In den gesellschaftlichen Altersbildern wird den möglichen Stärken und Potenzialen des Alters nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Im Interesse besserer Möglichkeiten der Verwirklichung einer selbstbestimmten, persönlichen Werten, Zielvorstellungen und Präferenzen entsprechenden Lebensführung im Alter, aber auch im Interesse der Erhaltung von intergenerationeller Solidarität und Innovationsfähigkeit ergibt sich letztlich die Notwendigkeit, Alter neu zu denken und in einer »neuen« Altenpolitik umzusetzen.
Ausgehend von den aktuellen Erkenntnissen über den Verlauf, die Einflussfaktoren und die Gestaltbarkeit biologisch-physiologischen, psychologischen und sozialen Alterns lassen sich Empfehlungen ableiten, deren Umsetzung zu einer Differenzierung gesellschaftlicher Altersbilder, besserer Möglichkeiten einer persönlich zufrieden stellenden, selbst- und mitverantwortlichen Lebensführung im Alter sowie zur Erhaltung von intergenerationeller Solidarität beitragen könnte.
Die primäre Verantwortung für die Umsetzung dieser Empfehlungen liegt zum Teil bei politischen Entscheidungsträgern auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene, zum Teil bei den Medien, Unternehmen und Betrieben, zum Teil aber auch bei der Gesellschaft im Allgemeinen oder den älteren Menschen selbst. „Das Alter neu zu denken ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,“ so die Expertinnen und Experten einer Kommission der Bertelsmann Stiftung, die sich [auch] mit diesem Thema beschäftigt hat.
#AlterNEUdenken
Stärkere Berücksichtigung von Chancen einer alternden Gesellschaft, Stärken und Potenzialen des Alters
Der demographische Wandel ist nicht nur mit Herausforderungen, sondern auch mit Chancen für unsere Gesellschaft verbunden. Diese müssen stärker herausgestellt werden. Die gestiegene Lebenserwartung ist auch mit einem Mehr an „aktiven“ Jahren verbunden, in denen Erfahrungen und Kompetenzen aufgebaut, differenziert und genutzt werden können. Des Weiteren zeigen zahlreiche Studien, dass die physische, psychische und kognitive Leistungsfähigkeit im Alter durch verantwortliches Verhalten in allen Lebensabschnitten gefördert werden kann. Weder die Möglichkeiten der Prävention für das Alter noch die Möglichkeiten der Prävention im Alter sind gegenwärtig ausgeschöpft.
Unabhängig davon zeichnen sich aber spätere Geburtsjahrgänge im Vergleich zu früheren Geburtsjahrgängen im Alter durch eine durchschnittlich bessere Gesundheit sowie infolge veränderter Bildungs- und Berufsbiografien durch bessere Ressourcen und Lernmöglichkeiten aus. Ein solchermaßen „neues“ Alter muss stärker ins öffentliche Bewusstsein gebracht werden.
Des Weiteren sind unterschiedliche Formen des Alterns in weit stärkerem Maße als das Ergebnis lebenslanger Entwicklungsprozesse darzustellen, deren Verlauf zu einem guten Teil durch soziale und psychologische Faktoren bestimmt und durch bewusstes Handeln beeinflussbar ist. Sodann sind exemplarische Wege aufzuzeigen, wie bestimmte Formen des Alters erreicht und andere vermieden werden können. Hier kommt den Bildungsinstitutionen und Medien eine besondere Aufgabe in der Vermittlung realistischer – und dies heißt vor allem auch: positive Aspekte integrierender – Altersbilder zu.
Bekämpfung von Vereinfachungen und Verzerrungen durch gezielte Förderung von Erfahrungen und Wissenssystemen
Über den Verlauf „normaler“ Alternsprozesse ist in der Bevölkerung nach wie vor [viel zu] wenig bekannt. Der Zusammenhang zwischen Alter, Einschränkungen und Krankheit wird ebenso überschätzt wie Lebenszufriedenheit, Lebensqualität und Widerstandsfähigkeit im Alter unterschätzt werden. Diesem Umstand sollte in weit stärkerem Maße als heute durch Bildungs- und Sozialisationsinstitutionen Rechnung getragen werden, wobei mit der Vermittlung von differenzierten Erfahrungen und Wissenssystemen möglichst früh begonnen werden sollte. Im Idealfall sollte schon im Vor- und Grundschulalter die Erfahrung vermittelt werden, dass Alter und Altern mit sehr unterschiedlichen Veränderungen verbunden sind, die zum Teil eher negativ, zum Teil eher positiv bewertet werden. Auf diesen Erfahrungen aufbauend sollte in weiterführenden Schulen differenziertes Wissen über Alter und Altern vermittelt werden.
