Die Wiener Tafel – der Verein für sozialen Transfer – rettet bis zu drei Tonnen Lebensmittel vor dem Müll. Und zwar jeden Tag! Mit diesen wertvollen Warenspenden von Handel, Industrie und Landwirtschaft versorgt sie 19.000 Armutsbetroffene in rund 100 Sozialeinrichtungen im Großraum Wien. Anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens fordert die Wiener Tafel
- die politische Neubewertung der sozialen Transferarbeit,
- eine Reform der gesetzlichen Handhabe für die Weitergabe von Lebensmitteln für karitative Organisationen und
- die Förderung durch die öffentliche Hand, damit adäquate Lagerstrukturen für gerettete Lebensmittel geschaffen werden können!
Genau vor 20 Jahren am 9. 9. 1999 wurde die Wiener Tafel als zivilgesellschaftliche Initiative von vier Studierenden der Sozialakademie gegründet. 2019 ist der Sozial- und Umweltverein von der sozialen Landkarte Wiens nicht mehr wegzudenken. Internationale Vernetzung und weitere Professionalisierung der Lebensmittelrettung prägten die vergangenen Jahre: Die Vereinten Nationen verfolgen das Ziel, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung weltweit um die Hälfte zu verringern.
Mit der Wiener Tafel an die Spitze der Lebensmittelrettung in Europa
„Jedes dritte Lebensmittel weltweit wird für den Müll produziert. Diese absurde Vergeudung von Ressourcen ist inakzeptabel angesichts der Armut in unseren Gesellschaften und der Klimakrise!“, ist Alexandra Gruber, Wiener Tafel-Geschäftsführerin und Obfrau des Verbandes der österreichischen Tafeln überzeugt und schildert: „Nach 20 Jahren erfolgreichen Einsatzes der Wiener Tafel gegen den sinnlosen Kreislauf der Verschwendung sind wir an einem Wendepunkt angelangt„.
Sie fordert: „Wir brauchen mehr Unterstützung – und zwar von Stakeholdern aus allen Bereichen und entlang der gesamten Wertschöpfungskette, um in fünf Jahren an die Spitze der Lebensmittelrettung in Europa zu kommen.“
Dazu zählt die Teilnahme der Tafeln an EU Programmen zur Lebensmittelrettung in großem Stil nach internationalem Vorbild, die Unterstützung der öffentlichen Hand und die Beseitigung bürokratischer Hürden bei der Weitergabe von geretteten Lebensmitteln an karitative Organisationen. Schließlich übernehmen Tafeln nicht nur eine wichtige Rolle gegen Lebensmittelverschwendung und zur Linderung von Armut, sondern auch in der CO2-Reduktion.
„Gemäß des aktuellen IPCC Reports kann alleine die Vermeidung von Lebensmittelverlusten bis zu zehn Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen helfen. Für jedes CO2-Äquivalent, das die Tafeln ausstoßen, werden gleichzeitig 27 CO2-Äquivalente eingespart. Eine solche Ratio hätte jedes Unternehmen gerne!“, betont Alexandra Gruber.
„Genusstaugliche Lebensmittel nicht weitergeben, grenzt an unterlassene Hilfeleistung!“
Mit dieser provokanten, aber stringent argumentierten Aussage macht Andreas Schmölzer, Sachverständiger für Lebensmittelhygiene und Ernährungswissenschafter, in seinem von der Wiener Tafel in Auftrag gegebenen Gutachten zur „Vereinfachung der Weitergabe von Lebensmitteln an karitative Organisationen“ deutlich: Die Weitergabe von Lebensmitteln muss gesellschaftlich und rechtlich neu bewertet werden.
„Die Weitergabe von Lebensmitteln darf nicht komplizierter und teurer sein als Wegwerfen„, bringt es Andreas Schmölzer auf den Punkt und beschreibt die aktuelle Situation: „Die regulatorischen Bürden behindern Lebensmittelspenden. Es ist für Unternehmer bedeutend einfacher und günstiger, Lebensmittel zu entsorgen als zu spenden. Auch werden das Engagement von Privatpersonen und die Aktivität von karitativen Einrichtungen zur Weitergabe durch zweckfremde Gesetzesauslegung deutlich gedämpft. Dies ist aber ohne Kosten oder Nachteile sehr einfach zu ändern“, ist Schmölzer überzeugt.
Über den Tellerrand: Von anderen Tafelmitgliedern lernen
„Aus europäischer Sicht können wir nur bekräftigen, wie wertvoll die Teilnahme der Tafeln an EU Programmen ist. So können die Chancen für Lebensmittelspenden signifikant vergrößert und damit mehr armutsbetroffene Menschen erreichen werden“, nutzt Angela Frigo, Generalsekretärin der FEBA (European Food Banks Federation) die Gelegenheit zu 20 Jahre Wiener Tafel zu gratulieren und betont: „Nur durch die Zusammenarbeit auf europäischer und nationaler Ebene können wir zu den Zielen SDG 2 [bis 2030 nachhaltige Bewirtschaftung und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen erreichen] und SDG 12.3 [bis 2030 die weltweite Nahrungsmittelverschwendung halbieren] beitragen“.
Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland, Dachorganisation der über 900 lokalen Tafeln betont: „Auch für uns ist eine Hilfestellung durch die öffentliche Hand ein zentrales Element, das wir in Deutschland mit Nachdruck von der Politik einfordern. Denn was es aus unserer Sicht braucht, ist eine finanzielle Unterstützung des Staates bei der Rettung und Verteilung von Lebensmitteln.“
Tafel-Arbeit muss auf politische Agenda
Die bevorstehende Nationalratswahl haben die österreichischen Tafeln zum Anlass genommen, alle wahlwerbenden Gruppen im Nationalrat sowie die Grünen mit einem Fragenkatalog zu konfrontieren. Einig waren sich die antwortenden Parteien in ihren Statements darin, dass die Arbeit der Tafeln einen wichtigen Beitrag zu einer sozial und ökologisch gerechteren Gesellschaft darstellt und in Zukunft mehr Unterstützung bekommen soll. „Wir werden die kommende Regierung jedenfalls in die Pflicht nehmen und daran erinnern“, betont Alexandra Gruber.
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