanz der Thematik „Vergessen“
Durch die Veränderung der Altersstruktur in Österreich werden die Themen Pflege und Betreuung immer wichtiger. Der Anteil der über 65-Jährigen nimmt zu und wird laut Prognosen auch in Zukunft weiter ansteigen.
Im Jahr 2100 werden voraussichtlich knapp 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher über 65 Jahre alt sein. Aufgrund dieser Entwicklung steigt auch der Anteil an Menschen, die professionelle Pflege und Betreuung benötigen. Während die Zahl der betreuten Personen 2021 bei rund 250.000 lag, wird diese laut Prognosen bis zum Jahr 2050 auf zirka 650.000 Personen ansteigen. Dies erhöht auch den Bedarf an geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen Pflege und Betreuung.
Zusätzlich zu den beruflichen Pfleger•innen gibt es auch viele Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Allein in Österreich beläuft sich die Zahl auf 940.000 pflegende Angehörige. Diese Personengruppe zu schulen ist ebenfalls wichtig, da die Pflege mit zahlreichen Herausforderungen verbunden ist.
Eine viertel Million Demenz-Erkrankte im Jahr 2050
Je älter die Menschen werden, desto größer wird auch das Risiko, dass sie an Demenz erkranken. Laut Schätzungen lag die Anzahl der von Demenz-Betroffenen in Österreich im Jahr 2020 zwischen 115.000 und 130.000 Menschen. Aufgrund des Altersanstiegs der Österreicher•innen wird sich diese Anzahl in den nächsten 25 Jahren mehr als verdoppeln!
Der richtige Umgang zählt
Eine Kommunikationsmethode und Haltung, die in der Begegnung mit Menschen mit Demenz eine Unterstützung sein kann, ist die sogenannte Validation. Ziel der Validation ist es, sich einen Zugang zu der Erlebenswelt der Betroffenen zu verschaffen, indem die Gefühlswelt und die Biografie der Personen mit einbezogen werden. In der Welt der Demenzpflege zeigt sich die kraftvolle Methode der Validation als Weg, Menschen mit Empathie und Respekt zu begegnen.
Das Validieren ist eine besondere Kommunikationsform, die von einer akzeptierenden, nicht korrigierenden Sprache geprägt ist, die die Bedürfnisse des betroffenen Menschen zu verstehen und zu spiegeln versucht.
Vicki de Klerk-Rubin, Expertin auf dem Gebiet der Validation und Tochter der Validationsbegründerin Naomi Feil, betont: „Wir leiten nicht, wir folgen nicht, wir begleiten Menschen in der letzten Phase ihres Lebens.“ Anstatt in der Realität zu korrigieren, tauchen Kontaktpersonen in die Erinnerungen ihrer Patientinnen und Patienten ein, selbst wenn diese nicht objektiv existieren. Aufgabe der Angehörigen ist es, sich in die Welt der betroffenen Person zu begeben und ihr dort zu begegnen, sie zu verstehen, auch wenn sie unter Umständen unbekannte Worte verwendet. Man muss sich auf die Person, die Situation und ihre Erkrankung einlassen und die Situationen, so wie sie sind, akzeptieren.
Diese einfühlsame Herangehensweise ermöglicht nicht nur eine tiefere emotionale Verbindung, sondern schafft auch ein Klima des Verständnisses für die individuellen Erfahrungen und Gefühle der Betroffenen. Durch diese respektvolle Kommunikation entsteht ein Raum, in dem sich die Person mit Demenz verstanden und akzeptiert fühlen kann.
Zehn Grundsätze der Validation
Bei der Validation sind zehn Grundsätze zu beachten:
- Alle Menschen sind einzigartig und müssen als Individuen behandelt werden.
- Alle Menschen sind wertvoll, ganz gleichgültig, in welchem Ausmaß sie verwirrt sind.
- Es gibt einen Grund für das Verhalten von verwirrten, sehr alten Menschen.
- Verhalten im sehr hohen Alter ist nicht nur eine Folge anatomischer Veränderungen des Gehirns, sondern das Ergebnis einer Kombination von körperlichen, sozialen und psychischen Veränderungen, die im Laufe eines Lebens stattgefunden haben.
- Sehr alte Menschen kann man nicht dazu zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Ein Mensch ändert sein Verhalten nur, wenn er es will.
- Sehr alte Menschen muss man akzeptieren, ohne sie zu beurteilen.
- Zu jedem Lebensabschnitt gehören bestimmte Aufgaben. Wenn man diese Aufgaben nicht im jeweiligen Lebensabschnitt schafft, kann das zu psychischen Problemen führen.
- Wenn das Kurzzeitgedächtnis nachlässt, versuchen ältere Erwachsene, ihr Leben wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, indem sie auf frühere Erinnerungen zurückgreifen. Wenn die Sehstärke nachlässt, sehen sie mit dem „inneren Auge“. Wenn ihr Gehör immer mehr nachlässt, hören sie Klänge aus der Vergangenheit.
- Schmerzliche Gefühle, die ausgedrückt, anerkannt und von einer vertrauten Pflegeperson validiert werden, werden schwächer. Schmerzliche Gefühle, die man ignoriert und unterdrückt, werden stärker.
- Einfühlung/ Mitgefühl führt zu Vertrauen, verringert Angstzustände und stellt die Würde wieder her.
Bei all dem ist es wichtig, die Würde von Demenz-Erkrankten zu wahren. Es gilt, die noch vorhandenen Ressourcen der Hirnleistungen zu nutzen, mit diesen zu arbeiten und den betroffenen Patient•innen mit ihren Gefühlen und Antrieben ernst zu nehmen, um so einen möglichst hohen Grad an Lebensqualität für sie zu erhalten.
Auch wenn es schwer fällt: Es gilt, die Situation so anzunehmen wie sie ist und nicht mit Früher zu vergleichen. Die Vielschichtigkeit des Leids gilt es auszuhalten und mitzutragen. Dazu ist zum einen [auch] ein regelmäßiger Austausch mit anderen notwendig, um zu reflektieren, um den eigenen Schmerz und das eigene Leid nicht mit dem der zu betreuenden oder zu pflegenden Person zu vermischen. Und zum anderen ist es wichtig zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen, diese bewusst wahrzunehmen und im Fall des Falles Hilfe von Außen in Anspruch zu nehmen.
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