Des Weiteren sind die Ausbildungs- und Studienkonzepte für Berufsgruppen, die unmittelbar mit älteren Menschen und ihrem Umfeld arbeiten, zu verbessern und um vermehrte Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramme zu ergänzen. Dabei sollten nicht nur Einschränkungen und Krankheiten im Alter thematisiert, sondern auch das „normale“ Altern gelehrt werden. Wie für den Kinderarzt Kenntnisse über die normale Entwicklung in der Kindheit Voraussetzung sind, sollten für Geriater wie für medizinische Berufe generell detaillierte Kenntnisse über das normale Altern zur Pflicht werden. Im Sinne einer Förderung von Erfahrungen und Wissenssystemen ist neben dem formellen Lernen auch das informelle Lernen bedeutsam.
Altersbilder entwickeln und verändern sich gerade auch im persönlichen Kontakt mit älteren Menschen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass viele Menschen im Kontext ihrer Berufstätigkeit nur selten mit kreativen und innovativen Potenzialen älterer Menschen konfrontiert werden und diese schon aus diesem Grunde nicht in ihre Altersbilder integrieren. Daher ist auch die Arbeit in altersgemischten Teams als für die Entwicklung differenzierter Altersbilder als bedeutsam anzusehen. Die Erfahrungen, die in Unternehmen mit altersgemischten Teams gewonnen wurden machen deutlich, dass die Zusammenarbeit in altersgemischten Teams für Potenziale älterer Beschäftigter sensibilisiert und geeignet ist, Vorurteile abzubauen.
Für besondere Probleme des hohen Alters sensibilisieren
Eine vorrangige Aufgabe bei der Entwicklung differenzierter Altersbilder ist auch darin zu sehen, dass die besondere Verletzlichkeit des sehr hohen Alters in einer Art und Weise wahrgenommen wird, die einer Integration und Partizipation jener Menschen, bei denen sich prägnante Einbußen und Defizite finden, nicht abträglich ist. Auch dann, wenn schwere körperliche Erkrankungen vorliegen, können Menschen ein selbst- und mitverantwortliches Leben führen. Auch bei fortgeschrittener demenzieller Erkrankung sind Menschen noch in der Lage, an gemeinschaftlichen Aktivitäten teilzuhaben, Emotionen zu empfinden und anderen mitzuteilen.
Durch eine angemessene Gestaltung der räumlichen Umwelt und durch angemessene Betreuungs- und Versorgungskonzepte kann zumindest in Teilen zu einer besseren räumlichen und zeitlichen Orientierung beigetragen werden. Demenzkranke müssen nicht unglücklich sein. All dies ist – wenn auch durch wissenschaftliche Befunde gut belegt – in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt. Durch differenziertere Altersbilder könnten hier zum einen in der Bevölkerung weit verbreitete Ängste gelindert, zum anderen könnten die Möglichkeiten der Teilhabe schwerstkranker Menschen verbessert werden.
Auf das Lebensende bezogene Ängste gezielt aufgreifen
Fragen der Versorgung von Pflegebedürftigen, Demenzkranken und Sterbenden berühren nicht nur ernst zu nehmende, auf das hohe Alter bezogene Ängste, sondern auch Grundwerte unserer Gesellschaft. Bei dem Bemühen um die Förderung eines differenziellen Altersbildes dürfen Fragen nach dem Wert menschlichen Lebens und der Würde des Menschen nicht ausgeklammert werden.
Die Tatsache, dass ein großer Teil der Bevölkerung eine Legalisierung von aktiver Sterbehilfe und ärztlich assistiertem Suizid befürwortet, verdeutlicht erhebliche Wissensdefizite in Bezug auf die Möglichkeiten einer angemessenen Versorgung, nicht zuletzt der Palliativmedizin und Palliativpflege. Hier ist gezielte Aufklärungsarbeit zu fordern. Dabei ist insbesondere zu betonen, dass auch gravierende Einschränkungen der Selbstständigkeit eine selbstverantwortliche und selbstbestimmte Lebensführung am Ende des Lebens nicht ausschließen. Über die Möglichkeiten einer angemessenen Schmerztherapie ist viel zu wenig bekannt. Gleiches gilt für die Tatsache, dass mitunter gerade in Grenzsituationen auch neue Einsichten gewonnen werden können, die sich im Sinne eines Werdens zu sich selbst beschreiben lassen.
Visionen und Perspektiven eines gelingenden Alters vermitteln
Angesichts des demographischen Wandels gibt es keine Alternative zu einer stärkeren Nutzung der Ressourcen älterer Menschen – auch zu deren eigenem Wohl, denn schließlich belegen Untersuchungen, dass das Gefühl, gebraucht zu werden, im Allgemeinen mit einer höheren Lebensqualität einhergeht. Ältere Menschen verfügen über kognitive, lebenspraktische und sozialkommunikative Kompetenzen, die sie befähigen, innerhalb unserer Gesellschaft ein mitverantwortliches Leben zu führen – zum Beispiel im Sinne des Engagements in der Gemeinde, Vereinen, in der Nachbarschaft und Familie [Betreuung der Enkel und der eigenen Eltern].
Inwieweit ältere Menschen bereit sind, diese Potenziale für andere zu nutzen, hängt auch davon ab, ob die produktiven Leistungen, die ältere Menschen in vielen Bereichen für unsere Gesellschaft erbringen, angemessen gewürdigt werden und es gelingt, ältere Menschen in weit stärkerem Maße als heute als mitverantwortliche Bürger anzusprechen. Dies heißt auch: Die gesellschaftlichen Altersbilder müssen sich in der Hinsicht wandeln, dass mit Alter in stärkerem Maße auch das Potenzial zu gesellschaftlicher Produktivität und Kreativität assoziiert wird.
Eine andere Perspektive gelingenden Alters ist in einem selbstverantwortlichen Umgang mit Einschränkungen und Verlusten zu sehen. Dieser kann sich etwa darin zeigen, dass vorhandene Möglichkeiten zur Kompensation bestehender Einschränkungen genutzt werden, aber auch darin, dass Abhängigkeit bewusst angenommen wird und die noch vorhandenen Ressourcen im Interesse anderer Zielsetzungen eingesetzt werden. Für Altersbilder bedeutet dies, dass Würde und Wert eines Menschen unabhängig von körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit, Behinderung, Hilfe- oder Pflegebedarf anerkannt werden müssen.
Die Vermittlung von Visionen und Perspektiven eines gelingenden Alters darf nicht mit einer Bewertung von individuellen Lebenslagen und Lebensentwürfen verwechselt werden. Es geht hier lediglich darum, mögliche Orientierungen aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass persönliche Sinnentwürfe auch in Situationen möglich sind, denen zahlreiche Menschen mit großen Ängsten entgegensehen.
Möglichkeiten lebenslanger Prävention besser erkennen und ausschöpfen
Das Bewusstsein für Möglichkeiten der Prävention für das Alter wie für Möglichkeiten der Prävention im Alter muss gestärkt werden. Durch ein verändertes öffentliches Bewusstsein, eine stärker präventive Ausrichtung des Gesundheitssystems, aber auch durch die Gestaltung sozialer, räumlicher und infrastruktureller Umwelten [Umweltprävention] und Prävention sozialer Ungleichheiten [Verhältnisprävention] können Alternsprozesse erheblich beeinflusst werden. Wenn diese Möglichkeiten stärker zur Kenntnis genommen und genutzt werden, dann wird dies auch zur Folge haben, dass Alter und Krankheit in Altersbildern weniger eng verknüpft und Potenziale und Stärken des Alters stärker beachtet werden.
Lebenslanges Lernen – als gesellschaftlich garantiertes Recht und individuelle Verpflichtung
Das geforderte Recht auf lebenslanges Lernen wird sofort Konsens in unserer Gesellschaft finden, hingegen weniger die individuelle Verpflichtung zum lebenslangen Lernen. Diese erklärt sich aus der Tatsache des sozialen, des kulturellen und des technischen Fortschritts, an dem ältere Menschen – im Hinblick auf die Erhaltung von Selbstständigkeit und Selbstverantwortung wie im Hinblick auf Möglichkeiten der Erhaltung von sozialer Teilhabe – in gleichem Maße partizipieren sollten wie jüngere Menschen. Dabei vollzieht sich lebenslanges Lernen nicht ausschließlich und gerade nach der Erwerbsphase auch nicht primär in formalen Kontexten. Mit fortschreitendem Alter kommt dem informellen Lernen zunehmende Bedeutung für die Erhaltung von Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und sozialer Teilhabe zu.
Die Verpflichtung zu lebenslangem Lernen ist nicht im Sinne einer normativen Setzung, sondern als Verweis auf die Eigenverantwortung des Einzelnen zu interpretieren. Konkrete Inhalte lebenslangen Lernens ergeben sich zum Teil aus gesellschaftlichen Anforderungen und Entwicklungen, zum Teil aus individuellen Bedürfnissen, Wünschen und Ansprüchen. Das Recht auf lebenslanges Lernen verweist zunächst auf die im Alter erhaltene Fähigkeit, Neues zu lernen, sodann auf die Forderung an Unternehmen und Betriebe, ältere Beschäftigte in Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu integrieren, und die Notwendigkeit entsprechender Angebote der verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung.
Alter als möglichen Impuls für gesellschaftliche Innovation erkennen und nutzen
Durch ihre im Vergleich zu jüngeren Menschen häufig umfangreicheren Erfahrungen kommt älteren Menschen in einer sich ständig wandelnden Informations- und Wissensgesellschaft besondere Bedeutung für die Generierung, die Speicherung, die Kommunikation und den Transfer von Wissen zu. Die Innovationsfähigkeit jüngerer Menschen wird durch die Möglichkeit, mit älteren Menschen in einen Dialog über deren Erfahrungswissen zu treten, begünstigt. Gleichzeitig verfügen ältere Menschen dann, wenn es ihnen gelingt, kontinuierlich neue Perspektiven, Erfahrungen und Erkenntnisse in ihre Wissenssysteme zu integrieren, über erhebliche kreative und innovative Potenziale. Ältere Menschen sind im Allgemeinen nicht weniger, sondern auf andere Art und Weise kreativ und innovativ als jüngere Menschen.
Ältere Beschäftigte und Selbstständige sind häufig besser als jüngere in der Lage, sich in ihrem Denken von aktuellen Arbeitsabläufen und Arbeitsstrukturen zu lösen, für sie ist es häufig auch weniger wichtig, ihre berufliche Leistungsfähigkeit kontinuierlich unter Beweis zu stellen und Karriere zu machen. Ihre familiäre Situation erlaubt es ihnen häufig eher, sich auf ihren Beruf zu konzentrieren, die Identifikation mit dem Arbeitgeber und der eigenen Tätigkeit ist häufig höher.
Aus den genannten Gründen können sich ältere Beschäftigte und Selbstständige zum Teil eher als jüngere von Routinen und Erwartungen lösen und sich die Zeit für kreative und innovative Leistungen nehmen. Die kreativen und innovativen Potenziale älterer Menschen beschränken sich aber nicht auf den Bereich der Erwerbsarbeit – wo Unternehmen zunehmend versuchen, diese Potenziale durch die Einrichtung altersgemischter Teams zu nutzen, sondern sind gleichermaßen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements erkennbar.
Ältere Menschen verstärkt in ihrer Rolle als Kunden und Verbraucher ansprechen
Die Wachstumschancen der Wirtschaft werden in Zukunft stark davon abhängen, inwieweit es gelingt, bei der Entwicklung und dem Angebot von Produkten und Dienstleistungen die Interessen und Bedürfnisse älterer Menschen gezielt anzusprechen. Dabei widerspricht eine altengerechte Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen – wie sich etwa anhand der Oberflächengestaltung der Technik in der Automobilindustrie oder am Beispiel von öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrkartenautomaten zeigen lässt – ausdrücklich nicht den Interessen und Bedürfnissen jüngerer Menschen, sondern ist in aller Regel auch in deren Interesse.
Intergenerationellen Austausch fördern
Durch den Austausch von Erfahrungen und Wissen sowie durch die Verwirklichung gemeinsamer Projekte lassen sich negativ akzentuierte Sichtweisen von Alter und Altern ebenso abbauen wie auf der Seite Älterer bestehende Vorbehalte gegenüber der jüngeren Generation. Des Weiteren sollte das Bewusstsein für gemeinsame Interessen und gegenseitige Unterstützungsmöglichkeiten gefördert werden. Zentrale Orte intergenerationellen Austauschs sind Arbeit, Wohnen und Familie. Eine Beschäftigungspolitik, die Kapazitätsprobleme vorzugsweise durch Vorruhestandsregelungen löst, hat ebenso negative Auswirkungen auf Altersbilder wie eine Segregation fördernde Städteplanung. Gelegenheitsstrukturen für intergenerationelle Kommunikation müssen erhalten und neu geschaffen werden.
Obwohl in den letzten Jahren verschiedene Modellprogramme mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen den Generationen zu stärken, ins Leben gerufen wurden, gilt nach wie vor, dass sich außerhalb von Beruf und Familie keine ausreichenden Gelegenheitsstrukturen für intergenerationelle Austauschprozesse finden. Entsprechend sind interessensorientierte – und nicht altersorientierte – Angebote und Aufgaben in Gemeinden, aber auch städtebauliche Maßnahmen, die öffentliche Plätze für verschiedene Generationen anziehend machen, ein verändertes Quartiersmanagement, das eine Ghettobildung in Wohnbeziehungen verhindert, oder eine Ausweitung von Serviceangeboten, die gleichzeitig mehreren Generationen zugute kommen, ebenso zu empfehlen wie eine stärkere Vernetzung von Angeboten für Kinder und für Ältere.
Bei derartigen Angeboten ist allerdings zu beachten, dass Kontakt alleine noch nicht zu differenzierten Altersbildern führt, sondern gegebenenfalls Begleitung, Supervision oder flankierende Informationsangebote notwendig werden.
Verantwortungsvoller Umgang mit Fragen des Alters und Alterns in den Medien
Darstellungen in den Medien greifen nicht nur gesellschaftliche Altersbilder auf, sie sind auch in der Lage, diese zu modifizieren oder neue Altersbilder zu schaffen. Aus diesem Grunde ist auf eine Instrumentalisierung negativ akzentuierter Altersbilder zu verzichten und stattdessen darauf zu achten, dass die unterschiedlichen Facetten verschiedener Altersphasen unter Betonung interindividueller Unterschiede des Alters ausgewogen dargestellt und berücksichtigt werden. Für den Bereich der Werbung ist heute festzustellen, dass ältere Menschen zunehmend als eine bedeutsame Zielgruppe erkannt werden, die nicht nur als Abnehmer von Gesundheitsprodukten von Interesse ist. Auch im Fernsehen treten ältere Menschen heute vermehrt in sozialen Rollen auf, die für ein neues, aktives Alter charakteristisch sind.
Dennoch werden im Zusammenhang mit den Möglichkeiten, Alternsprozesse verantwortlich zu gestalten, häufig negative Altersbilder unnötig instrumentalisiert. So sehr es zu begrüßen ist, dass Möglichkeiten, Alternsprozesse zu beeinflussen, vermehrt dargestellt und beworben werden, so wenig ist es hilfreich, dies mit Bezug auf „Anti-Aging“ zu tun, da damit zugleich eine subtile Abwertung des Alters verbunden ist. Im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs wäre hier zu fordern, dass weniger der Aspekt der Vermeidung von Veränderungen, sondern stärker der Gestaltungsaspekt im Sinne eines „Pro-Aging“ hervorgehoben wird. Ein verantwortungsvoller Umgang könnte auch dadurch gefördert werden, dass älteren Menschen vermehrt Möglichkeiten der Teilhabe an der Gestaltung medialer Botschaften eröffnet werden.
Verantwortungsvoller Umgang mit Fragen des Alters und Alterns in einer »neuen« Altenpolitik
Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Alters ist nicht zuletzt durch den politischen Diskurs über die Folgen des demographischen Wandels und die zukünftige Gestaltung sozialer Sicherungssysteme geprägt. Hier ist darauf zu achten, dass neben den Risiken des Alters auch die Leistungen, Stärken und Potenziale älterer Menschen angemessen gewürdigt werden.
Ältere Menschen sind nicht lediglich eine finanzielle Belastung für unsere Gesellschaft, sie tragen durch familiäres und bürgerschaftliches Engagement erheblich zur Wertschöpfung bei. Sie sind nicht lediglich auf Unterstützung durch jüngere Menschen angewiesen, intergenerationelle Beziehungen sind vielmehr vor allem durch Gegenseitigkeit geprägt. Die Pflege älterer Menschen wird zu einem erheblichen Teil von älteren Menschen geleistet. Auch die ausgeprägte Heterogenität des Alters und die bis ins höchste Alter bestehenden Präventions- und Interventionsmöglichkeiten müssen stärker Gegenstand politischer Debatten werden.
Des Weiteren ist darauf zu achten, dass Interessen der jüngeren und älteren Generation nicht gegeneinander ausgespielt und intergenerationelle Konfliktpotenziale akzentuiert werden, für die es nach wie vor keine empirischen Belege gibt. Stattdessen ist darauf zu achten, dass die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf verschiedene Altersgruppen transparent gemacht, differenziert dargestellt und begründet werden. In diesem Zusammenhang ist die generelle Problematik von Altersgrenzen nicht nur für die Erwerbsarbeit, sondern auch für das Ehrenamt stärker zu reflektieren. Schließlich wäre darauf zu achten, dass ältere Menschen in politischen Gremien angemessen vertreten sind.
Wahrung von Generationengerechtigkeit und Generationensolidarität
In dynamischen Gesellschaften sind die Chancen, die sich für eine Gruppe ergeben, nicht selten mit Risiken für andere Gruppen verbunden. Entsprechend ist es denkbar, dass die gezielte Förderung der Nutzung von Ressourcen des Alters zu Lasten der für nachfolgende Generationen bestehenden Möglichkeiten geht, ihre eigenen Ressourcen zu vermehren oder zu verwirklichen, insbesondere unter der Bedingung der Knappheit von Ressourcen. In diesem Zusammenhang sollte nicht übersehen werden, dass gesellschaftliche Innovationen subjektiv – und eben nicht notwendigerweise objektiven Gegebenheiten entsprechend – wahrgenommen und bewertet werden.
So kann eine Verbesserung der Erwerbschancen Älterer von Jüngeren auch dann im Sinne einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung der eigenen Generation interpretiert werden, wenn die jüngere Generation objektiv von dieser Entwicklung profitiert. Entsprechend ist eine Förderung von Potenzialen älterer Menschen nur im Kontext einer generationenübergreifenden Perspektive möglich, die sich gleichzeitig kontinuierlich um die Transparenz von Zielsetzungen und Maßnahmen bemüht.
Für mögliche gesellschaftliche Benachteiligungen des Alters sensibilisieren
In einer demokratischen Gesellschaft dürfen Menschen nicht allein auf der Grundlage ihres Lebensalters diskriminiert werden. Diese Aussage gilt für jüngere Menschen ebenso wie für ältere. Die Tatsache, dass sich Menschen als allein auf der Grundlage ihres Lebensalters benachteiligt fühlen, ist nicht immer gleichzusetzen mit einer faktischen Diskriminierung, da eine Ungleichbehandlung von Lebensaltern zum Teil auch rational begründet ist. So mag bei der Vergabe von Versicherungen und Krediten im konkreten Einzelfall mit dem Lebensalter auch ein erhöhtes Risiko gegeben sein, das veränderte Konditionen oder den Verzicht auf einen Abschluss rechtfertigt. In ähnlicher Weise mag die Ablehnung einer medizinischen Behandlung oder einer Rehabilitation im konkreten Einzelfall sachlich begründet sein.
Dennoch ist es notwendig, erlebte Benachteiligungen ernst zu nehmen und zu prüfen, inwieweit tatsächlich eine in demokratischen Gesellschaften nicht zu tolerierende Diskriminierung vorliegt. Die Kommission empfiehlt in diesem Zusammenhang die Einrichtung einer zentralen Vermittlungsstelle, die bei entsprechenden Beschwerden tätig werden kann.
Des Weiteren ist es denkbar, dass ältere Menschen allein aufgrund ihres Alters benachteiligt werden, ohne dass ihnen dies bewusst ist. So kann sich hinter der Aussage eines Arztes, im Falle der Erkrankung eines 65-jährigen Patienten sei nichts mehr zu machen, eine faktische Diskriminierung verbergen, die rational nicht gerechtfertigt werden kann. Da dem Patienten hier ein unabhängiges Urteil nicht möglich ist und er sich auf die Aussage seines Arztes verlassen muss, werden derartige Diskriminierungen häufig nicht bekannt. Hinzu kommt, dass es im gewählten Beispiel dem Arzt nicht bewusst sein muss, dass er seinem Patienten eine mögliche Behandlung allein wegen seines Lebensalters vorenthält. Dies verweist auf die Notwendigkeit, für ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zu sensibilisieren.
Soziale Ungleichheiten stärker erkennen und abbauen
Altersbilder, die negative Aspekte des Alter[n]s akzentuieren, finden sich in empirischen Untersuchungen insbesondere bei jenen Menschen, die unter vergleichsweise ungünstigen Bedingungen leben und in ihrer persönlichen Lebenssituation vergleichsweise wenig Perspektiven für eine Verwirklichung von individuellen Stärken, Potenzialen, Anliegen und Interessen sehen. Gerade in unterprivilegierten Sozialschichten spiegeln negativ akzentuierte Altersbilder nicht selten faktische Benachteiligungen wider, die weniger auf die Notwendigkeit einer Korrektur von Altersbildern als vielmehr auf notwendige sozialpolitische Maßnahmen verweisen.
Unabhängig davon ist festzustellen, dass sich individuelle Altersbilder im Allgemeinen nur dann verändern werden, wenn die neu eröffneten Perspektiven einer Verwirklichung von Potenzialen und Stärken des Alters ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit der für das eigene Alter antizipierten Lebenssituation aufweisen. Entsprechend sind Engagement und Initiative älterer Menschen aus unterprivilegierten Schichten wo immer möglich gezielt zu fördern – die grundsätzlich bestehende Möglichkeit einer an persönlichen Sinnentwürfen orientierten Lebensführung muss gesellschaftlich deutlicher sichtbar werden.
Neben Angehörigen unterprivilegierter Schichten sind auch Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderte und Homosexuelle von gesellschaftlichen Benachteiligungen betroffen. Auch für diese Menschen ist zu befürchten, dass lebenslang kumulierte Benachteiligungen im Alter an Bedeutung gewinnen und soziale Teilhabe und Integration erheblich erschweren. Des Weiteren legen empirische Untersuchungen nahe, dass ältere Frauen in besonderem Maße von negativen Altersstereotypen betroffen sind und sich alters- und geschlechtsbezogene Benachteiligungen gegenseitig verstärken.
Mit Altersgrenzen sensibel umgehen
Da sich eine Einteilung des Lebenslaufs in verschiedene Abschnitte durch den Verlauf von Alternsprozessen nicht ableiten und rechtfertigen lässt, vielmehr grundsätzlich als optional zu gelten hat, stellt sich auch die Frage, inwieweit es sinnvoll ist, angesichts der ausgeprägten Heterogenität des Alters verbindliche Altersgrenzen festzulegen. Durch derartige Altersgrenzen werden auch Altersbilder geschaffen und aufrechterhalten.
Wenn etwa Menschen vor Vollendung des 18. Lebensjahres nicht zur Wahl gehen oder alleine ein Fahrzeug führen dürfen, wenn Menschen mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausscheiden oder jenseits des 70. Lebensjahres bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten nicht mehr ausüben dürfen, dann werden damit nicht nur diesen Menschen Möglichkeiten und Gelegenheiten vorenthalten, sondern auch bei anderen Menschen Meinungen und Überzeugungen gestützt, die davon ausgehen, dass sie dazu nicht mehr in der Lage sind.
Dieser generellen Problematik von Altersgrenzen sollte durch eine stärkere Flexibilisierung begegnet werden. Ähnlich wie der gesetzlich festgelegte Zeitpunkt der Einschulung nach einer Prüfung des Einzelfalles vorverlegt oder zurückgestellt werden kann, sollte es für ältere Beschäftigte auch möglich sein, über das Erreichen der Altersgrenze hinaus zu arbeiten.
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